Brauchen wir vergrößerte Kreise, wenn wir uns künftig noch überall gutes Fachpersonal leisten wollen? Der Rundblick bereitet das Thema in einer Serie auf. Heute der vierte Teil: Eine kleine Einheit kann zum Problem werden.

Vor wenigen Wochen ist etwas geschehen, das in der Geschichte des Politikjournals Rundblick schon außergewöhnlich war, wenn nicht einmalig. Die Redaktion hatte sich in ihrer Recherche für diesen Text an die Landrätin von Holzminden gewandt, Angela Schürzeberg. Ihr wurde ein Katalog mit Fragen zu ihrer Amtszeit übersandt, zu Ereignissen der vergangenen Jahre. Ob Abfallentsorgung oder Baugenehmigungen, Haushaltspolitik oder Denkmalschutz – im Kreis Holzminden hatte es einige umstrittene Vorhaben gegeben.

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Tatsächlich antwortete die Landrätin darauf auch in der von uns vorgeschlagenen Frist, allerdings nicht in einem Schreiben oder einer Mail, sondern per Veröffentlichung auf der Website des Landkreises. Sie verknüpfte das auch mit Vorwürfen an die Redaktion: Mit den Fragen und einer „vorgefassten politischen Meinung“ hätten ihre politischen Gegner versucht, über den Rundblick „mich zu denunzieren“, schrieb Schürzeberg und sprach dem Rundblick die journalistische Sorgfalt ab. Das ganze wirkte wie eine Strafaktion dafür, dass wir es gewagt hatten, unbequeme Fragen an sie zu richten.


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Der Vorgang offenbart einen höchst ungewöhnlichen Umgang einer Behörde mit einer Presseanfrage, der Deutsche Journalisten Verband sah im Agieren Schürzebergs sogar eine Verletzung der Pressefreiheit. Und die örtliche Tageszeitung, der „Tägliche Anzeiger Holzminden“, erinnerte sich an ähnlich gelagerte Verhaltensweisen der Landrätin, die am 1. November aus dem Amt scheidet und von einem Nachfolger ersetzt wird.

Kann der kleine Landkreis noch qualifiziertes Personal finden?

Nun diente die Rundblick-Recherche nicht der Klärung der Frage, mit welchem persönlichen Stil die SPD-Politikerin Schürzeberg ihr Amt ausübte und ob ihre Nerven blank liegen. Vielmehr interessiert uns die dahinter liegende Frage: Ist ein kleiner Landkreis wie Holzminden mit gut 70.000 Einwohnern überhaupt in der Lage, seine Verwaltungsarbeit noch in der erforderlichen Qualität, Sachbezogenheit und Kontinuität zu leisten? Kann er noch qualifiziertes Fachpersonal für die entscheidenden Stellen finden?

Der Kreis liegt im wunderschönen Weserbergland, allerdings abgelegen von den Hauptverkehrsrouten. Er leidet sehr stark unter der Entwicklung von Alterung und Bevölkerungsrückgang. Da die vergangenen Jahre für alle Landkreise keine schlechten waren, die Steuereinnahmen wie selten zuvor sprudelten, traten die noch zu Beginn des Jahrtausends virulenten Finanzprobleme nicht mehr so deutlich zutage. Außerdem hat Holzminden einige kräftige Gewerbesteuerzahler, eine verlässliche Einnahmequelle.

Die Zahl derer, die hier aufgeschlossen sind und vorausdenken, ist klein und übersichtlich.

Trotzdem ist der Ruf nach einer Fusion des Kreises Holzminden mit dem benachbarten Kreis Hameln-Pyrmont (und eventuell zudem noch mit dem daran angrenzenden Kreis Schaumburg) nicht neu. Schon Schürzebergs Vorgänger Walter Waske (SPD), der lange für die Eigenständigkeit seines Kreises kämpfte, sah sich vor zehn Jahren, gegen Ende seiner Amtszeit, gefordert zu Fusionsgesprächen. Er startete diese zunächst mit Northeim und Hildesheim, auch mit Hameln-Pyrmont. Die Verhandlungen verhakten sich in Details, am Ende wurde nichts daraus. 2011 trat Waske ab, damit versandete auch das Thema.

