Die AfD zu stigmatisieren ist kein Weg, ihren Provokationen zu entgehen
Darum geht es: Mehrere Politiker fordern jetzt, die AfD vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. In Niedersachsen betrifft dies zunächst die Jugendorganisation. Diese Diskussion ist in Teilen unredlich und zeigt nur die Hilflosigkeit der Politiker aus den etablierten Parteien, meint Klaus Wallbaum.
Der Ruf nach dem Verfassungsschutz offenbart immer das Bedürfnis nach einer Stigmatisierung. Vor rund zehn Jahren wurde eifrig darüber diskutiert, ob man die Linkspartei vom Geheimdienst beobachten lassen soll – weil es in dem Konstrukt aus PDS und WASG erkennbar Strömungen gab, die das System der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der Bundesrepublik ablehnen, ja sogar bekämpfen. Heute wiederholt sich diese Debatte wieder, nur von der anderen Seite. Weil es in der AfD Gruppierungen gibt, die den demokratischer Rechtsstaat grundlegend verändern und bestimmte Regeln abschaffen wollen, sehen sich einige ermuntert, in der Partei einen „Fall für den Verfassungsschutz“ zu sehen. Da schwingt die Einschätzung mit, dass man mit einer Gruppe, die den Stempel „verfassungsfeindlich“ trägt, gar nicht weiter diskutieren müsse, dass man sie aus dem allgemeinen Diskurs ausgrenzen könne.
Das ist nun ausgesprochen gefährlich. Gegenwärtig gelingt der AfD in Chemnitz eine Verknüpfung von extrem rechten Positionen und Kräften der bürgerlichen Mitte. Die Grenzen zwischen beiden Ebenen verwischen angesichts der Unzufriedenheit, die sich in der sächsischen Stadt breit macht. Für ihren Unmut machen viele Chemnitzer die Asylpolitik und die angeblich ungehinderte Zuwanderung verantwortlich – und sie finden damit Gehör bei der AfD, bei Politikern der anderen Parteien weniger. Wenn nun diese AfD von anderen Politikern ganz bewusst in die extrem rechte Ecke gestellt wird, verbunden mit dem Stigma der Grundgesetzwidrigkeit, geschieht das mit einer erkennbaren Absicht: Die gemäßigten Konservativen sollen erkennen, wie gefährlich der ihnen vordergründig so verständnisvoll gegenübertretende Partner AfD tatsächlich ist.
Verfassungsschutz dürfte längst sei Fühler ausgestreckt haben
Es kann aber genauso gut sein, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Wenn Politiker von SPD und Union, Grünen, FDP und Linkspartei aufgeben, sich inhaltlich mit AfD-Haltungen auseinanderzusetzen, weil diese ja von Verfassungsfeinden geäußert werden, dann kann die AfD auf noch viel mehr Zuspruch und Rückhalt hoffen. Dann bekäme sie nämlich ein Alleinstellungsmerkmal für bestimmte Themen und Positionen, eine Unverwechselbarkeit, die mit einem Attraktivitätsgewinn einhergehen würde. Die PDS hat lange als Protestpartei Wählerzuspruch ernten können, weil die anderen sie mehr oder weniger konsequent ausgrenzten. Heute ist die AfD drauf und dran, in ihre Fußstapfen zu treten.
Derweil ist die Debatte über die Frage, ob man die AfD vom Verfassungsschutz beobachten soll, an Oberflächlichkeit nicht mehr zu überbieten. Natürlich gibt es heute in der Linkspartei etwa die trotzkistische „Sozialistische Alternative“, die schon einige Unterwanderungsversuche gestartet hat. Jeder Verfassungsschutz wäre gut beraten, diese SAV im Blick zu behalten. Auf der anderen Seite tritt man dem rechten „Flügel“ der AfD um Björn Höcke nicht zu nah, wenn man dieser Strömung den Wunsch nach Systemveränderung (wie immer sie konkret auch aussehen mag) unterstellt. Auch hier dürfte der Verfassungsschutz schon längst seine Fühler ausgestreckt haben. Und einige Akteure von der „Jungen Alternative Niedersachsen“, die nach der gestrigen Ankündigung von Innenminister Boris Pistorius künftig beobachtet werden soll, dürften auch schon lange im Visier des Verfassungsschutzes sein. Es wäre jedenfalls ein großes Versäumnis, wenn dies nicht so wäre. All das heißt aber nicht, dass deshalb Linke und AfD als Parteien in ihrer Gänze und Breite Beobachtungsobjekte des Geheimdienstes werden sollten. Der Geheimdienst kann keine politische Diskussion ersetzen.
Vor Illusionen allerdings muss auch gewarnt werden. Als kürzlich in Niedersachsen über eine neue Gruppierung in der AfD mit dem Namen „Pegasus“ spekuliert wurde, kam der Verdacht auf, dies könne ein U-Boot der ultrarechten AfD-Untergliederung „Flügel“ sein. Das ist verwirrend, denn schon heute hat Höckes „Flügel“ in Niedersachsen eine wachsende Anhängerschaft, die bis hinein in die Landtagsfraktion reicht. Die Vermutung, es gäbe eine breite Mehrheit der gemäßigten AfD und nur eine kleine Gruppe von Scharfmachern, verniedlicht die tatsächliche Situation. Aber das heißt eben nicht, dass man sich mit diesen extremen Positionen nicht mehr beschäftigen müsste oder sie ausblenden dürfte. Das Gegenteil sollte angesagt sein.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #153.