In weniger als hundert Tagen beginnt in Niedersachsens Landeshauptstadt der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag. Der Ticketverkauf läuft bereits, nun haben die Organisatoren am Dienstag auch das Programm für die Tage vom 30. April bis zum 4. Mai 2025 vorgestellt. Ein politisches Schaulaufen im Vorfeld der Bundestagswahl wird es aufgrund des vorgezogenen Wahltermins nun zwar nicht geben. Dennoch dürfte das Großevent der evangelischen Christen eine überaus politische Angelegenheit werden. An verschiedensten Orten in der ganzen Stadt – von der Marktkirche über den Maschsee bis hin zum Messegelände – soll es rund 1500 Veranstaltungen zu Themen wie Demokratie, Ökologie und Wirtschaft, Frieden und soziale Gerechtigkeit geben. Die Diskussionsfreude soll dabei im Fokus stehen, erklärte Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund. Auch Politprominenz taucht im Programmheft (beziehungsweise in der Programm-App) auf – auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bei allen Protagonisten klar ist, welches Amt sie Anfang Mai bekleiden dürfen. So hat sich beispielsweise CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zu einer Bibelarbeit bereiterklärt. Es gibt allerdings auch noch sogenannte „weiße Flecken“ im Programm, um auf aktuelle Entwicklungen und eine mögliche Regierungsbildung reagieren zu können. Man stehe mit den Büros der aussichtsreichen Kanzlerkandidaten in Kontakt, heißt es. Gemeint sind damit Merz und Kanzler Olaf Scholz.

Stellen das Kirchentags-Programm vor: Anja Siegesmund, Ralf Meister, Kristin Jahn und Stefanie Rentsch. | Foto: Kleinwächter

Sicher ist unterdessen, dass beispielsweise Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in den öffentlichen Dialog über eine Bibelstelle eintreten wollen, ebenso Winfried Kretschmann (Grüne) oder Bodo Ramelow (Linke). Von öffentlichen Beiträgen ausgeschlossen sind derweil Vertreter der AfD. Man wolle der „schleichenden Diskursverschiebung nicht zusätzlich Raum geben“, erklärte Kirchentags-Generalsekretärin Kristin Jahn und verwies auf einen entsprechenden Beschluss des Kirchentagspräsidiums. Zwar wolle man Konflikte offen ansprechen und ein Forum für faire Debatten zu aktuellen Themen sein. Bei Rassismus, Antisemitismus sowie Menschenfeindlichkeit oder Angriffen auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei aber eine rote Linie überschritten. Diese Regelung gelte auch für andere „Bündnisse“, sagten die Veranstalter. Zumindest auf dem Podium sei auch kein offizieller Vertreter vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) dabei.

