Kultusministerin Julia Willie Hamburg hat mit ziemlich vielen Problemen zu kämpfen. Der Fachkräftemangel breitet sich auf die Schulen aus, weder Lehrer noch Sozialpädagogen sind zu finden. Welche Reformen wird sie dem Landtag vorschlagen, auf welche Belastungen müssen sich Lehrer, Schüler und Eltern einstellen? Im Gespräch mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter äußert sich die Grünen-Politikerin zu aktuellen Fragen; dokumentiert von Klaus Wallbaum. Podcast anhören: Podigee | Spotify | Apple-Podcast | Deezer

Abgeordnete, Kultusministerin, Vize-MP: Julia Hamburg von den Grünen. | Foto: Link

Rundblick: Wie haben Sie sich in der Ministerrolle eingefunden? Ist das ein Unterschied zu vorher?

Hamburg: Vorher war ich Landtagsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende. Das ist ein anderes Arbeiten – im Ministerium bin ich für tausende Mitarbeitende verantwortlich. Ich kann vor allem gestalten, das ist spannend und das gefällt mir gut.

Rundblick: Sie sind auch Vize-Ministerpräsidentin. Was genau bedeutet diese Rolle eigentlich, zumal sie in der Verfassung gar nicht erwähnt wird?

Hamburg: Es geht in erster Linie darum, die Grünen in der Regierung zu vertreten und darauf zu achten, dass unsere Partei in der Regierung mit einer Stimme spricht. Dazu zählen die frühzeitigen Absprachen zu Kabinettsvorlagen und ähnlichen Themen, auch die Schwerpunkte bei den Haushaltsberatungen. Formal vertrete ich den Ministerpräsidenten bei Terminen oder auch in Sitzungen.



Rundblick: Seit 2013 sind Sie Landtagsabgeordnete. Was macht dieses Amt für Sie aus?

Hamburg: Ich habe es immer als spannend empfunden, die Aufgabe der Gesetzgebung auszuüben – und dabei darauf zu achten, dass die Vorschriften für alle Bereiche im Land passen. Das ist vielfältiger als viele denken. Die Anforderungen im Oberharz sind dann oft andere als die in Hannover-Mitte. Und immer wieder geht es auch darum, wie viel Geld für wichtige Vorhaben bereitgestellt wird.

Rundblick: Was sagen Sie jungen Menschen, die sich politisch engagieren wollen? Den Weg in die Politik kann man doch nicht planen, oder?

Hamburg: Nein, das kann man nicht. Ebenso wenig kann man bestimmen, wann Schluss ist mit der Politik, das kann jederzeit vorbei sein. Umso wichtiger ist es, sein Leben so zu planen, als würde man nicht in die Politik gehen und immer eine Perspektive zu haben.

Im Politiknerds-Podcast waren auch persönliche Lebensentscheidungen der Ministerin ein Thema. | Foto: Link

Rundblick: Aber Sie haben kein abgeschlossenes Studium…?

Hamburg: Bei mir war es so, dass ich zum zweiten Mal Mutter wurde und schwer erkrankte und das Studium unterbrochen habe. Ich nahm eine Auszeit und habe mich ins Leben zurückgekämpft. Ich war damals bereits Landtagsabgeordnete. Sie fragten ja auch, ob mich der nicht vorhandene Abschluss beschäftigt: Klar trägt man nicht abgeschlossenes mit sich rum – aber es ist nun, wie es ist.

Rundblick: Und in der Schule – was waren Ihre Lieblingsfächer? Wie war die Abiturnote? Hatten Sie Lieblingslehrer?

Hamburg: Meine Abiturnote war 1,5. Musik und Englisch waren meine Lieblingsfächer, ich mochte Sprachen gern und bin richtig gerne zur Schule gegangen. Lieblingslehrer waren jene, die gebrannt haben für ihre Aufgabe, die Schüler wie mich mitziehen und begeistern konnten. Natürlich hatte ich auch negative Erlebnisse in der Schule und habe gesehen, wie einzelne Schüler abgehängt wurden – weil sie Außenseiter waren oder nicht mehr mitgekommen waren. Leider gab es auch Lehrer, die dann mit Häme auf diese schwachen Schüler geschaut haben, die das Gymnasium verlassen mussten.

„Wir müssen uns um die Qualität der Bildung kümmern und nicht darum, welche Schulform besser oder schlechter wäre.“

Rundblick: Ist das Gymnasium zu elitär?

Hamburg: „Das“ Gymnasium gibt es nicht. Es gibt Schulen, die ein Profil haben, das sie selbst als elitär bezeichnen. Es gibt Schulen, die auch als Gymnasium das Profil haben, alle Kinder, die sie anwählen, mitzunehmen. Es gibt so viele verschiedene Schulen wie Schüler, die sie besuchen.

