30. Juni 2021 · Umwelt

Bis zum Ende des Jahrhunderts müssen alle Deiche einen Meter höher sein

Für rund 7 Millionen Niedersachsen sind Deiche und Dünen nur Küstenidylle, doch für die restliche Million Landeskinder sind die Bollwerke ein wesentlicher Schutz vor den Fluten. Knapp 6500 Quadratkilometer ist das Gebiet groß, das potentiell überflutet werden könnte, auf 129 Milliarden Euro wird der Sachwert beziffert, der verloren ginge, sollten die Deiche nicht halten. Mit dem Klimawandel steigt nun die Gefahr einer Überflutung rapide an. Deshalb hat Umweltminister Olaf Lies (SPD) die Losung ausgegeben, bis zum Ende des Jahrhunderts alle Deiche um einen Meter zu erhöhen.

Foto: Fotolia

Das Projekt hat enorme Ausmaße: Rechnet man alle Schutzvorrichtungen zusammen, die das Land vor einer Überflutung retten sollen, kommt man auf eine mehr als 1300 Kilometer lange Schutzlinie. Dazu zählen die Hauptdeiche auf dem Festland und auf den Inseln, die Sturmflutsperrwerke und die Schutzdeiche dahinter, sowie Schutzdünen. All diese Vorrichtungen im Blick zu behalten und für die Zukunft zu rüsten, ist eine der Aufgaben des niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), der gestern in Aurich seinen Jahresbericht vorgelegt hat. Die wohl wichtigste Herausforderung, der sich die Küstenschützer stellen, ist dabei wohl die Reaktion auf den Klimawandel.

Unsere Bemühungen zielen darauf ab, die Erwärmung um 1,5 oder 2 Grad nicht zu überschreiten.

Das Ziel aller Klimaschutzbemühungen ist es, die Erderwärmung einzudämmen. Beim NLWKN geht man bei der Betrachtung möglicher Zukunftsszenarien aber vorsichtshalber davon aus, dies würde nicht gelingen. „Unsere Bemühungen zielen darauf ab, die Erwärmung um 1,5 oder 2 Grad nicht zu überschreiten. Gelingt uns das nicht, sind wir schnell bei 4 Grad Celsius“, erläuterte Umweltminister Lies. Was das bedeuten würde, weiß Prof. Frank Thorenz, der beim NLWKN für den Küstenschutz zuständig ist. Das aktuell vorliegende Szenario geht von einem Anstieg des Meeresspiegels bis zum Ende des Jahrhunderts von einem Wert zwischen 61 Zentimetern und 1,10 Metern aus. Anhand dieser Modellrechnung planen die Küstenschützer also, wie die Deiche künftig aussehen sollten.

Dabei wechseln sie derzeit von einer geplanten Erhöhung um 50 Zentimeter zu einer Erweiterung auf einen Meter. Potentiell problematisch sind bei einer Deicherhöhung allerdings zwei Faktoren, wie die Fachleute zu berichten wissen. Zum einen könnte das natürliche Material knapp werden. Da sieht es derzeit aber so aus, dass der benötigte Klei aus dem Deichvorland entnommen werden könnte. Zum anderen bedeutet eine Erhöhung des Deiches auch immer eine Verbreitung des Querschnitts. Umweltminister Lies gab zu bedenken, dass ein solcher Schritt zwangläufig zu Konflikten zwischen Naturschutz und Küstenschutz führen werde, da müsse man dann jeweils neu justieren.

Alle Deiche, die jetzt in die Planung kommen, werden als Klimadeiche gebaut.

Der Flächenkonflikt könnte womöglich erst in vielen Jahren richtig zum Tragen kommen, wenn nämlich die bereits um einen Meter erhöhten Deiche noch einmal um einen weiteren Meter anwachsen müssten. Beim NLWKN hat man für diesem Fall allerdings einen Lösungsansatz entwickeln. Beim sogenannten „niedersächsischen Klimadeich“, der künftig sukzessive aufgebaut werden soll, ist bereits eine weitere Stufe mit eingeplant, die sich bei Bedarf später hinzufügen lässt, ohne dass die Grundfläche des Deiches noch einmal ins Deichhinterland ausgeweitet werden muss. „Alle Deiche, die jetzt in die Planung kommen, werden als Klimadeiche gebaut“, erläuterte Prof. Thorenz. Niedersachsen nimmt sich damit die Flexibilität, später nach Bedarf in einem zweiten Schritt weiter zu erhöhen. In Schleswig-Holstein wird das anders gehandhabt, berichtete Prof. Thorenz. Dort werden die Deiche bereits jetzt so umgebaut, dass sie sich um zwei Meter erhöhen lassen.

Für Umweltminister Lies ergibt sich derweil noch ein anderes Problem bei der langfristigen Planung des Küstenschutzes. Zwar werden in Niedersachsen bereits jetzt in Summe gut 85 Millionen Euro in den Küstenschutz investiert. Künftig werden das aber 100 Millionen sein müssen, meint Lies. Zudem kritisiert er, dass der Bund zwar jährlich einen hohen Betrag für den Küstenschutz bereitstellt, das Geld aber stets noch im selben Jahr ausgegeben werden müsse. Infolgedessen seien die Stellen beim NLWKN, die für die Planung von Küstenschutzprojekten zuständig seien, nur befristet und dadurch sehr unattraktiv für Fachpersonal. Das größte Problem für den langfristigen Küstenschutz könnte also der Personalmangel sein.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #122.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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