Der Rüstungsexport boomt – was kann man in Niedersachsen dagegen unternehmen?
Am aktuellen Streit in der Bundesregierung sieht man wieder, wo der Kern des Problems liegt. Union und Sozialdemokraten haben sich vor ein paar Tagen verständigt, die Lieferung von Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien für ein halbes Jahr auszusetzen. Das bringt nun zwar eine Werft in Mecklenburg-Vorpommern in Bedrängnis, da Kriegsschiffe betroffen sind. Außerdem belastet der Streit die europäische Kooperation in der Militärproduktion – denn die Franzosen und Briten verstehen gar nicht, warum die Deutschen sich zieren. Auf der anderen Seite gilt Saudi-Arabien als einer der größten Waffenlieferanten für den Bürgerkrieg im Jemen. Wird also mit deutschen – auch mit niedersächsischen – Waffen dabei geholfen, das Morden von Frauen, Männern und Kindern zu erleichtern? Wie soll man sich nun verhalten?
Die niedersächsische Grünen-Landtagsfraktion hat das Thema am Wochenende in einer Fachtagung erörtert. Was diese Partei eint, ist die entschlossene Gegnerschaft zu Rüstungsexporten. Die Zahlen sind ernüchternd, wie der Grünen-Wirtschaftsexperte Detlev Schulz-Hendel erläuterte: Für 160 Millionen Euro wurden zwischen Januar und Oktober 2018 deutsche Waffen nach Saudi-Arabien verkauft, das sind 50 Millionen Euro mehr als im ganzen Jahr 2017. Der Waffenexport in die Türkei, ein Nato-Land, hat sich in diesem Vergleichszeitraum auf 202 Millionen Euro sogar verdreifacht. 22 Prozent der Güter, die für den Rüstungsexport hergestellt werden, entstehen in norddeutschen Werken.
Grün wollen mehr Transparenz
In Niedersachsen ist vor allem die Firma Rheinmetall bekannt, die größere Anlagen in Unterlüß bei Celle betreibt. Dort sind mehr als 1700 Menschen für die Firma tägig. Müssen sie um ihre Jobs bangen? Die Grünen fordern zunächst „wesentlich mehr Transparenz“, wie die Fraktionsvorsitzende Anja Piel betont. Ein „Rüstungskataster“ solle erstellt werden, aus dem hervorgeht, welche Gegenstände in welchem Umfang in Niedersachsen produziert und in welche Länder verkauft werden. In einem Antrag, der im vergangenen Juni mit breiter Mehrheit vom Landtag beschlossen wurde, wird die Landesregierung aufgefordert, sich für ein besseres System der Rüstungskontrolle einzusetzen. „Ich sehe aber nicht, dass Wirtschaftsminister Bernd Althusmann hier schon etwas unternommen hätte“, klagt Schulz-Hendel.
Was alles nötig wäre, listet die Grünen-Bundestagsabgeordnete Katja Keul aus Nienburg (Weser) auf, die als rüstungspolitische Expertin in ihrer Fraktion arbeitet. Ein EU-Beschluss von 2008, der bei derartigen Geschäften die Menschenrechte als Maßstab betont, müsse eingehalten werden. Die Waffenexporte, die ja genehmigt werden müssen, sollten detaillierter den Kontrollgremien im Bundestag offengelegt werden – und es solle auch ein „Verbandsklagerecht“ geben, also die Möglichkeit beispielsweise für friedenspolitische Organisationen, gegen die Genehmigung für einen Export vor Gericht ziehen zu dürfen. „Dramatisch“ nennt Keul die über Jahre festzustellende Entwicklung, dass Drittstaaten bisher zu den Hauptempfängern deutscher Waffen zählten. „Was einmal als Ausnahme gedacht war, ist schon zur Regel geworden.“ Schwerpunkt sei die arabische Halbinsel.
Es macht einen Unterschied, ob man mit Rechtsstaaten zu tun hat, die als verlässlich gelten und sich an Regeln halten, oder mit anderen.
Soll man die Waffenexporte in Drittländer ganz verbieten? Alexander van der Busch, zuständig für die politische Kommunikation von Rheinmetall, hält den Verkauf von Rüstungsgütern zunächst für „legitim“: Staaten dürften für ihre äußere Sicherheit investieren, und es sei ein Vorteil, dass nicht jedes Land seine eigenen Waffen herstelle, sondern auf Handel angewiesen ist. Handel ermögliche Beratung und Einflussnahme, und der Rheinmetall-Vertreter erklärt auch, dass das Unternehmen durchaus als Ratgeber im Kontakt mit ausländischen Kunden auftrete. „Es macht aber einen Unterschied, ob man mit Rechtsstaaten zu tun hat, die als verlässlich gelten und sich an Regeln halten, oder mit anderen“, sagt van der Busch.
Sein Unternehmen spüre „einen aktuellen Handlungsdruck“, man sei sich bewusst, dass die aktuellen Vorschriften für den Rüstungsexport „sehr lange funktioniert“ hätten, jetzt aber wohl nicht mehr. „Wenn sich Regionen negativ entwickeln, können wir oft mit dem Handel nicht mehr rechtzeitig reagieren.“ Bei den Bedenken gegen den Empfänger Saudi-Arabien zeige sich das jetzt.
In Paris versteht man die deutsche Zurückhaltung nicht
Das Thema hat aber noch weitere Dimensionen. Arnold Wallraff, der bis 2017 Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle war und heute in einem Rüstungsarbeitskreis der Kirche tätig ist, spricht von der Brüchigkeit rechtlicher Regeln. So bedeute der Kompromiss in der Bundesregierung zu Saudi-Arabien beispielsweise nicht, dass nicht weiter Waffen an die Vereinigten Arabischen Emirate verkauft werden dürften. Wallraff befürwortet ein Bundesgesetz für den Rüstungsexport, das helfen könne, Fehlentwicklungen im Handel rascher aufzuspüren.
Daneben aber gibt es noch die europäische Dimension, die sich gerade auch am gegenwärtigen Konflikt um Saudi-Arabien manifestiert: Franzosen und Briten sehen gar nicht ein, warum sie Exportbeschränkungen vornehmen sollten. „In Paris versteht man unsere deutsche Zurückhaltung einfach nicht“, meint Wallraff. Und wenn nun Katja Keul vom Ziel spricht, einen „europäischen Panzer“ zu bauen – dann schränkt sie das deutlich ein: „Ich bin nur deshalb dafür, weil ich möchte, dass am Ende weniger Panzer gebaut werden.“ Eine europäische Rüstungsproduktion, die in noch mehr Rüstungsexport ausartet – das wäre für sie wohl eine Horrorvorstellung. (kw)