Rundblick: Man hat den Eindruck, es entwickelt sich eine Zweiteilung – die Gymnasien hier, die anderen Schulformen, die sich in Richtung Integrierter Gesamtschulen entwickeln, dort. Ist diese Zweiteilung gewollt?

Hamburg: Wir haben eine Vielfalt an Schulformen. Und die gibt es. Ich finde, wir müssen uns um die Qualität der Bildung kümmern und nicht darum, welche Schulform besser oder schlechter wäre. Insofern habe ich kein Interesse an Schulstrukturdebatten.

Der Lehrermangel ist das Problem ihrer Amtszeit, wird aber nicht allein in diesen fünf Jahren zu lösen sein. | Foto: Link

Rundblick: Sie haben gleich nach Amtsantritt schonungslos gesagt, wie schlecht die Lage ist, wie groß der Fachkräftemangel ausfällt und welche Probleme wir noch über viele Jahre in den Schulen haben werden. War das ein Schritt, der Sie erleichtert hat?

Hamburg: Nein, darum ging es nicht. Ich wollte eine Gestaltungsdebatte anstoßen und deutlich machen, dass gute Schulpolitik derzeit nicht am fehlenden Geld scheitert – sondern daran, dass wir einfach nicht genügend Köpfe haben.

Rundblick: Was sagt denn die Zahl von 96 Prozent Unterrichtsversorgung aus?

Hamburg: Es ist eine statistische Zahl, die Unterrichtsversorgung heißt, aber nicht nur Unterricht meint. Sie beinhaltet auch Ganztagsangebote, Angebote zur Sprachförderung oder sonderpädagogische Zusatzbedarfe. Das Problem: Die Zahl 96 Prozent sagt uns erst einmal, es reicht nicht, sie sagt uns aber nicht, wofür es nicht reicht. Vor vielen Jahren haben viele in der Politik damit gerechnet, dass die Zahl der Schüler tendenziell abnehmen wird – und wir dann genügend Lehrkräfte haben werden. Es ist anders gekommen.

„Eine Vier-Tage-Woche wegen des Fachkräftemangels ist indiskutabel.“

Rundblick: Wann werden Sie über Veränderungen im Schulalltag entscheiden, nachdem es eine erste große Konferenz mit Verbänden, Fachleuten und Wissenschaftlern gegeben hat?

Hamburg: Wir haben ja im März einen großen Arbeitsprozess begonnen und suchen gemeinsam in großer Runde Wege, wie wir dem Fachkräftemangel begegnen und Schule besser machen. Das ist wirklich sehr wertvoll. Die nächste große Gesprächsrunde mit Experten, Praktikern und Verbandsvertretern wird es noch vor der Sommerpause geben.

Rundblick: Sagen Sie doch schon mal, was Sie von einzelnen der in der Debatte geäußerten Vorschläge halten. Was taugt und was ist murks? Was ist mit der Vier-Tage-Woche an Schulen?

Hamburg: Eine Vier-Tage-Woche wegen des Fachkräftemangels ist indiskutabel. Es gibt einzelne Schulen, die praktizieren einen unterrichtsfreien Tag – einen Frei-Day – in der Woche, um dann Projekte anzubieten. So etwas soll weiter möglich sein.

Rundblick: Was ist mit einer Sechs-Tage-Woche, also Unterricht auch am Sonnabend?

Hamburg: Das steht gar nicht zur Debatte.

Rundblick: Sollen Unterrichtsfächer zusammengelegt werden?

Hamburg: Das ist keine Maßnahme, die eine Antwort auf den Fachkräftemangel gibt – es ist eine Qualitätsdebatte. Mit der Maßnahme würden wir weder Stunden noch Lehrkräfte sparen. Es gibt bereits heute Schulen, die einen gemeinsamen Naturwissenschaftsunterricht haben, damit die Kinder vernetzt und interdisziplinär denken lernen. Das ist etwas, was wir für die Zukunft viel mehr brauchen. Wenn es zum Beispiel um das Auge geht, können biologische Fragen der Körperorgane und physikalische der Optik fächerübergreifend verknüpft werden. Diese Angebote wollen wir mehr Schulen ermöglichen.



Rundblick: Soll der Unterricht sich stärker auf die Kernfächer konzentrieren?

Hamburg: Wir bereiten tatsächlich vor, den Grundschulen mehr Raum zu geben, die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen zu stärken. Aber wer meint, dann könne man auf Musik oder Sport verzichten, der irrt. Übrigens kann man auch im Sportunterricht viel über das Rechnen lernen. Basiskompetenzen spielen in allen Fächern eine Rolle.

Rundblick: Hilft eine Anhebung der Lehrerbesoldung auf A13 für alle?

