Am heutigen Freitag soll eine Reform greifen, die weitgehender ist als vieles, das der Bundestag in den vergangenen Jahren beschlossen hat. Im Parlament des Bundes geht es um die Veränderung des Wahlrechts. Das Ziel ist, eine angebliche „Aufblähung“ des Bundestages zu begrenzen.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hendrik Hoppenstedt (links) und der Grünen-Bundestagsabgeordnete Helge Limburg sind geteilter Meinung über die Veränderung des Wahlrechts. | Foto: Grüne im Bundestag / S. Kaminski, Tobias Koch, LSN

Nun haben sich SPD, Grüne und FDP auf ein Konzept geeinigt, das am heutigen Freitag endgültig beschlossen werden soll. In zwei Punkten kann diese Reform schon „revolutionär“ genannt werden: Erstens wird künftig nicht mehr sicher sein, dass der Gewinner eines Wahlkreises, der also die relativ meisten Erststimmen erhalten hat, auch in den Bundestag einzieht. Das war bisher immer der Fall, ist es künftig dann nicht mehr. Zweitens entfällt die Klausel zum „Grundmandat“: So ist es bisher so, dass eine Partei auch dann die ihrem Stimmanteil entsprechenden Mandate im Bundestag stellen kann, wenn sie zwar unter der Fünfprozentklausel bleibt, aber gleichzeitig mindestens drei Wahlkreismandate direkt errungen hat. Davon profitierte die Linkspartei, relevant würde die Regel womöglich auch für die CSU. Doch mit der Reform wird diese Sonderbestimmung aus dem Wahlrecht gestrichen.

„Es ist nicht ideal, dass wir das beschließen, ohne dabei die Opposition mit auf unserer Seite zu haben.“

In Niedersachsen ernten die Vorschläge ein unterschiedliches Echo. SPD, Grüne und FDP verteidigen den Kompromiss – und verweisen darauf, dass sich die CDU/CSU-Fraktion sehr lange einer Verständigung entzogen hätte. Der neue FDP-Landesvorsitzende Konstantin Kuhle gilt als einer der Architekten des aktuellen Vorschlags. Der hannoversche CDU-Bundestagsabgeordnete Hendrik Hoppenstedt spricht von einer „Missachtung des Wählerwillens“.

Nun hat sich der Grünen-Bundestagsabgeordnete Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, mit einer Bewertung gemeldet. „Es ist nicht ideal, dass wir das beschließen, ohne dabei die Opposition mit auf unserer Seite zu haben. Aber wir hatten länger auf einen gemeinsamen Beschluss hingearbeitet, ohne dass auf der Seite der Union die Bereitschaft dazu erkennbar war“, sagte Limburg dem Politikjournal Rundblick. Gut sei jedoch, dass nun nach zehn Jahren Debatte über die Notwendigkeit einer Verkleinerung des Bundestages endlich ein Durchbruch erreicht werde und die Zeit der gegenseitigen Blockade ende.

Mandate des Bundestages sollen auf 630 festgeschrieben werden

Bisher hat der Bundestag die gesetzliche Zahl von 598 Abgeordneten. Diese sollen je zur Hälfte aus den 299 Wahlkreisen kommen und über die Landeslisten. Maßgeblich für die Sitzverteilung ist das Zweitstimmenergebnis. Wenn eine Partei nun in einem Bundesland mehr Wahlkreise erobert, als ihr laut Zweitstimmenresultat zustehen, sind dies „Überhangmandate“. Zu diesen kommen dann für andere Fraktionen „Ausgleichsmandate“ hinzu, damit das Kräfteverhältnis am Ende wieder stimmt. Die Tatsache, dass Wahlkreise verstärkt gewonnen werden von Parteien, die oft weniger als 30 und sogar weniger als 20 Prozent der Stimmen erreichen, hat den Effekt der Ausgleichsmandate extrem vergrößert – und damit die Zahl der Sitze in die Höhe schnellen lassen. Gegenwärtig hat der Bundestag 736 Abgeordnete, 138 mehr als die gesetzliche Zahl.



Der Reformvorschlag der Ampel sieht nun folgendes vor: Maßgeblich für die Sitzverteilung ist allein das Zweitstimmenergebnis, die Zahl der Mandate des Bundestages wird auf 630 festgeschrieben. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass nicht mehr jeder Wahlkreisgewinner auch in den Bundestag einzieht. Vielmehr können in jedem Bundesland nur so viele Wahlkreissieger ein Mandat erringen, wie der Partei an Mandaten in dem Bundesland zustehen – ermittelt über das Zweitstimmenergebnis. Überhang- und Ausgleichsmandate gibt es also nicht mehr. Die Reihenfolge der Stärke der Wahlkreisergebnisse entscheidet darüber, welcher Wahlkreisgewinner zum Zuge kommt und welcher nicht. Das stärkt am Ende die Repräsentanz der Vertreter aus den Hochburgen der Parteien im Parlament – und wirkt sich eher ungünstig in Wahlkreisen aus, die als „Swing-States“ zwischen den Parteien heftig umkämpft sind. 

„Wenn Wähler erleben, dass ,ihr‘ Wahlkreisabgeordneter nicht mehr im Bundestag sitzt, obwohl er gewonnen hat, erleidet unser System einen Vertrauensverlust.“

Der CDU-Abgeordnete Hoppenstedt sagt: „Wenn Wähler erleben, dass ,ihr‘ Wahlkreisabgeordneter nicht mehr im Bundestag sitzt, obwohl er gewonnen hat, erleidet unser System einen Vertrauensverlust.“ Der Grünen-Abgeordnete Limburg erwidert: „Dahinter steckt die Vorstellung, Wahlkreis-Sieger über die Erststimme seien stärker legitimiert als Listen-Abgeordnete. Das stimmt aber nicht.“ Diskussionen löst auch der Wegfall der Grundmandat-Regel aus. Einige Rechtsprofessoren halten dieses indes in der Neuregelung für „systemfremd“. Da künftig jedes Mandat im Bundestag zwingend durch das Zweitstimmenergebnis gedeckt sein muss, wäre eine Ausnahme von der Fünfprozenthürde bei einem Erfolg in den Wahlkreisen unpassend.