Der Abschuss von Wölfen soll Normalität werden
In früheren Zeiten hatte man Denkmäler errichtet, wenn es gelungen war, einen Wolf zu erlegen. Auch in Niedersachsen findet man heute noch manche dieser sogenannten Wolfssteine, die häufig daran erinnern, dass man den letzten freilebenden Wolf in der jeweiligen Region endlich getötet hat. Der Jäger wurde geehrt, die Jagd verherrlicht. Inzwischen gibt es neue Wolfssteine, die genau auf das Gegenteil aufmerksam machen. Man freut sich, dass der Wolf wieder zurückgekehrt ist, und errichtet ein symbolisches Zeichen am Ort der ersten Sichtung. Etwa seit der Jahrtausendwende gibt es wieder Wölfe in Deutschland, und gerade im Osten und Norden des Landes breiten sie sich immer weiter aus.
Doch mit ihrer Rückkehr in eine völlig neue Kulturlandschaft kamen auch neue Probleme. Zwei Lager haben sich gebildet: die vehementen Befürworter auf der einen Seite und die Gegner des Wolfes auf der anderen. Beide Gruppen stehen sich unversöhnlich gegenüber. In der Mitte versucht nun die Politik seit Jahren, einen Umgang mit dem Wolf zu finden. Es fällt ihr sichtlich schwer.
Keine Ruhe und wenig Sachlichkeit
Die Debatte um den Wolf sei inzwischen viel sachlicher und ruhiger geworden, lobte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) erst vor ein paar Monaten im Plenum des niedersächsischen Landtags. Sachlicher? Ruhiger? Weder Grünen-Fraktionsvize Christian Meyer noch der CDU-Agrarpolitiker und Jäger-Präsident Helmut Dammann-Tamke wollten dieser Einschätzung folgen und straften den Umweltminister auch sogleich lügen. Der eine behauptet, es werde zu „illegalen Abschüssen“ aufgerufen. Der andere rügt, dass Jäger als „Täter“ tituliert und damit kriminalisiert würden.
Wird ein Wolf identifiziert, der Schafe oder (noch schlimmer) sogar Pferde gerissen hat, sorgt das für Aufwallungen bei den Tierhaltern. Taucht ein neuer Film von einem freilaufenden Wolf auf, wie kürzlich aus Celle, sorgt das für Ängste bei der ländlichen Bevölkerung. Wird ein Wolf überfahren, mutmaßen Tierschützer dahinter eine gezielte Tötung. Und wird ein Wolf zum Abschuss freigegeben oder gezielt erschossen, wird das Land direkt verklagt. Die eine Seite sägt angeblich Jägerhochsitze an oder steckt sie in Brand, um die Jagd zu erschweren, die andere lädt ganz öffentlich Tierkadaver vor dem Privathaus einer Wolfsberaterin ab, um Druck zu erzeugen. Ruhe in der Wolfsdebatte? Fehlanzeige.
Lies will Normalität im Umgang mit dem Wolf
Inzwischen sieht sogar Lies ein, dass er mit seiner Einschätzung im Landtag wohl falsch gelegen hat. Doch der Minister wirkt manchmal so, als wolle er die Ruhe und Sachlichkeit allein durch stetiges Wiederholen dieser Haltung erreichen. „Normalität im Umgang mit dem Wolf“ möchte er, erklärte er auch gestern stoisch als Reaktion auf den neusten Widerstand, dem er sich nun vonseiten der Grünen ausgesetzt sieht. Wie Christian Meyer schon im Februar im Politikjournal Rundblick angekündigt hatte, wollen einzelne Abgeordnete der Grünen-Fraktion jetzt vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof gegen die Informationspolitik des Umweltministers klagen.
