13. Dez. 2016 · Finanzen

Zwischen Angstmachern und allzu Sorglosen

Der Finanzminister steht da wie der Reiseleiter einer Gruppe, die die letzten Tage eines wunderschönen Urlaubs verbringt – und bald wieder in den tristen Arbeitsalltag wechseln muss. „Wir haben eine komfortable Situation“, sagt Peter-Jürgen Schneider in der Haushaltsdebatte. „Besser wird es kaum werden, schlechter aber kann es ganz schnell werden.“ Deshalb sei in der Finanzpolitik „weiter große Vorsicht geboten“. Und dann nennt der SPD-Politiker einige der dunklen Wolken, die schon bald den blauen Himmel eintrüben könnten: wenn plötzlich doch wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wenn der Brexit den deutschen Export nachhaltig schädigt oder wenn sich die USA unter Donald Trump gegen den freien Welthandel sperren. „Die Zinsen werden auch nicht dauerhaft so niedrig bleiben.“ Genießt also Rot-Grün die letzten Momente einer Glücksphase? Zum Auftakt der Haushaltsdebatte, die morgen mit dem Beschluss über den Doppeletat des Landes für 2017 und 2018 enden soll, lieferte sich der Landtag eine aufgewühlte Redeschlacht. Die Beiträge von Schneider und den Fraktionschefs Björn Thümler (CDU), Johanne Modder (SPD) und Anja Piel (Grüne) waren dabei noch eher moderat, während der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr heftige Angriffe an die Adresse von Rot-Grün richtete. Der Etat hat ein jährliches Volumen von rund 30,3 Milliarden Euro, das ist gegenüber 2016 noch einmal eine deutliche Steigerung von mehr als einer Milliarde Euro. Auf neue Schulden kann Schneider verzichten, will aber zum Ausgleich der Mehrausgaben alte Kreditaufnahmerechte aus Vorjahren nutzen. Das Land gibt mehr aus für neue Polizistenstellen, für Kindergärten (aus Bundesmitteln) und für Ganztagsschulen, für die Flüchtlingsarbeit, die Sanierung von Krankenhäusern und den Bau von Radwegen. Die Investitionsquote jedoch sinkt, Niedersachsen steht dort im Ländervergleich hinten. Für die spätere Zukunft kündigte Schneider an, wieder mehr zu investieren – und danach dann auch damit zu beginnen, den vorhandenen Schuldenberg des Landes (rund 60,1 Milliarden Euro) abzutragen. Das aber bleiben vorerst Wünsche. Da Haushaltsdebatten stets zu einem generellen Schlagabtausch über die Regierungspolitik werden, sprach CDU-Fraktionschef Thümler von einer „ideenlosen, kraftlosen und visionslosen“ Politik. Ministerpräsident Stephan Weil und sein Kabinett verlören sich „in Belanglosigkeiten und Beliebigkeiten“ und hätten keine Konzepte für die Digitalisierung und den Breitbandausbau, für bessere Verkehrswege, für den Mittelstand und die Häfen – sowie für eine bessere Unterrichtsversorgung. „Absurd“ sei, dass mit den Sicherheitsgesetzen „die grüne Parteiseele gewärmt werden“ solle – die Vermummung von Demonstranten solle „zum Kavaliersdelikt herabgestuft“ werden, während Polizisten sich kennzeichnen lassen sollten. Die geplante Abschaffung der Bannmeile vor dem Landtag sei falsch, da rechtspopulistische Demonstrationen drohten und die Abgeordneten sich dann auf dem Weg zum Parlament wie bei einem Spießrutenlauf fühlen müssten. Die Regierung sei ohne Ehrgeiz, habe etwa die versprochene Entrümpelung der Vorschriften im Schulalltag nicht angepackt und lasse überdies „das Gespür für die Menschen vermissen“. Dies zeige sich beispielsweise, wenn Themen wie zunehmende Einbrüche, Islamismus und Vollverschleierung von Schülern angesprochen werden. Aus Sicht von SPD-Fraktionschefin Modder erliegt die Opposition „Verschwörungstheorien“. CDU und FDP behaupteten Sicherheitsmängel, die „durch nichts zu belegen sind“: „Sie spielen mit der Angst der Menschen!“ Die Bedrohungslage des Islamismus „eignet sich nicht für politische Spielereien“, vielmehr müssten die Demokraten zusammenstehen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Piel sieht sogar einen unterschiedlichen Politikansatz zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb – und erklärt das an einem Beispiel. Wenn Rot-Grün einen Radausflug plane, gehe man mit Vorfreude daran. Schwarz-Gelb aber warne und mahne – man müsse genug zu essen mitnehmen, denn man könne verhungern. Ein zweites Handy müsse dabei sein, und vor möglichen Überfällen und den Angriff von Wölfen müsse man sich auch schützen. „Wie bei einer Radtour sind Freunde keine Hilfe, die von nichts als Angst und Gefahren reden“, betonte Piel. Modder hatte Thümler zuvor vorgeworfen: „Sie reden das Land schlecht!“ Der FDP-Fraktionsvorsitzende Dürr schätzt die Situation anders ein, spricht von einer erschreckenden Unbekümmertheit der rot-grünen Regierung, die sich von realen Entwicklungen und Sorgen der Menschen abkoppele. Das Kabinett von Ministerpräsident Weil „verplempert das Geld für Regionalbeauftragte und Klimaschutzagenturen“ und schaffe aber keinen richtigen Vorstoß zum Breitbandausbau („Da liegt Herr Weil näher an Nordkorea als an Südkorea.“) Es sei ein „kapitaler Fehler gewesen, sich in der Innenpolitik von den Grünen leiten zu lassen“, und der Ministerpräsident erscheine ihm „wie der Mitarbeiter eines schlecht geführten Baumarktes“: Immer wenn es ernst werde, fühle er sich nicht zuständig. Probleme würden vertagt. „Sie meinen wohl ihr Ziel erreicht zu haben, Herr Weil, wenn zum Ende der Wahlperiode jeder Niedersachse in irgendeinem Arbeitskreis sitzt.“ Da klang schon Wahlkampf an. Während Dürr seine Angriffe startete und die Wogen hochschlugen, war der Ministerpräsident seelenruhig auf seinem Platz in Akten vertieft. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #228.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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