(rb) Jahrzehntelang haben Feministinnen, Frauen- und Hilfsorganisationen vergeblich an Politik und Justiz appelliert, in Deutschland lebende muslimische Mädchen und Frauen vor Zwangsehen zu schützen. Bis heute verschwinden jedes Jahr in den Sommerferien ungezählte Minderjährige in den Heimatländern ihrer Eltern oder Großeltern. Sie kehren nicht in die Schule oder an den Ausbildungsplatz zurück, nachdem sie gegen ihren Willen mit einem Cousin, einem Onkel oder einem anderen, oft wesentlich älteren Mann verheiratet worden sind, den ihre Familien für sie ausgesucht haben. Bisher war der Blick für diese gravierende Menschenrechtsverletzung in Deutschland nur ausnahmsweise geschärft. Vielfach ernteten Kritikerinnen dieser arrangierten Ehen von verantwortlicher Stelle ein Achselzucken oder den Hinweis auf kulturelle Unterschiede, also auf eine Art Folklore, die es zu berücksichtigen gelte.
Die gnadenlose Verschleppung, Vergewaltigung und Tötung von Mädchen und Frauen durch radikale Islamisten sowie die vielschichtige, nicht mehr zu übersehende Schutzlosigkeit, der viele weibliche Flüchtlinge insbesondere muslimischen Glaubens mitten unter uns ausgesetzt sind, haben einen Bewusstseinswandel eingeleitet, der sich hoffentlich stabilisiert und schnell in konkrete Maßnahmen mündet. Die Justizminister/innen der Länder haben die Kinderehen jetzt in den Blick genommen. Sie reagieren damit auf mehrere hundert minderjährige Flüchtlingsmädchen, die bereits in ihrer Heimat mit einem Erwachsenen verheiratet wurden, und jetzt in Deutschland leben. Nach Medienberichten sollen allein in Bayern bis Ende April dieses Jahres 720 Fälle von verheirateten Asylbewerber/innen unter 16 Jahren bzw. unter 18 Jahren registriert worden sein, in Baden-Württemberg 117, in Nordrhein-Westfalen mindestens 188. Das niedersächsische Justizministerium spricht von Einzelfällen und einer nicht schätzbaren Dunkelziffer. Für Gerichte und Jugendämter ergeben sich durch die Kinderehen besondere Probleme, etwa wenn sie die Mädchen und jungen Frauen vor deren Ehemännern schützen oder ihnen den Zugang zu Bildung etc. ermöglichen wollen.
Aus dem Schneider sind die Behörden nur, wenn die im Ausland geschlossenen Kinderehen wie bisher anerkannt werden. Das Oberlandesgericht Bamberg etwa entschied am 12. Mai, dass ein als Vormund bestelltes Jugendamt nicht über den Aufenthaltsort einer heute 15-jährigen Sunnitin aus Syrien bestimmen darf, die noch in der Heimat als 14-Jährige mit einem volljährigen Cousin verheiratet worden war. Die Ehe sei wirksam und selbst im Falle einer Unterschreitung des in Syrien geregelten Ehemündigkeitsalters nicht unwirksam, sondern nur anfechtbar oder aufhebbar, urteilten die Richter. Nach derzeitigem Recht können deutsche Behörden diese Ehen anerkennen, wenn sie nach dem in ihren jeweiligen Herkunftsländern geltenden Recht zustande gekommen sind. Im traditionellen islamischen Recht wird teilweise davon ausgegangen, dass Mädchen bereits mit neun Jahren, Jungen mit zwölf Jahren heiratsfähig sind. Das Bürgerliche Gesetzbuch geht allerdings davon aus, dass erst Volljährige ehemündig sind. Die Familiengerichte können aber in Ausnahmefällen eine Heirat erlauben, auch wenn die Partnerin erst 16 ist. Dann muss aber der Partner volljährig sein. Das Gericht prüft in solchen Fällen u.a., ob die Minderjährige die erforderliche „Reife“ für eine Ehe hat und ob die wirtschaftliche Grundlage gesichert ist. Erziehungsberechtigte können zwar der gerichtlichen Erlaubnis widersprechen, müssen aber triftige Gründe haben. Sonst ist die Heirat auch gegen den Willen der Erziehungsberechtigten möglich.
Die große Koalition in Berlin denkt nun über eine Verschärfung der Gesetze nach, um künftig u.a. den Kinder- und Jugendschutz auch für verheiratete Flüchtlingsmädchen garantieren zu können. Die Frauen Union (FU) der CDU Niedersachsen ist schon einen Schritt weiter. Die Landesvorsitzende Ute Krüger-Pöppelwiehe forderte am Montag, im Ausland geschlossene Kinderehen in Deutschland grundsätzlich zu verbieten, das Mindestheiratsalters auf 18 Jahre festzulegen sowie „Verwandten-Ehen“ zu prüfen. Über das Urteil der Bamberger Richter äußerte sich die FU-Vorsitzende entsetzt. Die Anerkennung von Kinderehen fördere die lebenslange Abhängigkeit junger Frauen von ihren Ehemännern und deren Familien. Schul- und Berufsausbildung, die Grundlage für ein eigenständiges Leben, würden den Mädchen ebenso verwehrt wie die sexuelle Selbstbestimmung. „Mit diesem Urteil wird Sex mit Minderjährigen Tür und Tor geöffnet“, befürchtet Krüger-Pöppelwiehe.
Die Hilfsorganisation „SOS-Kinderdörfer“ hatte bereits im Mai Alarm geschlagen: Immer mehr Flüchtlingskinder würden zwangsverheiratet. Vor allem bei minderjährigen Mädchen aus Syrien steige der Anteil der Kinderehen rapide an – von 13 Prozent aller Hochzeiten vor Beginn des Syrienkrieges auf mittlerweile mehr als 51 Prozent. Vor allem in Flüchtlingscamps in Jordanien, im Libanon, im Irak und in der Türkei entscheiden sich offenbar viele Familien, die Töchter in der Fluchtsituation finanziell, aber auch körperlich durch eine Zwangsehe „abzusichern“. Nach Erfahrung der SOS-Kinderdörfer im Nahen Osten hat das verheerende Folgen. Die Mädchen brechen nicht nur häufig die Schule ab und werden sozial isoliert, sondern auch oft Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch durch wesentlich ältere Ehemänner. Nach Erkenntnis der WHO sterben „Kinderbräute“ am häufigsten bei der Geburt ihres ersten Kindes und durch Selbstmord. briDieser Artikel erschien in Ausgabe #113.