13. Nov. 2023 · Inneres

Chef der Bundeswehr in Niedersachsen warnt: „Kriegstüchtigkeit ist bisher nicht erreicht“

„Wir müssen kriegstüchtig werden“: Mit seiner Warnung vor der Kriegsgefahr in Europa hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einen heiklen Punkt angesprochen. Trotz des vom Bund aufgelegten Sondervermögens ist man insbesondere innerhalb der Bundeswehr äußert skeptisch, ob die Anstrengungen zur Modernisierung der Streitkräfte tatsächlich ausreichen. Auch in Niedersachsen ist die Lage verbesserungswürdig. „Die Kriegstüchtigkeit des Landeskommandos ist bisher weder in materieller noch in personeller Sicht erreicht“, sagt Oberst Dirk Waldau.

Oberst Dirk Waldau (rechts) spricht beim Standortempfang des Landeskommandos in Hannover. Links hinter ihm steht Oberst Manfred Schreiber, der Kommandeur des neuen Heimatschutzregiments 3. | Foto: Link

Bei einem Standortempfang in Hannover zum 68. Jahrestag der Bundeswehr-Gründung zog der Kommandeur des Landeskommandos Niedersachsen eine durchwachsene Bilanz: „Unsere Personallage ist gut bis ausreichend. Die Nachwuchslage ist teilweise unbefriedigend. Und die materielle Ausstattung reicht von sehr gut bis mangelhaft.“ Die Digitalisierung der Bundeswehr steckt laut Waldau noch in den Kinderschuhen. „Viel zu viele Prozesse laufen noch papiergestützt oder händisch ab“, beklagte der Kommandeur. Außerdem stelle die Unterstützung der Ukraine mit Material und Ausbildung die Bundeswehr vor Herausforderungen. „Das bindet Kräfte und schränkt unsere eigene Ausbildung ein“, sagte er.

Als größte Baustelle betrachtet Waldau den Heimatschutz – also den Schutz vor Sabotage, Falschinformationen, Cyber-Angriffen sowie der Ausspähung wirtschaftlicher und militärischer Strukturen. Die strikte Aufgabenteilung nach dem Motto „Polizei nach innen, Bundeswehr nach außen“ gestalte sich angesichts der neuen Herausforderung jedoch schwierig. „Möglicherweise ist die bisherige Aufgabentrennung nicht mehr die beste Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit“, gibt Waldau zu bedenken und kündigt an: „Das Landeskommando wird seine Übungs- und Zusammenarbeitstätigkeit mit dem Innenministerium und allen Landkreisen weiter intensivieren.“

Durch das neu aufgestellte „Heimatschutzregiment 3“ stehen in Niedersachsen zukünftig knapp 800 Reservisten zur Verfügung. Daran, dass der Bundeswehr die Aufstellung dieser Truppe gelingen wird, hat der Oberst keinen Zweifel. „Die Menschen sind dann bereit, freie Zeit einzubringen und ihre Familien hintenanzustellen, wenn wir eine attraktive Aufgabe haben – und die haben wir“, sagte Waldau. Die Freistellung der Reservisten gegen Kostenübernahme, zu der der Arbeitgeber gesetzlich bislang nicht verpflichtet ist, könnte den Aufwuchs des Heimatschutzregiments allerdings ausbremsen. Waldau appellierte deswegen an die Chefs und Dienstherren, ihren Mitarbeitern beim Reservedienst keine Steine in den Weg zu legen.



Innerhalb der Nato kommt Niedersachsen bei der Sicherheitspolitik vor allem die Rolle des Transitlands zu. „Die Nato richtet sich in ihrer Verteidigungsanstrengung nach Osten aus. Dazu müssen Truppen aus Deutschland aus Westen nach Osten geführt werden und das geht auf Strecken, die durch Niedersachsen verlaufen“, erläuterte Waldau. An der Ostflanke des Bündnisgebiets stehe die Bundeswehr bereits „Arm im Arm mit Nato-Partnern bereit, um Russland von weiteren Angriffen abzuhalten“. Bei der Erhöhung der deutschen Kriegstüchtigkeit sei das Ziel auch die „glaubwürdige Abschreckung gegenüber Russland“, wobei man sich irgendwann die Grundsatzfrage stellen müsse: „Wie vieler Frauen und Männer bedarf es, um die Sicherheit Deutschlands zu gewährleisten?“

Der Chef des Landeskommandos will in Niedersachsen gerne so viele Reservisten wie möglich ausbilden und ist in dieser Hinsicht auf Linie mit dem preußischen Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst, der in Bordenau (Region Hannover) geboren wurde. „Jeder Bürger eines Staates ist der geborene Verteidiger desselben“, zitierte Waldau den „fast hannoverschen“ General, der 1813 im Befreiungskrieg gegen Napoleon an einer Schussverletzung starb. Nach Angaben der Bundeswehr sind derzeit rund 34.000 Reservisten regelmäßig an Übungen beteiligt, der Bedarf wird mit 60.000 Reservisten angegeben.

Dieser Artikel erschien am 14.11.2023 in Ausgabe #197.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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