Was die Polizei nötig hat, ist vor allem Entlastung
Darum geht es: Mehr als 1,1 Millionen Überstunden schiebt die niedersächsische Polizei zurzeit vor sich her. Damit hat sich die Zahl der Überstunden um 5,6 Prozent erhöht. Ein Kommentar von Isabel Christian.
Der G20-Gipfel ist schuld, das ist nicht abzustreiten. Denn wenn 1900 Polizisten drei Tage und noch länger eine Stadt im Ausnahmezustand sichern müssen, ist ein Feierabend nach acht Stunden Dienst das Letzte, woran sie denken können. Ebenso ist es für die Beamten, die zu Hause geblieben sind, aber den Platz der abgeordneten Kollegen zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit einnehmen müssen. Daher ist es keine Überraschung, dass sich der Einsatz in Hamburg mit rund 260.000 Überstunden auf dem Zeitkonto der Polizei wiederfindet. Doch es ist zu einfach, den G20-Gipfel als alleinigen Grund für die vielen Überstunden auszumachen. Es mag sein, dass ohne den Gipfel 100.000 Überstunden weniger gemacht worden wären als im Vorjahr. Doch dann würde die Polizei noch immer fast eine Million Überstunden mit sich herumtragen. Was darauf schließen lässt, dass das eigentliche Problem der Beamten nicht in gelegentlichen Megaeinsätzen besteht, sondern in der Struktur der täglichen Arbeit.
Im vergangenen Jahr schlugen Polizeigewerkschaftler, Politiker und Polizeifunktionsträger besonders laut Alarm. Überall fehlen Beamte, die täglichen Routineaufgaben können teilweise nur noch mit viel planerischem Geschick ausgefüllt werden. Hierauf hat die neue Koalition reagiert und mehr Polizisten zugesagt. Mindestens 500 zusätzliche Polizeikommissar-Anwärter sollen in diesem Jahr eingestellt werden, bis zum Ende der Legislaturperiode sollen 1500 Polizisten mehr in den Dienststellen arbeiten als jetzt. Das wird allerdings wenig helfen, wenn nicht auch etwas am Aufgabenspektrum und der Bürokratie in den Behörden verändert wird. Denn es reicht nicht, wenn weniger Überstunden angehäuft werden. Die vielen Überstunden müssen auch abgebaut werden können.
Im Polizeialltag gibt es Ansätze zur Verbesserung. Die IT-Infrastruktur etwa wird künftig vom externen Dienstleister IT-Niedersachsen gepflegt. Rund 200 Polizisten sollen dadurch frei für andere Aufgaben werden. Und bei der Begleitung von Schwertransporten, die besonders die Beamten in der Region um Hamburg fordert, experimentiert das Innenministerium seit zwei Jahren mit Hilfspolizisten. Als Hilfspolizisten können sich Mitarbeiter von privaten Begleitunternehmen bewerben. Das ist eine richtige Strategie, wie es scheint, denn obwohl sich die Zahl der Schwertransporte dem Innenministerium zufolge von 2016 auf 2017 fast verdoppelt hat, begleitete die Polizei in beiden Jahren annähernd gleich viele Schwertransporte. Den Überschuss fingen die Hilfspolizisten auf.
Jede Kleinigkeit muss erfasst werden, um daraus Statistiken und Lagebilder erstellen zu können. Einiges davon nur, um Politiker und Journalisten zufriedenzustellen.
Bei diesem Erfolg sollte man jetzt aber darüber nachdenken, ob Hilfspolizisten den echten Beamten nicht noch in anderen Bereichen Arbeit abnehmen können. Dabei kommen besonders die Aufgaben infrage, bei denen es um Fachkompetenz, aber weniger um hoheitliche Aufgaben des Staates geht. Wie beispielsweise die Aufnahme von Unfällen mit Bagatellschaden. Hier rufen Unfallgegner gern die Polizei hinzu, wenn man sich nicht einig wird, wer nun was seiner Versicherung melden muss. Oder wenn es gar keinen Unfallgegner gibt, weil die Schramme am Auto erst später entdeckt wird. Ähnlich wie bei der Begleitung der Schwertransporte könnte man die Bearbeitung dieser Unfälle auch an Fachkräfte abgeben, die sich mit der Analyse von Schäden auskennen, aber als Hilfspolizisten trotzdem neutral auftreten können.
Eine spürbare Entlastung lässt sich auch erreichen, indem bürokratische Prozesse abgespeckt würden. Denn wer mit Polizisten über ihren Alltag spricht, hört oft, dass vor allem das detaillierte Einpflegen und Bearbeiten der Vorkommnisse im polizeiinternen System Nivadis viel Zeit in Anspruch nehmen. Jede Kleinigkeit muss erfasst werden, um daraus Statistiken und Lagebilder erstellen zu können. Einiges davon nur, um Politiker und Journalisten zufriedenzustellen. Man sollte deshalb wieder mehr Mut zur Lücke haben, damit an den wirklich wichtigen Schauplätzen der polizeilichen Arbeit keine Lücken entstehen.