Asse-Anwohner werfen der BGE Verzögerung vor und klagen vor dem OVG Lüneburg
Am Tag nach dem Besuch von Umweltminister Christian Meyer (Grüne) beim havarierten Atommüll-Depot im ehemaligen Asse-Bergwerk erfährt der Konflikt um die zögerliche Rückholung der Fässer eine Zuspitzung. Anja Haase, eine Anwohnerin in direkter Nähe zur Schachtanlage im Kreis Wolfenbüttel, hat am Donnerstag Klage gegen die zuständige Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) eingereicht. Unterstützt wird ihre Klageschrift sowohl inhaltlich als auch finanziell von der Bürgerinitiative „Aufpassen e. V.“, der die Klägerin angehört.
Vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg wollen Haase und der Verein erwirken, dass die Arbeiten an dem Problemfall Asse deutlich beschleunigt werden. Sie beziehen sich dabei auf das Atomgesetz, das vor inzwischen zehn Jahren vom Bundestag verabschiedet wurde. Darin heißt es, dass die Schachtanlage „unverzüglich stillzulegen“ sei. Präzisiert wird: „Die Stilllegung soll nach Rückholung der radioaktiven Abfälle erfolgen.“ Noch immer, so die Kritik der Klageführer, sei aber nichts geschehen und viele Schritte würden nur zögerlich angegangen.
Heike Wiegel aus dem Vorstand von „Aufpassen e. V.“ stellte klar, dass die Forderung nach einer „unverzüglichen Stilllegung“ vor dem Hintergrund des Atomgesetzes zu verstehen sei und nicht bedeute, dass man sich für eine sofortige Versiegelung der Anlage ausspreche. „Unverzüglich heißt in diesem Fall nicht sofort, sondern ohne schuldhaftes Verzögern“, erläuterte Haase, die sich juristisch von dem Rechtsanwalt Rüdiger Nebelsieck aus Hamburg beraten und vertreten lässt. „Wir fordern, das Gesetz ernst zu nehmen“, sagte Wiegel. Der BGE werfe man aber Untätigkeit vor, was die Rückholung immer weiter verzögere und eine Endlagerung in noch weitere Ferne rücke. So habe man erst vor Kurzem die Kalterprobung der Bergetechnik in Auftrag gegeben, der 2020 veröffentlichte Rückholungsplan sei bereits obsolet und an einen Beginn der Bergung der Atomfässer im Jahr 2033 glaube schon niemand mehr.
Bürger werfen der Bundesgesellschaft Untätigkeit vor
Konkret fordern Haase und Wiegel mit ihren Mitstreitern, dass die BGE zeitnah einen praktisch umsetzbaren Rückholungsplan vorlegt. Zudem müsse es eine Umweltverträglichkeitsprüfung geben, insbesondere da sich das Asse-Bergwerk in einem Naturschutzgebiet nach Habitat-Richtlinie befindet. Die BGE solle ferner alternative Standorte für ein Zwischenlager für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle, die perspektivisch aus der Asse herausgeholt werden müssen, aufzeigen und miteinander vergleichen. In der Region geht man davon aus, dass der Standort in direkter Nähe zum ehemaligen Bergwerk ungeeignet sei, da die Stabilität der Fläche nicht gewährleistet werden könne.
Zudem fürchtet man, dass aus einem neu errichteten Zwischenlager mangels Endlager schnell ein Dauerlager werden könnte, das wiederum über Jahrzehnte Mensch und Natur in der Region belasten könnte. Außerdem fordert die Bürgerinitiative einen aktualisierten Vergleich der Optionen. Man unterstellt der BGE, falsche Studien herangezogen zu haben, weshalb die erwogenen Handlungsoptionen auf wackligen Beinen stehen. Wiegel betonte zudem ausdrücklich, dass sie es nicht nachvollziehen könne, wieso die BGE der Bevölkerung keinen Einblick gebe in die Analyse bezüglich der Folgen einer radioaktiven Belastung für die Bevölkerung durch entsprechende Maßnahmen zur Rückholung, Einlagerung oder Konditionierung des Atommülls.
Lob für Meyer, Kritik an Lemke
Den Besuch des niedersächsischen Umweltministers bewerteten die Asse-Kritiker positiv, insbesondere im Vergleich zum Agieren von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Dass Meyer einen Asse-fernen Standort für ein Zwischenlager ins Spiel gebracht hat, lobte Haase. Der Minister hatte bei seinem Besuch gesagt, ein solcher Standort könne auch in Bayern gefunden werden, wo schließlich jede Menge Atommüll verursacht wurde. Er räumte allerdings ein, diese Aussage als Provokation gemeint zu haben. Sein erklärtes Ziel ist es, die Bundesregierung an ihre Gesamtverantwortung für den Atommüll zu erinnern und von Lemke ein größeres Entgegenkommen in Richtung der betroffenen Bürger in der Region zu erreichen.
Dort ist die Diskussion rund um die Asse auch ein sehr emotionales Unterfangen. Die klagende Anwohnerin Haase erklärte gegenüber dem Politikjournal Rundblick, dass sie in ihrem Elternhaus in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Bergwerk lebe. Sie denke bei ihrem Engagement längst nicht mehr daran, dass sie noch etwas vom Ausgang des Vorgangs mitkriegen werde – aber für die nächste Generation sei es entscheidend, wie man mit dem verklappten Atommüll umgeht, ob das einströmende Wasser die Anlage destabilisiert und ob auf diesem womöglich wackligen Grund ein Zwischenlager errichtet werden sollte.
Dieser Artikel erschien am 27.10.2023 in der Ausgabe #187.
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