(rb). Die Polizei in Niedersachsen stellt ihrem Dienstherrn ein schlechtes Zeugnis aus: Über zunehmenden Personalmangel, ständig steigende Arbeitsbelastungen, viele Überstunden, Mehrarbeit, wachsenden Arbeitsdruck, neue Aufgaben und berufliche Perspektivlosigkeit haben sich die niedersächsischen Polizisten bei Innenminister Boris Pistorius beklagt. In einer gemeinsamen Resolution der Polizei-Personalräte aus den Polizeiinspektionen in ganz Niedersachsen heißt es wörtlich: „Zur Erledigung der Aufgaben fehlt Personal an allen Ecken und Enden.“
Fehlendes Personal führe seit Jahren zu unerträglichen Belastungen, stellen die Personalräte in ihrem Schreiben an den zuständigen Minister fest. Personal werde abgebaut und den einzelnen Polizeibehörden „durch nicht bereitgestelltes Budget die Möglichkeit genommen, freie Arbeitsplätze zu besetzen“. In der Konsequenz seien in ganz Niedersachsen immer weniger Polizisten auf den Straßen unterwegs. Die Perspektivlosigkeit im mittleren Verwaltungsdienst und die Ausschöpfung der Stellenplanobergrenzen führten zu einer massiven personellen Fluktuation. Im Vollzugsbereich stehe zudem nicht genügend Personal für die Erledigung der aktuellen Aufgabenbewältigung zur Verfügung. Es sei an der Tagesordnung, dass landesweit die Mindeststärken im Einsatz- und Streifendienst unterschritten würden, beschreiben die Beamten die Folgen der restriktiven Personalpolitik des Innenministeriums. Dies gelte inzwischen auch für den ländlichen Bereich, berichtet Klaus Dierker, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, die das Anliegen der Personalräte unterstützt.
Belastend empfinden die Polizisten die neben ihrer täglichen Arbeit anfallenden Unterstützungsdienste, insbesondere bei Großeinsätzen. Außerdem führe die hohe Zahl von Projekt- und Arbeitsgruppen zu zusätzlichen Belastungen „auf allen Ebenen“. Dieser hohe Druck auf die Beamtinnen und Beamten habe zudem einen hohen Krankenstand zur Folge. Regelmäßig seien gut sieben Prozent der Polizisten aus krankheitsbedingten Gründen nicht im Einsatz. Damit fielen täglich 1500 Kolleg/innen aus, stellen die Personalräte in ihrer Resolution fest.
Die Personalvertretungen der Polizei fordern deshalb von Innenminister Boris Pistorius die Rücknahme der Einsparvorgaben für den Tarifbereich, die Bereitstellung ausreichender Budgets zur Besetzung aller Arbeitsplätze sowie die Beibehaltung und den Ausbau der „leistungsstarken Polizeiverwaltung“. Außerdem werden zusätzliche Fortbildungsangebote für Verwaltungsbeamte sowie zusätzliches Personal für aktuelle und künftige Aufgaben verlangt. Länderübergreifende Unterstützungen und Einsätze sollten kritisch hinterfragt werden. Abschließend fordern die Polizisten ein auf die Belange der Behörden und Beschäftigten abgestimmtes Personalmanagement.
Als Beispiel sei hier Ostfriesland genannt: Thomas Erdwiens ist Personalratsvorsitzender der ländlichen Polizeiinspektion (PI) Aurich-Wittmund, zu der insgesamt 355 Beamte gehören, die für die beiden Landkreise Aurich und Wittmund einschließlich einiger Nordseeinseln zuständig sind. In den vergangenen zwei Jahren – seit Beginn der rotgrünen Regierungszeit in Niedersachsen – seien dort zwölf Vollzeitstellen nicht besetzt worden. Bis Oktober 2016 steige die Zahl auf 20 Stellen, sagt Erdwiens. Für eine Flächen-PI mit ihren langen Wegen stelle diese Entwicklung ein großes Problem dar. Hinzu komme, dass der Ermittlungsdienst unter der Überalterung der Beamten leide. „Es gibt jetzt eine Pensionswelle. Das Land hat es über Jahre versäumt, ausreichend Personal einzustellen und auszubilden“, kritisiert Erdwiens. Als zusätzliche Ursache für Personalausfälle nennt der Auricher Polizeibeamte den nicht mehr zu kompensierenden Mutterschutz und Erziehungsurlaub in Folge des in den vergangenen Jahren massiv gestiegenen Frauenanteils bei der Polizei.
Besonders problematisch bewertet der Beamte die Bekämpfung der zunehmenden Computerkriminalität. Immer mehr Anzeigen wegen Betrügereien bei Internet-Geschäften, Beleidigungen oder Nötigungen gingen auf den Polizeidienststellen ein. Es stehe aber nicht ausreichend Personal zur Verfügung, um dieser Entwicklung zu begegnen. Erdwiens schlägt vor, dass das Land die Polizei von bestimmten Aufgaben entbindet. So könne z.B. der komplette Jugendschutz an die Landkreise abgegeben werden. Zudem könnte die Polizei die personalintensive Begleitung von Schwertransporten an private Firmen übertragen, genauso wie den Schutz von Veranstaltungen, findet er. stuDieser Artikel erschien in Ausgabe #144.