Es müssen nicht einmal Haushaltsdebatten sein, ganz normale fachpolitische Aussprachen im Landtag reichen auch. Spätestens dann, wenn Mitglieder der rot-grünen Koalition auf Versäumnisse der Vorgängerregierung zu sprechen kommen, fällt regelmäßig sein Name: Reinhold Hilbers.

Reinhold Hilbers sei dafür verantwortlich gewesen, dass nicht in die Infrastruktur investiert wurde. An Reinhold Hilbers liege es, dass wir die Landeswohnungsgesellschaft nicht schon längst haben. Reinhold Hilbers habe die Erhöhung von Landeszuschüssen blockiert. Und der schlechte Stand Niedersachsens im bundesweiten Vergleich der Besoldung im öffentlichen Dienst hänge auch mit einer Person zusammen, mit Reinhold Hilbers. Dass in Tarifverhandlungen die Gewerkschaften jahrelang nicht hätten triumphieren können, habe am damaligen Verhandlungsführer der Länder gelegen, also an Reinhold Hilbers. Wo man auch hinschaut – überall dieser eine Schuldige. Der CDU-Mann ist 59 Jahre alt, ist gelernter Diplomkaufmann und lebt in der Gemeinde Wietmarschen in der Grafschaft Bentheim, nahe der Grenze zu Holland. Das ist der, auf den so viele so gern und oft schimpfen.
Was macht das mit einem, der mal Minister war, jetzt im Mittelfeld seiner Fraktion im Landtag sitzt – ohne Amt, ohne persönliche Mitarbeiter, ohne Perspektive auf eine neue Aufgabe? Einer, der zugleich bombardiert wird mit Vorwürfen, zu seinen aktiven Zeiten als Minister so gut wie alles falsch gemacht zu haben. Reinhold Hilbers nimmt das erstaunlich gelassen. Manche in seinem Umfeld sagen sogar, er sei immun gegen Versuche, ihn in seiner Ehre und Eitelkeit zu verletzen. Das einzige, was Hilbers antreibe, sei der Wunsch nach politischer Betätigung. Dann versuche er es immer wieder, in neue Funktionen zu kommen, sobald sich irgendwo eine Möglichkeit bietet. Denn langweilen möchte er sich im Landtag nicht, er möchte gefordert werden. Ein Rückzug ins Private, in seinen Heimatwahlkreis Grafschaft Bentheim – das kommt für ihn auch nicht in Betracht. Ruhestand? Nein, das will er nicht. So kommt es, dass Hilbers sich meldet für Aufgaben, die andere ehemalige Minister wohl als „unter ihrer Würde“ ablehnen dürften. Im Fraktionsvorstand etwa.
Hilbers kennt keine Star-Allüren, insofern hat er die Abwahl der CDU aus der Landesregierung weit besser verkraftet als viele andere. Oder blendet er sein Schicksal vielmehr aus und kann nicht von der Droge Politik lassen? Es gibt Mitstreiter, die schon vor vielen Jahren von seltsamen Erlebnissen mit Reinhold Hilbers berichtet haben: Leute, die ihn heftig beschimpft, attackiert und sogar verbal verletzt haben, sind Minuten nach dem Streit auf ihn zugegangen und haben erlebt, wie er schier unbeeindruckt davon weiterdiskutierte. Ein so dickes Fell, heißt es, haben wirklich nur wenige. Darauf angesprochen, ist er betont gelassen. „Politik ist eine dienende Funktion, und mir geht es um Gestaltung. Jetzt sind wir in der Opposition, und da will ich auch das Beste daraus machen.“ Das dicke Fell, das ist bei ihm Prinzip. Hin und wieder, aber selten, wird er auch als Vorbild gepriesen – so am Montag dieser Woche in der Rede von CDU-Chef Sebastian Lechner.
Wer ist dieser Reinhold Hilbers? Geboren im emsländischen Lingen, Abschluss in der Realschule, dann Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Im zweiten Bildungsweg studierte er an der Fachhochschule Osnabrück, wurde Diplomkaufmann, arbeitete bei Unternehmen, dann als Kreditbearbeiter bei der Volksbank – und danach vier Jahre als Verwaltungsleiter einer Behinderteneinrichtung. 2003 kam er in den Landtag, engagierte sich in der Finanzpolitik. Auch in der Sozialpolitik kennt er sich hervorragend aus. Politisch führte sein Weg von der Jungen Union zur CDU. Wenn man Hilbers einordnen soll, gehört er sicher zur herkömmlichen CDU. Dazu zählen das harte Auftreten in Verhandlungen ebenso wie verlässliche Absprachen. „Politik mit dem Bierglas“ kann man das sicher auch nennen, dominiert von Männern, häufig ausgeweitet in späte Abendstunden und begleitet zuweilen auch von chauvinistischen Erscheinungen. Ein Auslaufmodell der Politik?