  • Hannover als Stadt der Vielfalt: Am ersten Abend des Kirchentags, dem traditionellen „Abend der Begegnung“, soll sich Hannover den Kirchentagsbesuchern „als das präsentieren, was es ist: gastfreundlich, offenherzig, diskussionsfreudig und kulturaffin“, erklärte Landesbischof Ralf Meister. An zahlreichen Ständen soll die Vielfalt der einladenden Landeskirche Hannovers mit ihren Gemeinden von Ostfriesland bis Göttingen vorgestellt werden, auch der niedersächsische Landtag als Ort der Demokratie im Herzen der Stadt wird mitmachen. Alles, was dieses Bundesland ausmache, soll erkundet werden können, sagte Meister. Außerdem könne man in Niedersachsens Landeshauptstadt, die in diesem Jahr feiert, bereits zehn Jahre lang „Unesco City of Music“ zu sein, „richtig gut Party machen“. Auf dem Ballhof-Platz soll man daher unter freiem Himmel in den Mai tanzen. Die Christuskirche in der hannoverschen Nordstadt wird zudem während des Kirchentags einen 72-stündigen Mitsing-Marathon anbieten – von morgens bis abends, rund um die Uhr.
  • Thementag am Tag der Arbeit: Der erste komplette Tag des diesjährigen Kirchentags fällt auf den 1. Mai, den „Tag der Arbeit“. Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) haben die Veranstalter deshalb einen Thementag zur Arbeitswelt auf die Beine gestellt. An vielen Orten soll es um die großer werdende Schere zwischen Arm und Reich gehen. Den Anfangspunkt bildet ein ökumenischer Gottesdienst in der Marktkirche sowie eine Bibelarbeit vom derzeitigen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der auch ehrenamtlich im Präsidium des Kirchentags tätig ist. Vormittags besucht Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund die DGB-Kundgebung auf der Goseriede in Hannover, am Nachmittag tritt im Gegenzug dann die DGB-Führung auf dem Kirchentagspodium auf. Am Abend möchte man dann die unterschiedliche Arbeitsmoral von „Boomern“ und der „Gen Z“ beleuchten.
  • Nachhaltig unterwegs: Die Klimapolitik ist eines der großen Themen auf diesem Kirchentag. Im Zentrum „Umwelt und Wirtschaft“ soll beispielsweise mit Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ diskutiert werden, aber auch Vertreter von Wirtschaft und Verbänden sollen ihre Position einbringen können. Anzunehmen ist, dass es auch bei dem Jugendforum um die Folgen des Klimawandels gehen wird. Landesbischof Meister sprach von den „Überlebensfragen junger Menschen“, die dort von den Unter-30-Jährigen diskutiert werden sollen. Es gehe um die Perspektive jener Menschen, die noch mindestens zwei Generationen vor sich haben und mit den Auswirkungen der heutigen Entscheidungen länger werden leben müssen. Der Kirchentag verschreibt sich aber auch im eigenen Handeln der Nachhaltigkeit. So soll das Verkehrskonzept emissionsarm sein, weshalb die Deutschen Bahn, die Üstra und Volkswagen als „Mobilitätspartner“ auftreten. Zudem soll aktiv auf die Müllvermeidung geachtet werden. Etwas bleibendes plant man unterdessen für die Rasenfläche vor dem „Haus der Religionen“ in Hannovers Südstadt. An diesem Ort des interreligiösen Dialogs soll ein „Garten der Begegnung“ entstehen. Während des Kirchentags sollen dort im multikulturellen Miteinander Bäume gepflanzt, Bänke errichtet und Hochbeete angelegt werden.
  • Kirche in der Krise: Allzu selbstgefällig soll es bei diesem Kirchentag nicht zugehen. Noch vor dem Eröffnungsgottesdienst auf dem Opernplatz und dem Platz der Menschenrechte vorm Neuen Rathaus soll es deshalb am Maschsee ein kollektives Nachdenken über die Frage der Schuld geben. Man wolle „schuldhaftes Versagen in Geschichte und Gegenwart in den Blick nehmen und nach der Verantwortung für das heutige Miteinander fragen“, sagte Kirchentags-Generalsekretärin Jahn. Dieser Ansatz hat zum einen eine historische Dimension und knüpft gewissermaßen an den allerersten Evangelischen Kirchentag 1949 in Hannover an, bei dem sich die evangelischen Christen mit der Verstrickung ihrer Kirche in den Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben. Wie Religion zu Machtzwecken missbraucht wird, zeige sich heute beispielhaft an einem Donald Trump, der sich selbst als Erlöser bezeichne, führte Jahn aus. Aber auch die jüngsten Verfehlungen der Kirchen beim Umgang mit sexuellem Missbrauch in den eigenen Reihen werden damit in den Fokus gerückt. Im geistlich-liturgischen Programm wolle man deshalb festgefahrene Gottesbilder oder Glaubenssätze hinterfragen. Insbesondere der Begriff der Vergebung sei missbraucht worden, um Betroffene gefügig zu machen, sagte sie. Elf Veranstaltungsformate und eine Podienreihe sei zum Thema Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt geplant.
  • Dialog mit Religionskritikern: Während die Vorbereitungen des diesjährigen Kirchentags in Hannover recht unbekümmert voranschreiten, wirft die darauffolgende Veranstaltung bereits dunkle Schatten voraus. In Düsseldorf, wo das Kirchenevent 2027 zu Gast ist, hat sich eine Protestbewegung gebildet, die sich gegen eine religiöse Großveranstaltung wie den Kirchentag stellt. Anfang Januar sahen die Organisatoren des Kirchentags nun die „Grenzen des respektvollen Miteinanders“ überschritten. Humanistische Netzwerke hätten dort einen Kirchentags-Verein gegründet und zu einer eigenen Pressekonferenz geladen. Dabei handelte es sich jedoch lediglich um den Versuch, den für den Kirchentags-Trägerverein vorgesehenen Namen zu kapern und quasi unter falscher Flagge zu segeln. Kristin Jahn, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, zeigte sich irritiert angesichts dieser Aktion und lud die Akteure zum Dialog ein. „Wenn wir mit Menschen nicht mehr sprechen, die sich Atheisten nennen, haben wir unser Geschäft nicht verstanden“, sagte Jahn.