Zuwanderung statt Asyl: Niedersachsen startet Modellprojekt mit Fachkräften aus Kolumbien

Die Abschiebung von zehn kolumbianischen Pflegekräften aus einem Heim in Wilstedt (Landkreis Rotenburg) ist vorerst gestoppt. Der Fall hat jedoch eine hitzige Debatte ausgelöst und gezeigt: Deutschland tut zu wenig, um ausländische Fachkräfte auf legalem Weg zu gewinnen. Die Betroffenen, die in einem Pflegeheim arbeiteten, waren gut integriert und wurden dringend gebraucht – ihre Asylanträge waren jedoch gescheitert. Angehörige und Kollegen protestierten gegen ihre Abschiebung, eine Petition erhielt Tausende Unterschriften. Letztlich wurde die Rückführung ausgesetzt, aber nur vorübergehend. „Selbst wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben, müssen sie noch einmal zurück nach Kolumbien und ein Visum holen“, erklärte Niedersachsens Arbeitsminister Andreas Philippi gestern in Hannover den Stand der Dinge. Der SPD-Politiker hofft darauf, dass die nächste Bundesregierung einen rechtlichen „Bypass“ schaffen wird, um die aus seiner Sicht unnötige Ausreise zu verhindern. Für ihn ist klar: „Wenn wir die Ertragskraft der Unternehmen, den Wohlstand und die Leistungsfähigkeit unserer Sozialsysteme sichern wollen, geht das nicht ohne Zuwanderung.“
Während immer mehr niedersächsische Unternehmen über einen Mangel an Fach- und Nachwuchskräften klagen, ist die Zahl der chancenlosen kolumbianischen Asylanträge in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen: Im Jahr 2023 stellten 3510 Kolumbianer erstmals einen Antrag auf Asyl – die Anerkennungsquote lag jedoch bei nur 0,4 Prozent. Arbeitsminister Philippi sieht darin eine Fehlentwicklung: „Viele Kolumbianer wählen die falsche Tür, um in den deutschen Arbeitsmarkt einzutreten. Wir wollen die legalen Migrationswege aus Kolumbien stärken.“
Einen solchen legalen Weg schafft Niedersachsen nun mit dem Modellprojekt „Adelante Colombia“. Das Programm knüpft an frühere Erfolge mit dem „Adelante“-Programm für spanische Fachkräfte an, über das bereits mehr als 700 Menschen nach Niedersachsen kamen – über 75 Prozent von ihnen blieben langfristig. Eine ähnliche Bleibequote erhofft sich IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt auch bei der Neuauflage. Im Herbst sollen die ersten 25 Kolumbianer nach Südniedersachsen kommen, um dann eine vierwöchige Probezeit in einem Unternehmen aus der Life-Science-Branche anzutreten. Dort sollen die Fachkräfte als Chemikanten, Physiklaboranten oder Mechatroniker arbeiten. „Wir wollen Südniedersachsen dabei unterstützen, ganz oben in der Liga der Life-Science-Regionen mitzuspielen“, sagte Philippi. Die Branche sei in der Region Göttingen für jeden vierten Arbeitsplatz verantwortlich, habe aber auch ein großes Fachkräfteproblem. Die Universitätsmedizin Göttingen und der Kunststoffhersteller Sabeu aus Northeim haben bereits Interesse angemeldet.
Die kolumbianischen Teilnehmer des Modellprojekts müssen zwischen 22 und 35 Jahre alt sein, Deutsch mindestens auf B1-Niveau beherrschen und eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. „Wir wildern nicht in Kolumbien“, versicherte Philippi. Fachkräfte dürften nur in den Bereichen geworben werden, in denen es keine Engpässe gibt. Auch Bielfeldt betonte, dass es um „faire Erwerbsmigration“ gehe. Die Jugendarbeitslosigkeit in Kolumbien liege bei über 20 Prozent. „Die Menschen dort haben es sehr viel schwerer, nach einer abgeschlossenen Schulphase eine Anstellung zu finden“, sagte die IHKN-Hauptgeschäftsführerin.
Das Arbeitsministerium unterstützt das Projekt mit einer Fördersumme von 500.000 Euro. Die restlichen Kosten tragen die IHK und die teilnehmenden Unternehmen über eine Projektpauschale. Das Geld fließt vor allem in die weiterführenden Sprachkurse für die kolumbianischen Fachkräfte sowie in die Personalstellen für die Projektkoordination. „Wir machen das komplette Matching zwischen Fachkräften und Unternehmen sowie den Ausbau der Struktur dahinter“, erläuterte Bielfeldt. Außerdem würden sowohl die Firmen als auch die Kolumbianer in der Projektlaufzeit bis Ende 2027 ausgiebig betreut. Da es bereits eine große spanischsprachige Gemeinschaft im südniedersächsischen Raum gibt, hoffen IHK und Sozialministerium, dass die Südamerikaner hier schnell heimisch werden. Denn für eine erfolgreiche Fachkräfteeinwanderung brauche es mehr als Visa und Arbeitsverträge. Philippi räumt ein, dass Deutschland hier noch Nachholbedarf hat. „Unsere Willkommenskultur ist unterentwickelt“, stellte der SPD-Politiker fest und kritisierte mit Blick auf den Wahlkampf: „Wer die totale Grenzabschottung propagiert, sendet damit ein fatales Signal an Fachkräfte in aller Welt.“ Niedersachsen will mit „Adelante Colombia“ zeigen, dass es anders geht – und langfristig eine Blaupause für weitere Regionen und Branchen schaffen.
Dieser Artikel erschien am 11.02.2025 in der Ausgabe #027.
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