In der Zeit, als Hilbers Finanzminister der Großen Koalition war, zwischen 2017 und 2022, eckte er auch bei einigen Parteifreunden wiederholt an. Das mag daran gelegen haben, dass er sein Amt als Finanzminister mit uneingeschränkter Härte zelebrierte, jeden Vorschlag für Mehrausgaben zurückwies und sich als Hüter der Landeskasse verstand. Es war für ihn vermutlich weniger eine Machtdemonstration, sondern die Überzeugung, selbst in der Sache am besten Bescheid zu wissen und seine Aufgabe in der strikten Sparsamkeit zu sehen. Einmal, bei der Klausurtagung der CDU-Landtagsfraktion im Juni 2019, führte das zu einem heftigen Zusammenknall in einer vertraulichen Sitzung. Hilbers unterlag – und nahm es hin. Einstecken, das kann er eigentlich immer.
Typen wie Hilbers mit Ecken und Kanten sieht man heute wenig, und sein Nachfolger als Finanzminister, der Grünen-Politiker Gerald Heere, wirkt weitaus geschmeidiger, nachdenklicher und kompromissbereiter als Hilbers. Das muss nicht nur ein Vorteil sein, vor allem dann, wenn hartes Verhandlungsgeschick gefragt ist. Das Ringen um die Zukunft der Nord/LB war 2023 so ein Thema – zumal auf der anderen Seite, bei den Sparkassen-Leuten aus Süd- und Westdeutschland, auch Akteure vom Schlage Hilbers‘ saßen. Es ging diesmal nochmal gut.
Überhaupt Nord/LB: Die Kraftanstrengung zur Rettung der Landesbank, die 2018 lief und 2019 besiegelt wurde, ist wohl das Meisterstück von Hilbers gewesen. In einem komplexen, teilweise unübersichtlichen Gestrüpp von Interessen, Stimmungen und Eitelkeiten gelang es ihm, fern von zu großem öffentlichen Getöse ein Sanierungsmodell zu schmieden. Ein wacher Verstand, Sattelfestigkeit in den Themen und ein durchaus selbstbewusstes Auftreten halfen ihm dabei. Wegducken? Das gab es bei ihm nicht. Da in der Landespolitik aber die Neukonzeption dieser Landesbank ein Thema blieb, das von vielen als „zu speziell“ abgetan wurde, fiel ein angemessener Dank an Hilbers aus. Vielleicht lag es auch daran, dass er seine andere Rolle als „Mr. Njet“ gegenüber neuen Ausgabenwünschen am Ende übertrieben hatte. Auch bei den eigenen Christdemokraten erschien der Finanzminister vor allem in der Endphase der Großen Koalition als zu unnachgiebig, zu restriktiv. Einige meinten gar, er sei nicht fähig zur Einsicht gewesen. Heute tritt die neue Generation in der CDU weniger hart und sperrig auf, wenn es um die Sparsamkeit geht.

Vielleicht steht Hilbers für einen Politikstil, der nicht mehr aktuell ist. Vielleicht wirkt sein Beharren auf der Schuldenbremse und der strengen Ausgabendisziplin in einer Zeit heftiger Krisen und Umwälzungen wie ein Festklammern an alten Gewissheiten, die es nicht mehr gibt. Vielleicht ist er zu wenig offen gewesen für volkswirtschaftliche Thesen, die vor allem dem Gewerkschaftslager nahe stehen. Manche Verkrampfung in den Diskussionen über seine Politik hätte vielleicht nicht sein müssen. Eine Ehrenrettung von Hilbers soll zum Schluss aber auch noch erwähnt werden. Als Minister trat er immer in Erscheinung wie ein radikaler Wirtschafts- und Finanzpolitiker, dem gesunde Staatsfinanzen über alles gehen und der gern zum Rotstift greift, wenn Ausgabenwünsche der Fachminister zurückgewiesen werden sollen.
So empathielos, wie das scheint, ist Hilbers aber gar nicht. In einem ruhigen Moment eines Presse-Hintergrundgesprächs hatte er einmal ausführlich dargelegt, welche Motive ihn in die Politik getrieben haben. Da war dann viel von ausgleichender Gerechtigkeit die Rede und davon, dass der Staat handlungsfähig bleiben muss, um den Schwachen helfen zu können. Diese sozialpolitische Ader, geleitet von der katholischen Soziallehre, ist bei ihm eben auch charakterbildend. Viele haben es bisher nur noch nicht gemerkt, denn in der Sündenbock-Funktion war er der breiten Mehrheit ja auch lieber: SPD und Grüne haben einen, auf den sie mit den Finger zeigen können – und viele in der CDU sagen auch: Die Hilbers-Zeit war mal prägend für uns, sie ist es aber nicht mehr, wir haben uns von Leuten seines Schlages emanzipiert. Das ist ein Zustand, der den Hauptbetroffenen einsam und traurig machen kann. Aber Hilbers tritt auf wie einer, dem das überhaupt nichts ausmachen kann. Ob das wirklich so ist?