Hamburg: Die Besoldung nach A13 für Grund-, Haupt- und Realschullehrkräfte wird kommen, darüber besteht Konsens. Wir prüfen gerade, ob wir es schrittweise einführen oder auf einen Schlag. Die Angleichung ist eine Frage der Gerechtigkeit – aber ich glaube nicht, dass Lehrkräfte wegen der Gehaltsfrage großflächig nach NRW oder Hessen abwandern. Zumal auch diese Länder Stufenpläne umsetzen, also die Anhebung nicht sofort vollziehen. Das Gehalt dürfte auch nicht ausschlaggebend für die Frage sein, ob man Lehrer werden will oder nicht.

„Quereinsteiger werden unsere Probleme in den Schulen nicht lösen, sind aber ein Baustein.“

Rundblick: Hilft ein Bürokratieabbau, eine Entlastung der Lehrer von Verwaltungsaufgaben?

Hamburg: Wir arbeiten intensiv an diesem Thema. Nicht jede Form von Statistik und Datenerfassung ist verzichtbar. Oft kann sie dabei helfen, die Schüler gezielt zu fördern. Die Digitalisierung kann uns hier weiterhelfen, kann viele Prozesse erheblich vereinfachen. Konkret erproben wir gerade in einem Modellprojekt an 25 Schulen den Einsatz von Verwaltungsassistenten. Hier kann auch nicht-pädagogisches Personal eingesetzt werden.

Rundblick: Wie kann man mehr pensionierte Lehrer reaktivieren?

Hamburg: Das funktioniert, ist aber teilweise noch bürokratisch sehr aufwendig. Wenn beispielsweise Pensionäre im Mai ihren Urlaub machen wollen und nicht während der Sommerferien, dann muss man darauf eingehen. Außerdem geht es auch darum, ältere Lehrer zu überzeugen, ihren Ruhestand noch etwas aufzuschieben.

Rundblick: Brauchen wir mehr Quereinsteiger?

Hamburg: Sie werden unsere Probleme in den Schulen nicht lösen, sind aber ein Baustein. Wir wollen das weiter erleichtern und verbessern – Menschen mit anderen Qualifikationen müssen aber auch nicht unbedingt als Lehrkraft eingesetzt werden, sondern vielleicht auch als zusätzliche Kräfte. Ein Ingenieur oder eine Ingenieurin kann einen Teil des Physikunterrichts hervorragend gestalten, ohne gleichzeitig der Klassenmanager zu sein. Wir prüfen außerdem, wie wir Quereinsteigende noch besser fortbilden und qualifizieren können.

Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter sprach im Podcast-Studio des Politikjournals Rundblick mit Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne). | Foto: Link

Rundblick: Soll man den Ganztag auf Eis legen und die Lehrer auf den Kernunterricht beschränken?

Hamburg: Das ist murks, wenn Sie schon gezielt nach einer Einschätzung mit dieser Bezeichnung fragen.

Rundblick: Soll man sich von der Inklusion verabschieden, die sehr viele Lehrkräfte und viel Unterstützungspersonal bindet?

Hamburg: Das ist indiskutabel.

Rundblick: Soll man im Ausland erworbene Lehrer-Abschlüsse einfacher bei uns anerkennen?

Hamburg: Daran arbeiten wir.



Rundblick: Soll man die Klassengrößen erweitern – und so mehr Schüler je Lehrkraft unterrichten?

Hamburg: Experten haben angeregt, Klassen, die nicht gefüllt sind, gemäß Klassenbildungserlass aufzufüllen und gegebenenfalls auch Klassen zusammenzulegen – natürlich ohne die mögliche Maximalzahl zu überschreiten. Das gehört zu den Dingen, die wir uns anschauen – aber eine generelle Vergrößerung der Klassen sehe ich nicht.

„Wenn jemand freiwillig mehr unterrichten will, unterstützen wir das. Eine höhere Unterrichtsverpflichtung für alle sehe ich nicht.“

Rundblick: Könnten kleine Grundschulen geschlossen werden, da sie weder effektiven Lehrereinsatz ermöglichen – noch die pädagogische Unterrichtsqualität sicherstellen können?

Hamburg: Ich glaube nicht, dass dies passieren wird, auf jeden Fall nicht flächendeckend. Bei sehr kleinen Grundschulen stellt sich eher die Frage, ob zum Beispiel über Schulverbünde die Angebotsbreite und damit Qualität erweitert werden kann. Das entscheidet der Schulträger.

Rundblick: Soll man die Arbeitszeitverpflichtung für Lehrer erhöhen?

Hamburg: Wenn jemand freiwillig mehr unterrichten will, unterstützen wir das. Das gilt auch für Teilzeitkräfte, die aufstocken wollen. Eine höhere Unterrichtsverpflichtung für alle sehe ich nicht.