Klaus Merker, Präsident der niedersächsischen Landesforsten, und Philip von Oldershausen, Präsident des Waldbesitzerverbandes Niedersachsen, behalten gemeinsam den Überblick über nahezu die komplette 1,2 Millionen Hektar große Waldfläche des Landes. Im Gespräch mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter schildern die beiden, warum es dem Wald auch nach einem sommerfeuchten Jahr noch nicht besser geht, wie viel der Umbau des Waldes wohl kosten wird und wieso es zur Finanzierung dieser Mammutaufgabe mehr braucht als die Erträge aus dem Holzverkauf und staatliche Förderprogramme.

Klaus Merker (links) und Philip von Oldershausen rechnen bei der Wiederaufforstung mit Kosten in mindestens dreistelliger Millionenhöhe. | Foto: Kleinwächter

Rundblick: Herr Merker, Herr von Oldershausen, nach Jahren mit Wetterextremen und Schädlingsbefall: Wie geht’s dem niedersächsischen Wald im Herbst 2023?

von Oldershausen: Nicht besser als im Jahr zuvor. Die kontinuierlich feuchte Witterung hat geholfen, dass die jungen Bäumchen gut angewachsen sind und sie sich im Boden stabilisiert haben. Aber die Regenerationsphasen, vor allem der älteren Bäume, dauern sehr viel länger.

Merker: Die Vitalität ist weiterhin geschwächt, da reichen die paar feuchteren Wochen nicht aus. Aber man kann schon sagen: Der Wald atmet durch, zumindest der jüngere.

Rundblick: In den vergangenen Jahren hat der Borkenkäfer insbesondere dem Fichtenwald zugesetzt. Wie ist da die Lage?

Merker: Der Borkenkäfer hat auch in diesem Jahr munter weitergefressen. Allerdings hat er sich vermutlich aufgrund der im Vergleich höheren Niederschläge und etwas geringeren Temperaturen nicht mehr so explosiv vermehrt wie zuvor. Zudem gibt es gar nicht mehr so viele Fichten zu erobern. Vermutlich hat der Borkenkäfer also nicht mehr drei, sondern nur zwei Generationen hervorgebracht. Wir bleiben jedenfalls achtsam und holen die befallenen Bäume raus, bevor die Brut ausfliegt.

Ein Borkenkäfer sitzt auf der Baumrinde einer Fichte. | Foto: GettyImages/Goldi59

Rundblick: Der Wald ist derzeit stark ausgedünnt. Nun gilt es, wieder aufzuforsten. Über welche Mengen sprechen wir da?

von Oldershausen: Pro Hektar kann man von schätzungsweise 2.000 Nadel- oder bis zu 10.000 Laubbäumen ausgehen. Bei einer Schadfläche von etwa 80.000 Hektar macht das also locker 400 Millionen Bäume, die in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren gepflanzt werden müssen.

Merker: In den Landesforsten wird der Anteil der Laubbäume aufgrund der fachlichen und politischen Vorgaben voraussichtlich größer sein. Deshalb schätze ich, dass es eher noch mehr sein werden, vielleicht 600 Millionen. Hinzu kommt dann noch der Umbau des noch intakten Waldes nach unserem Löwe-Programm. Da werden auch noch intakte Reinbestände sukzessive aufgemischt werden.

Klaus Merker leitet seit 2005 die Niedersächsischen Landesforsten als Präsident. | Foto: Kleinwächter

von Oldershausen: Der Part kommt im Privatwald natürlich auch noch zum Tragen.

Rundblick: Allein die Aufforstung braucht also locker eine halbe Milliarde neuer Bäume. Was kostet das?

von Oldershausen: Ein Buchenbäumchen von 50 Zentimetern Höhe kostet je nach Zuchtverfahren rund 1,30 Euro in der Anschaffung. Die Dienstleister, die den Baum dann einpflanzen, nehmen noch einmal rund einen Euro pro Baum. Weil der Einzelbaum inzwischen so teuer geworden ist, muss außerdem noch das Pflanzbeet aufbereitet werden, damit kein Gras oder Brombeeren den Baum erdrücken und auch jeder Setzling groß wird. Diese Vorbereitung macht dann noch mal 20 bis 30 Cent pro Baum. Kommt dann noch Zaunbau hinzu, um die Setzlinge vor Wildfraß zu schützen, rechnet man noch mal einen Euro drauf. Pro Hektar macht das also gut und gerne 15.000 Euro für die Wiederbewaldung mit Laub- und Nadelbäumen – gerechnet auf die gesamte Schadfläche also gut 1,2 Milliarden Euro. Die Kosten für die nachträgliche Pflege, die Verwaltung und den Förster sind da natürlich noch nicht mit eingerechnet.

Merker: Dieses Rechenbeispiel hat auf jeden Fall eine plausible Grundlage. Auf einem großen Flächenanteil werden wir allerdings auch mit Naturverjüngung den Wald neu wachsen lassen. Das macht es finanziell etwas entspannter. Gleichwohl bleibt es eine gigantische finanzielle Herausforderung und eine gewaltige Investition in neue und klimaangepasste Mischwälder. Der begrenzende Faktor in den kommenden Jahren wird aber auch das verfügbare Saatgut sein. Denn die Natur liefert nicht in jedem Jahr eine gute Mast bei allen Baumarten. Das ist aber die Voraussetzung für die Bereitstellung ausreichender Pflanzen. Wir haben da ein ineinander spielendes System, das mit den gegenseitigen Abhängigkeiten nicht auf Knopfdruck auf ein höheres Niveau gehoben werden kann.