In seiner Nachbarschaft galt Hamelns Landrat Rüdiger Butte (SPD) als weitsichtiger Kopf, er war der Motor der Versuche, behutsam und beharrlich an einem Modell für eine Kreisreform zu tüfteln und damit die Leistungsfähigkeit der Verwaltung zu stärken. Doch 2013 wurde Butte in seinem Büro ermordet. Auch damit wurde leider ein Schlusspunkt für derartige Reformpläne gesetzt. Parallel gab es in der Landesregierung etwa seit 2011 – erst bei CDU/FDP und dann bei SPD/Grünen – keine erkennbaren Versuche mehr, eine Neuordnung in Gang zu bringen. „Die Zahl derer, die hier aufgeschlossen sind und vorausdenken, ist klein und übersichtlich“, meint ein Insider.

Landrätin hinterlässt ihrem Nachfolger eine Finanzkrise

Was aber macht nun ausgerechnet den kleinen Kreis Holzminden zu einem „schlechten Beispiel“, zu einem Symbol dafür, dass kleine Kreise an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geraten? In den zurückliegenden Jahren gab es mehrere Vorkommnisse, die diesen Eindruck nahelegen. 2012 wurde ein zweiter Müllvertrag geschlossen, ohne dass der erste rechtzeitig gekündigt worden war. Die Landrätin war damals noch neu im Amt – aber hätte die Verwaltung nicht so gut organisiert sein müssen, dass ihr ein solcher Fehler nicht hätte passieren können? Dann fehlte monatelang in der Kreisverwaltung der wichtige Baudezernent, weil einfach kein geeigneter Bewerber gefunden wurde.

Berichte über verzögerte Baugenehmigungen wurden laut, über Versäumnisse in der Ausländerbehörde, über ein kostenaufwendiges Modell der Schulsanierung, das auch vom Kreistag mitzuverantworten war, nicht allein von der Verwaltungsspitze. Überhaupt: Die Zersplitterung der politischen Landschaft bildet sich auch in der Kommunalvertretung des Landkreises wider. Das ist nun beileibe kein Spezifikum von Holzminden, man sieht dieses Phänomen der Klein- und Kleinstgruppen landesweit, auch in größeren Städten. Nur in Holzminden war die politische Szenerie lange Zeit von heftigen gegenseitigen Angriffen und Konflikten geprägt, wenig vom Geist der gemeinsamen Zusammenarbeit. Und die Landrätin lieferte ihren Anteil dazu, den Zustand nicht zu verbessern. Das Brückenbauen verstand sie eben nicht.


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Wie geht es nun weiter? Ende Mai gab es in Holzminden die Neuwahl des Landrats. Der von CDU und FDP gestützte Bewerber Michael Schünemann (parteilos), bisher Leiter der Gebäudewirtschaft, trat im Wahlkampf wie ein zupackender Manager auf und verkündete: „Ich möchte als Ihr Landrat ‚vor Ort‘ anpacken und gemeinsam mit Ihnen unseren schönen Landkreis weiter nach vorne bringen.“

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Schünemann gewann mit deutlicher Mehrheit, in wenigen Tagen wird er der neue Chef im Kreishaus. Sein Start indes wird überschattet von Hiobsbotschaften. Wie der „Tägliche Anzeiger“ gestern berichtete, fehlen plötzlich 3,7 Millionen Euro in der Kasse des Kreises – weil für die Jugendhilfe 4,8 Millionen Euro mehr als geplant ausgegeben werden mussten. Die Landrätin hinterlässt ihrem Nachfolger eine Finanzkrise. Der Titel in der Lokalzeitung lautet: „Landkreis Holzminden finanziell vor dem Offenbarungseid“. (kw)