21. Jan. 2024 · 
Kultur

Corona-Aufarbeitung (6): Kirchen haben sich früh durchgesetzt, bereuen aber anfängliches Zögern

Die Corona-Pandemie gilt als überwunden. Doch diese Phase mit ihren Unsicherheiten und ihren strengen Schutzmaßnahmen hat Wunden hinterlassen. Menschen wurden persönlich verletzt, ganze Bevölkerungsteile stehen einander noch immer unversöhnlich gegenüber. Eine Aufarbeitung konnte aber angesichts der neuen Krisen bislang nicht vorgenommen werden. Was kann helfen? Ein Blick auf das Narbengewebe, das sich auf der Seele der Gesellschaft gebildet hat. Heute: die Kirchen.

Foto: coldsnowstorm via Getty Images

Die Kirchen in Deutschland dürften sich inzwischen daran gewöhnt haben, in einer Pattsituation festzustecken: den einen sind sie zu verstaubt, den anderen schon zu progressiv. Egal, was man tut: Irgendjemand wird sich immer beschweren, niemandem können sie es recht machen. So scheint es auch inmitten der Corona-Pandemie gewesen zu sein – und auch noch in der Nachbetrachtung. Während sich die einen darüber echauffierten, was die Kirchen alles durften, zum Beispiel recht bald wieder Gottesdienste feiern, regten sich die anderen darüber auf, dass die Kirche sich weggeduckt habe.

Der Vorwurf lautet mitunter noch heute, die Kirche habe sich mit dem Staat verbrüdert, habe dadurch Schuld auf sich geladen und hätte doch besser „in den Widerstand gehen“ sollen. Bei denjenigen, die in den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ohnehin eine große Verschwörung sahen, die im Infektionsschutzgesetz Parallelen zum Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten erkannten, lag die Widerstands-Analogie in Bezug auf die Kirchen nahe. Schließlich gab es ja auch im Dritten Reich die verfassten Kirchen, die geschwiegen oder mitgemacht haben, und nur Einzelne, die Widerstand geleistet haben. Corona-Leugner hatten auf diese widerständige Kirche gehofft und fühlten sich betrogen.

Von einer „grundfalschen Analogie“ sprach die Theologin Petra Bahr in diesem Zusammenhang vor einigen Monaten bei einer Diskussionsveranstaltung in der hannoverschen Marktkirche. Insgesamt betonte sie zweierlei: Zunächst müsse man bei einer Aufarbeitung der Corona-Zeit berücksichtigen, dass man im Rückblick vielleicht manches anders gemacht hätte. Heute verfüge man über ein anderes Wissen. Sie sprach sich also für eine gewisse Barmherzigkeit aus. Dann aber schlug sie auch selbstkritische Töne an. Sie bemängelte, dass die Kirchen zunächst zu wenig Hoffnung und Trost gespendet hätten. Auch habe man sich zu Beginn nicht ausreichend um die Alleinsterbenden gesorgt und zu wenig über Trauerkultur gesprochen. Doch diese anfängliche Zurückhaltung habe nicht lange angedauert, sehr früh und laut habe sich die Kirche mit der Regierung angelegt, berichtete die hannoversche Regionalbischöfin Bahr. Sie selbst hat sich wiederholt für einen anderen Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Pandemie starkgemacht, zum Beispiel auch im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

„Die Kirche hat nach dem Stand der Kenntnis damals vernünftig gehandelt.“

Den Moment, in dem die Kirchen ihre Zurückhaltung auch öffentlich abgelegt haben, lässt sich ziemlich genau datieren: Am 20. Oktober 2020, also im ersten Herbst der Pandemie, als die Erleichterungen des Sommers wieder nachließen und etwa Maskenpflichten verschärft wurden, meldeten sich die acht evangelischen und katholischen Bischöfe Niedersachsens mit einer ökumenischen Protestnote zu Wort. In einer gemeinsamen Erklärung formulierten die leitenden Geistlichen unter anderem die klare Erwartungshaltung, dass auch künftig Angehörige und Seelsorger Zugang zu Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen erhalten müssten. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer bekannte schon damals selbstkritisch, dass sich die Kirchen ebenso wie die übrige Gesellschaft im März und April des Jahres in einer „Schockstarre“ befunden hätten. „Die Kirche hat nach dem Stand der Kenntnis damals vernünftig gehandelt“, erklärte Ralf Meister, Bischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, in jener denkwürdigen Pressekonferenz. Anschließend führte er aus, dass man inzwischen aber viel mehr über das Corona-Virus und mögliche Schutzmaßnahmen wisse. Man sprach sich für Präsenzunterricht und Begegnungen unter Gleichaltrigen aus und warb für kreative Gottesdienstformen und Zuversicht. Zaudernde Journalistenfragen verleiteten Bischof Meister schließlich zu einer bemerkenswerten und mit Verve vorgetragenen Einschätzung: „Wenn die Gesellschaft in der Pandemie in der Angst gefangen bleibt, wird es auch keinen Ausgang aus der Situation geben. Dann ist die einzige Konsequenz, dass wir eine Ordnungspolitik machen, die totalitär wird und die gegenüber dem Lebensschutz alle Freiheitsrechte kassiert. Das kann keine Option einer demokratischen Gesellschaft sein.“ Zu diesem Zeitpunkt dauerte die Auseinandersetzung mit der Pandemie erst knapp ein halbes Jahr, anderthalb weitere lagen noch in der Zukunft.

„Wir haben uns zwar für die Jugendarbeit eingesetzt, aber wir hätten mutiger sein müssen.“

Mit einigem Abstand blickt heute auch Kerstin Gäfgen-Track, Bevollmächtigte der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, noch einmal selbstkritisch auf die Pandemiejahre und die Entwicklungen danach zurück. „Wir haben begriffen, dass wir sagen müssen, was das Wesentliche ist – für uns und für die Menschen“, erklärte die Theologin im Interview mit dem Politikjournal Rundblick. Zum einen seien das die Gottesdienste, die den Menschen mit Kerzen, Beten und Spiritualität Halt, Hoffnung und Trost geben können. Es brauche einen Ort, an dem man nicht allein sein muss und der Ansprache und Auseinandersetzung mit der Situation bietet, argumentiert die Theologin, die so auch während der Pandemie gegenüber der Landesregierung erfolgreich für die Öffnung der Kirchentüren geworben hatte.

Ein zweiter entscheidender Punkt sei die Jugendarbeit. „Da hätten wir besser agieren müssen. Wir haben uns zwar für die Jugendarbeit eingesetzt, aber wir hätten mutiger sein müssen“, bekennt Gäfgen-Track heute. Nicht zuletzt stehe für die Kirche zudem die Seelsorge im Vordergrund, die man auf allen Kanälen anbieten müsse. „Damit waren wir gut – so gut es eben ging.“ In der Zeit nach der Pandemie habe die Kirche diesen Corona-bedingten Fokus auf das Wesentliche allerdings wieder verloren, beklagt die Oberlandeskirchenrätin. „Wir haben unser Profil geschärft. Aber jetzt beginnen wir wieder, uns zu verzetteln.“ Mit Blick auf eine Kirche, die in Zukunft mit knapperen Ressourcen wird auskommen müssen, wirbt sie dafür, jetzt nicht jedes Angebot in allen Gemeinden mit aller Kraft wiederbeleben zu wollen.

Dieser Artikel erschien am 22.1.2024 in Ausgabe #011.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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