2. Nov. 2015 · 
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Am Rande: Windreich

(rb) Als Christ- und Freie Demokraten bis 2013 in Niedersachsen die Regierungskoalition bildeten, wollten sie die Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten ehrenamtlicher Rats- und Kreistagsmitglieder verbessern. Die Koalitionäre hatten nur Gutes im Sinn, als sie damals mit Hilfe der Niedersächsischen Kommunalverfassung die ehrenamtlichen Mitwirkungsmöglichkeiten für gewählte Kommunalvertreter erweiterten. In der ostfriesischen Gemeinde Stedesdorf (Samt--gemeinde Esens im Landkreis Wittmund) hat das nun allerdings Folgen, die die einst verantwortlichen Landespolitiker sicher so nicht gewollt haben: In der 1700 Einwohner zählenden Küstengemeinde hat der Gemeinderat mehrheitlich die Änderung eines geltenden Bebauungsplanes beschlossen und damit den Weg frei gemacht für den Bau von fünf riesigen Windenergieanlagen. Eher Ungewöhnlich: Mitgestimmt haben auch zahlreiche Ratsmitglieder, die finanziell an dem Windpark beteiligt sind. So ist Bürgermeister Helmut Oelrichs sogar der Vorsitzende des Aufsichtsrates der „Genossenschaft Bürgerwindpark Stedesdorf“, andere Ratsmitglieder sitzen im Vorstand der Genossenschaft. Sie erwarten von ihrer Beteiligung an dem Windpark mit seinen rund 200 Meter hohen Anlagen eine jährliche Rendite von rund zwölf Prozent. Bei dem Projekt handelt es sich um die Erweiterung eines bestehenden Windparks mit zehn Anlagen, an dem ebenfalls Kommunalpolitiker beteiligt sind. Während die augenfällige Verquickung von privaten Geschäftsinteressen mit kommunalen Entscheidungen dem Ratsbeschluss aus Stedesdorf mehr als nur ein Geschmäckle verleiht, begibt sich der Rat der Mitgliedsgemeinde zudem auf Konfrontationskurs zu seiner ostfriesischen Samtgemeinde Esens. Die hat nämlich längst beschlossen, auf ihrem Gebiet keine weiteren Windenergieanlagen zuzulassen. Bisher stehen auf dem Gemeindeareal etwa 50 Anlagen. Das sind nach Ansicht der Samtgemeinde genug. Ähnlich wie Esens befürchten immer mehr Kommunen im windreichen Ostfriesland negative Auswirkungen auf den Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung der Region. So wirkten sich die vielen Windenergieanlagen negativ auf das Landschaftsbild des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer aus, ließen sich Immobilien schlechter vermarkten und litten Zugvögel, Natur sowie Umwelt unter dem Lärm der Rotoren und deren Schattenwurf, heißt es dort. Den Bürgermeister der Gemeinde Stedesdorf ficht das alles nicht an. Er verweist auf die Kommunalverfassung, die die Mitwirkung der Ratsmitglieder ausdrücklich erlaube. Sie würden nur mittelbar, also indirekt, durch ihren eigenen Beschluss des Gemeinderates profitieren. Bei einem unmittelbaren, also direkten Vorteil, dürfen Ratsmitglieder nicht mit abstimmen. Dann gelten sie als befangen. Im Rathaus der Samtgemeinde Esens hat man derweil einen kritischen Blick nach Stedesdorf. Dort plant Samtgemeindebürgermeister Harald Hinrichs inzwischen eine Änderung des auch für Stedesdorf verbindlichen Flächennutzungsplans, um den Bau weiterer Windenergieanlagen in der Samtgemeinde zu verhindern. Bürgermeister Oelrichs sieht das völlig anders. Er spricht von einem Eingriff in die Planungshoheit seiner Gemeinde. In der Samtgemeinde könnte nun bald der Bürgerwille darüber entscheiden, wie es mit der Entwicklung der Windkraft in der Kommune weitergeht. Harald Hinrichs denkt über eine Bürgerbefragung nach. Gegner der Erweiterung des Windparks in Stedesdorf planen inzwischen sogar ein Bürgerbegehren. Der Ausgang des Streits ist offen. Auch in der nur wenige Kilometer von Esens entfernten Gemeinde Dornum gibt es Auseinandersetzungen um neue Windenergieanlagen. Dort wollen Investoren zahlreiche rund 20 Jahre alte Windenergieanlagen durch neue und größere Anlagen ersetzen. Doch der Standort von acht geplanten neuen Anlagen mit einer Höhe von jeweils gut 200 Metern befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Vogelschutzgebiet „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ der Europäischen Union. Dieses Vogelschutzgebiet grenzt direkt an den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, der ein weiteres EU-Vogelschutzgebiet darstellt. Windenergieanlagen sollen einen Abstand von 1200 Metern zu Vogelschutzgebieten einhalten. Gründe genug also, um in Dornum auf den Bau neuer Anlagen für die Erzeugung von Ökostrom zu verzichten. Doch auch in Dornum zählen örtliche Ratsmitglieder zu den Gesellschaftern der Windenergieanlagen. ly
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #201.
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