Rundblick: Lohnt es sich für einen Waldbesitzer dann überhaupt noch, Geld in seine Fläche zu investieren?

von Oldershausen: Der Umbau ist jedenfalls nicht aus der aktuellen Leistungskraft der Forstbetriebe heraus finanzierbar. Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht muss man sich als Privatwaldbesitzer schon fragen, warum man eigentlich noch in den Wald investieren soll, wenn das Geld beispielsweise in Aktien doch gewinnbringender angelegt ist. Was erwirtschaftet wird, ist so gering, dass sich die Investition in neue Kulturen kaum refinanziert. Und dann sind Grundsteuer, der Förster und die Berufsgenossenschaft oder auch Wasserverbandsbeiträge noch nicht bezahlt. Aber die Identifikation mit der Fläche und dem Eigentum ist so groß, dass der Wiederaufbau für die Waldbesitzenden eine Herzensangelegenheit ist, für die sie gesellschaftliche Unterstützung brauchen. Schließlich ist der Waldeigentümer für den Klimawandel nicht allein verantwortlich.

Philip von Oldershausen gehört seit 2006 zum Vorstand des Waldbesitzerverbands, seit 2021 ist er dessen Präsident. | Foto: Kleinwächter

Merker: Der notwendige Waldumbau wird ja aber vom Land gefördert. Wenn die Fördermittel in Höhe von 85 bis 90 Prozent kommen, dann ist das ein Anreiz, der auch notwendig ist.

von Oldershausen: Mir ist wichtig, zu betonen, dass wir als Waldbesitzer aber gar nicht nach immer mehr staatlichem Geld rufen wollen. Es muss erkannt werden: Der Wald ist mehr als der Ort, an dem Bäume zur Holzproduktion wachsen. Aktuell ist das das Maß aller Dinge, weil es die einzige Quelle ist, um Geld zu erwirtschaften. Der Staat sollte nicht verhindern, dass wir auch andere Einkunftsquellen für die Leistung des Waldes in Wert setzen können, sondern diese unterstützen, um mehr Vielseitigkeit und Stabilität zu erreichen.

Rundblick: Welche könnten das sein?

Merker: Es geht dabei um die Ökosystemleistung des Waldes für die Gesellschaft, um Erholung, Klimaschutz und die Verkehrssicherung, die sichergestellt wird, ohne dass Waldbesitzer hierfür etwas kriegen. Nicht der Wald, sondern der Forstbetrieb, der diese Leistungen aktiv herstellt und für die Gesellschaft gestaltet, muss honoriert werden. Mit dem „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ und dem Förderprogramm „Klimaangepasstes Waldmanagement“ geht die Bundespolitik da schon einen Schritt in die richtige Richtung. Teilweise geht es schon zu weit, weil es sich von der Holzproduktion entfernt. Aber der Grundgedanke wird dort zumindest schon abgebildet.

von Oldershausen: Es gibt aber auch noch andere Einkunftsquellen, die erschlossen werden sollten. Nehmen wir beispielsweise die Holzbauoffensive: Wir stehen da für die Logik des Holzhauses der kurzen Wege. Klimaverträglich ist das nämlich nur, wenn das Holz aus der Region kommt. Ein weiterer Aspekt, der deutlich schwieriger zu beziffern ist, ist die Vorreinigung des Wassers durch den Wald, bevor es in die Trinkwasserspeicher kommt. Sind die Bäume weg, bräuchte es viel mehr Aufwand. Warum sollte das aber eine kostenlose Dienstleistung sein?



Rundblick: Wie stehen Sie zur Öffnung des Waldes für die Windkraft? Insbesondere Umweltverbände kritisieren diesen Schritt, den die Politik gehen will, sehr scharf.

von Oldershausen: Hier braucht es noch mehr Möglichkeiten, anstatt die bestehenden noch weiter einzuengen. Wenn wir wirklich Klimaschutz wollen, muss dringend der Temperaturanstieg aufgehalten werden. Das heißt: Die Erneuerbaren Energien müssen so schnell wie möglich aufgebaut werden. Wenn wir den Temperaturanstieg nicht aufhalten, wird uns jeder Wald verrecken – egal, was wir da anpflanzen. Dort, wo es aufgrund von Hochspannungsleitungen ohnehin schon Schneisen im Wald gibt oder aufgrund von Südlink bald geben wird, sollten auch Solarkollektoren zugelassen werden. Dass ganze Landstriche in Südniedersachsen von Windkraft im Wald ausgeschlossen werden sollen, weil da „historisch alte Waldbestände“ stehen sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Es braucht meiner Meinung nach weniger Vorgabe und zugleich mehr Optionen, wie man den Anteil der Personen, die davon profitieren, vergrößern kann.

Rundblick: Was schwebt Ihnen da vor?

von Oldershausen: Man könnte zum Beispiel eine freiwillige Sonderabgabe einführen und die Gelder von denjenigen, die von Windkraft im Wald profitieren, in einen Sonderfonds geben. Aus diesen Mitteln könnte dann an anderer Stelle auf Ausgleichsflächen die Wiederaufforstung finanziert werden. Da braucht es mehr Solidarität.