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Der Vorwurf: Das Umweltministerium informiert nicht mehr über die Abschussgenehmigungen für Wölfe und verhindert damit eine juristische Überprüfung der Fälle. Die Abgeordneten sehen sich in ihren Rechten beschnitten, da nicht einmal sie informiert werden – zumindest nicht alle in öffentlicher Sitzung, sondern nur einzelne im vertraulichen Teil. Die Landesverfassung schreibt aber die Auskunftspflicht der Regierung vor. Die Wolfsjagd sei ein Verwaltungsakt, sagte Helge Limburg, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion. Und ein Verwaltungsakt müsse parlamentarisch und juristisch kontrollierbar sein. Das Ministerium rechtfertigt sein Handeln damit, dass die Preisgabe der Informationen zur Sabotage der Jagd und zur Gefährdung der Jäger und der betroffenen Weidetierhalter führen würde. Mit einem Urteil aus Bückeburg rechnet Limburg frühestens für Anfang 2022.
Zurückhaltend kommunizieren und rasch agieren
Vielleicht ist es dem Umweltminister aber bis dahin schon gelungen, mit seiner neuen Strategie für die gewünschte Normalisierung zu sorgen. Jedenfalls scheint die Geheimhaltung genau dafür ein wichtiger Baustein zu sein. Die Strategie lautet: Zurückhaltend kommunizieren und rasch agieren. Vor anderthalb Jahren sah das noch anders aus. Als man den Rodewalder Rüden suchte, wurde Monate für Monat die Verlängerung der Ausnahmegenehmigung bekanntgegeben. Das Scheitern ebenso wie die geplante Tötung waren regelmäßig präsent. Jetzt bleiben die Genehmigungen der Öffentlichkeit verborgen, und die Umsetzungen scheinen zudem rasch voranzuschreiten.
Das gezielte Durchgreifen wird auch dadurch möglich, dass seit dem vergangenen Jahr die Jäger an der Suche nach den Raubtieren beteiligt werden dürfen. Zuvor hatte dafür noch die rechtliche Grundlage gefehlt. Nach und nach werden nun also mehr Tiere „entnommen“ (so der Fachbegriff), inzwischen hat man immerhin schon vier Wölfe erwischt. Womöglich stellt sich die Normalisierung einfach dadurch ein, dass jeder erneute Abschuss eines Wolfes keine große öffentliche Erregung mehr auslöst. Die Hoffnung mag sein: Der Bürger stampft nicht mehr auf, er stumpft stattdessen allmählich ab. Die Meldung wird immer mehr zur Randnotiz, bis sie irgendwann niemanden mehr interessiert.
Abstrahieren, nicht glorifizieren
Diesem Ziel scheint der Umweltminister nun näher zu kommen. Erst in der Nacht zum Donnerstag war erneut ein Wolf erschossen worden. Er gehörte zum Burgdorfer Rudel, in dem man derzeit wegen vermehrter Angriffe auf gut geschützte Nutztiere den Wolfsrüde und die Fähe sucht. Erschossen wurde nun aber ein anderes, viel jüngeres Tier. Das passierte nicht zum ersten Mal, denn auch bei den drei vorangegangenen Abschüssen hat man nicht den gesuchten Wolf, sondern nur irgendein Mitglied des Rudels erwischt. In einem Fall war es die Fähe statt des Rüden, dreimal waren die Tiere deutlich zu jung.
Das Ministerium verweist an dieser Stelle schlicht darauf, dass auch der Abschuss eines anderen Wolfes des Rudels von der Sondergenehmigung abgedeckt sei, solange ein räumlicher und zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden könne. Auch das kann man als einen Versuch zur Normalisierung, vielleicht sogar zur Nivellierung werten. Der Eindruck wird erweckt, es sei letztlich egal, welches Tier dort getötet wurde – solange das Ergebnis stimmt. Genauso wie es kaum jemanden interessiert, wenn eine Sondergenehmigung zur Entnahme von Luchsen oder Bibern erteilt worden ist. Das Tier wird wieder abstrahiert, nicht glorifiziert.
Olaf Lies will eine unaufgeregte Wolfspolitik. Es sollen keine Denkmäler mehr errichtet werden – weder beim Abschuss, noch bei der erneuten Ansiedelungen eines Tieres. Noch ist dieses Stadium nicht erreicht, aber die Beurteilung der Wolfspolitik verändert sich so schnell, wie sich die Tiere wieder ausbreiten.
Von Niklas Kleinwächter