(rb) Hört man auf Meinungsforscher, Trend- und Zukunftsexperten, so ist einem seit vielen Jahren klar: Leben kann man nur in der Großstadt. Hier schlägt der Puls, hier ist alles, was man braucht. Schon jetzt und in der Zukunft sowieso. Täglich werden wir mit dieser bahnbrechenden Erkenntnis versorgt: „Der Trend geht in die Großstädte! Auf dem Land – da kannst Du einpacken, da gehen die Lichter aus.“ Warum? Letztendlich ist es, wie immer, eine Frage der Attraktivität des Angebotes, der Nachfrage und der Preise. Allerdings: Je mehr Menschen – verstärkt auch noch durch die zu uns kommenden Flüchtlinge – in die Großstädte drängen, umso mehr steigen die Preise, und die Attraktivität sinkt. Da helfen weder Mietpreisbremse noch weitere Hochhäuser – der Platz ist nun mal begrenzt. Es wird eng und enger.
Alternativen sind Trabantenstädte vor den Toren der Großstädte, die dann zwar deren Namen tragen (wie zum Beispiel in Paris oder Bremen), aber weniger Flair haben. Von denen kann man an schönen Tagen mit guten Augen oder einem Fernglas in weiter Ferne die Großstadt sehen. Schön ist es in diesen Trabantenstädten meistens nicht. Es sind eher Verwahranstalten, die dort entstanden sind, Ballungsräume mit hohen sozialen Spannungen, die in diesem Umfeld kaum aufgelöst werden können. Können wir damit zufrieden sein? Wollen wir verwaltet werden? Ist es unser Ziel, eingeengt in Wohnschachteln zu leben? Können wir so noch kreativ sein? Oder müssen wir uns die Frage stellen: Leben wir noch?
Wenn wir Freiräume entdecken und selbst mit Leben erfüllen wollen, dann müssen wir dringend auf‘s Land! Denn in der Großstadt wird es zu teuer, zu langweilig, zu kriminell werden, wenn die Räume enger werden. Drinnen, verwaltet und verwahrt ist ja keine wirkliche Alternative zu draußen und frei. Wenn wir das wollen, dann müssen wir aber auch bereit sein, mit anzupacken: Farbe rausholen und die Welt dort bunt und attraktiv gestalten, die Menschen mitnehmen, Perspektiven und ansprechende Möglichkeiten bieten, sich selbst zu verwirklichen. Wir sollten anfangen: Unis müssen sich öffnen, und ihre Studenten müssen raus aus der Großstadt. Praktika auf dem Land und Projektarbeiten mit Ideen und Konzepten für das Land sollten Pflicht sein in jedem Fach. Das Land profitiert dabei von den Studenten und umgekehrt.
Damit Großstädte atmen können, müssen sie – auch zum eigenen Vorteil – teilen lernen. Es reicht nicht, Dinge, die unangenehm sind, einfach aufs Land abzuschieben (wie zum Beispiel den Müll). Auch hier können Unis und die Politik mit gezielter Förderung für das Land den Großstädten und dem Land helfen. Unsere Chance liegt ganz klar auf der Hand – auf dem Land! Wir sollten schnell zugreifen!
Thorsten Bullerdiek
(Sprecher und Beigeordneter des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes)Dieser Artikel erschien in Ausgabe #229.