Der niedersächsische Automobilzulieferer und Reifenhersteller Continental steht kurz vor einem Komplettrückzug aus Russland. „Wir befinden uns bereits in fortgeschrittenen Gesprächen zum Verkauf unserer Geschäftsaktivitäten“, sagte Vorstandschef Nikolai Setzer am Mittwoch bei der Jahrespressekonferenz des Konzerns in Hannover vor Journalisten.

Nikolai Setzer und Katja Dürrfeld blicken vorsichtig optimistisch auf das Geschäftsjahr 2023. | Foto: Continental AG

Dabei sei unter anderem der Verkauf des Automotive-Werks in Kaluga in der Nähe von Moskau vorgesehen. „Für den erfolgreichen Abschluss des Verkaufsprozesses stehen noch erforderliche regulatorische Genehmigungen aus“, berichtete der CEO. In Russland hat das Unternehmen insgesamt etwa 1200 Mitarbeiter, die seit einigen Monaten weitgehend autark arbeiten und kaum noch in Kontakt mit der Conti-Zentrale in Hannover stehen. Finanzvorständin Katja Dürrfeld hat aufgrund der internationalen Sanktionen gegen das Land zuletzt Vermögenswerte in Höhe von rund 87 Millionen Euro „wertberichtigen“ müssen. Viel größer sind aber die Auswirkungen anderer Sondereffekte auf den Nettogewinn des Konzerns, der um rund 1,4 Milliarden Euro auf einen zweistelligen Millionenbetrag geschrumpft ist. „Dabei handelt es sich größtenteils um Wertminderungen im Unternehmensbereich Automotive infolge des gestiegenen Zinsniveaus“, erläuterte Dürrfeld. 

Umsatzanstieg ist bei Contitech geringer als erwartet

Enttäuscht zeigte sich die Finanzvorständin vom Abschneiden des Unternehmensbereichs Contitech, in dem ein Fünftel der 200.000 Conti-Beschäftigten tätig ist. Während sich die Automotive- und die Reifen-Sparten überraschend gut entwickelten, fiel der Umsatzanstieg bei Contitech geringer aus als erwartet. Als Gründe dafür nannte Dürrfeld „gestiegene Produktionskosten, eine unvorteilhafte Absatzentwicklung von Produkten mit geringerer Ertragskraft sowie pandemiebedingte Geschäftseinschränkungen in China“. Konzern-Chef Setzer kündigte in diesem Zusammenhang eine „strategische Neuausrichtung“ für Contitech an, die im Mai beginnen soll. „Ziel ist, die Schlagkraft und Effizienz sowie Kunden- und Marktnähe zu erhöhen“, sagte der CEO. Ins Detail ging Setzer dabei zwar nicht. Er kündigte jedoch an, das Automobilgeschäft zur Schaffung von Synergieeffekten bündeln und noch mehr auf Kooperationen mit externen Partnern setzen zu wollen.

Automotive-Bereich: Fokus soll mehr auf Ausbau des Industriegeschäfts liegen

Außerdem werde sich Contitech stärker auf den Ausbau des Industriegeschäfts fokussieren. „Direkte Personalmaßnahmen“ seien in diesem Zusammenhang bislang nicht geplant. „Wir schauen uns immer wieder an: Können wir effizienter und besser werden?“, sagte Setzer. Für den Automotive-Bereich stellte der Vorstandschef dagegen einen weiteren Personalaufbau in Aussicht, nachdem Conti hier zuletzt schon um fast 9000 Mitarbeiter gewachsen war. Die Automotive-Sparte ist zwar der Unternehmensbereich mit der niedrigsten Gewinnmarge, macht aber etwa die Hälfte des Umsatzes aus und bereitet Setzer derzeit besonders viel Freude: „Hier sehen wir, dass sich auch unser Ergebnis inzwischen in die richtige Richtung entwickelt. Zuversichtlich stimmt uns zudem: Der Bereich ist zuletzt schneller gewachsen als die globale Fahrzeugproduktion.“ Besonders gut laufe das Geschäft mit Kameras und Radarprodukten, Bremssystemen, Airbagsteuergeräten, Vernetzungstechnologien, Fahrzeugelektroniken, Displaylösungen und Hochleistungsrechnern.



Dürrfeld blickt „verhalten optimistisch“ in die Zukunft. „Wir erwarten eine weitere Erholung der weltweiten Produktion von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen“, sagte die Finanzvorständin. Allerdings rechnet sie im Geschäftsjahr 2023 auch mit erhöhten Kosten bei Material, Löhnen, Gehältern, Energie und Logistik, die sich auf 1,7 Milliarden Euro aufsummieren. 2022 hatte Continental bereits 2,3 Milliarden Euro vor allem aufgrund von Materialkostensteigerungen drauflegen müssen. Besonders betroffen seien die Preise für rohölbasierte Vorprodukte und Gase für die Kautschuksynthese gewesen. Bei der Weitergabe der Kostensteigerungen an die Kunden war Continental allerdings sehr erfolgreich.

„Der amerikanische Markt hat für uns seit langem schon Priorität.“

Die Diskussionen um das Verbrenner-Aus und E-Fuels haben laut Setzer keinen Einfluss auf das Conti-Geschäft. „Wir sind vom Antriebsstrang nahezu unabhängig“, sagte der CEO. Auch dem immer härter werdenden Kampf um Fachkräfte blickt er gelassen entgegen. „Den ‚War of Talents‘ sehen wir schon seit einiger Zeit“, sagte Setzer. Auf die Frage, ob Continental den Verlockungen des Inflation-Reduction-Acts folgen und sein Geschäft in den Vereinigten Staaten ausbauen wird, antwortete der Conti-Chef nur ausweichend. Man werde sich die Anreize aus den USA „anschauen und bewerten“. „Der amerikanische Markt hat für uns seit langem schon Priorität“, fügte Setzer hinzu. Und auch das Engagement in China will der Konzernchef ausbauen. Zu den Folgen des Cyberangriffs auf Continental im Sommer 2022 konnten die beiden Vorstandsmitglieder keine Neuigkeiten berichten. „Ein endgültiger Schadensbericht liegt noch nicht vor“, sagte Dürrfeld. Der Konzern sei immer noch damit beschäftigt, den Datenabfluss von insgesamt 40 Terabyte zu analysieren.