Zum Landtagsgeburtstag: Fünf Vorschläge für eine Parlamentsreform
Es ist stolze 75 Jahre her, dass der niedersächsische Landtag das erste Mal zusammengetreten ist. Damals, 1947, ging es um den Wiederaufbau, um die Beseitigung der Folgen des schrecklichen Krieges – und um den Anfang einer demokratischen Ordnung. Wenn heute in Festreden darauf hingewiesen wird, welches enorme Gewicht die Länder doch in der bundesstaatlichen Ordnung haben und welche besondere Rolle ihnen bei der Verteidigung der Demokratie gegen Angriffe zukommt, dann droht dabei ein Thema zu kurz zu kommen: Repräsentieren die Volksvertreter mit der Art und Weise, wie sie im Landtag arbeiten, eigentlich noch die Wähler? Fühlen sich die Wähler in den Debatten, den Ausschussberatungen und in der Gesetzgebung noch ausreichend vertreten? Oder arbeitet der Landtag am Volk „vorbei“?
Man kann zufrieden reagieren – man kann aber auch aus der Krise der Demokratie, wie sie sich in Nachbarländern abbildet, ein Warnsignal ableiten: Die Politiker sollten sich mehr Mühe geben, die Debatten bürgernäher zu führen. Dazu einige Beispiele:
1. Kürzere, prägnantere Reden:
Schon im alten Rom war die Redekunst etwas Besonderes – als die Gabe, schwierige Zusammenhänge so zu formulieren, dass sie einfach und nachvollziehbar sind. Auch so, dass sich jeder Zuhörer die Botschaft einprägen und weitergeben kann. Cicero war ein Meister dieses Fachs.
Leider beobachtet man im Landtag heute viele Politiker, die den Vortrag in der Debatte eher als lästige Pflichtübung ansehen, die vorbereitete Reden holprig ablesen, selbstverständlich Verwaltungsdeutsch übernehmen und keine Mühe darauf verwenden, komplizierte Fachbegriffe in einfache Worte zu übersetzen. Der Ehrgeiz, eine wirklich gute Rede zu halten, packt nur noch wenige.
Björn Försterling von der FDP zählt zu diesen Leuten, der frühere SPD-Abgeordnete Christos Pantazis ebenso, auch Uwe Schwarz und Wiard Siebels von der SPD, Dirk Toepffer und Jens Nacke von der CDU oder der Grünen-Abgeordnete Gerald Heere. Die Negativ-Beispiele lassen wir mal unerwähnt.
Der Landtag müsste selbst einen Wettbewerb um gute Reden entfachen. Abgeordnete sollten sich öfter spontan melden können, auch ohne Einverständnis ihrer Fraktionsführung. Dazu müssten die Reden auch deutlich kürzer werden – das spornt dazu an, sich auf das Wesentliche zu beschränken und sich jeden Satz genau zu überlegen.
2. Mehr zukunftsgerichtete Projekte:
Die Gesetzgebung steht im Zentrum der Ausschuss- und Plenararbeit, hinzu kommen Entschließungsanträge mit Willensbekundungen. Meistens geht es dabei um kurzfristige Positionen zu aktuellen Problemen. Wofür kaum Zeit bleibt, sind Festlegungen zu mittel- und langfristigen Veränderungen in bestimmten Fragestellungen.
Dazu müsste es neue Formate der Willensbildung geben. Positiv wie negativ war in der ablaufenden Legislaturperiode die Enquetekommission zur medizinischen Versorgung, in der es um die Grundlagen der künftigen Krankenhausstruktur ging. Positiv, weil wichtige Fragen angepackt, diskutiert und später dann entschieden wurden. Negativ aber, weil der Diskussionsprozess mit der Beteiligung aller möglichen Interessensverbände zu breit angelegt und zu umständlich abgearbeitet wurde. Eine parlamentarische Projektarbeit darf nicht mit zu vielen Beteiligten und zu zeitintensiv organisiert sein. Sie muss gründlich sein, aber nicht unendlich.
3. Mehr Einblicke in die Regionen:
Bisher vermeidet es der Landtag, sich speziell um die Perspektiven einzelner Teilgebiete des Landes zu kümmern. Dabei wäre es interessant zu erfahren, welche Ratschläge und Ideen etwa zur Zukunft des Harzes von Politikern geäußert werden, die an der Nordseeküste oder an der holländischen Grenze wohnen.
In jedem Fall könnten Landtagsdiskussionen, basierend auf wissenschaftlicher Begleitung, für die Entwicklungsperspektiven der unterschiedlichen Kreise, Städte und Landschaftsräume von großem Vorteil sein. Immerhin gilt das Prinzip, dass jeder Landtagsabgeordnete Verantwortung für das ganze Land trägt, damit auch für alle seine Teile.
4. Ad-hoc-Gremien bilden:
Die Landtagsarbeit leidet insgesamt an zu vielen Ritualen und einer zu starken Verfestigung der vorgegebenen Strukturen und Rollen – eingeteilt in die Fraktionen, dort dann wieder in die Fach-Arbeitskreise und dann auch in die regionalen Zugehörigkeiten. Die Abgeordneten werden zu stark als Parteivertreter wahrgenommen. Das Parlament sollte die Volksvertreter insgesamt als Träger von Ideen anerkennen, die in bunt zusammengemischter (vielleicht auch ausgeloster) Zusammensetzung aktuelle Themen der Zeit diskutieren und dabei dann im Diskurs neue, unkonventionelle und im günstigen Fall weiterführende Vorschläge entwickeln.
Das ist sicher der Alptraum strenger Fraktionsvorstände, die vor allem auf die Geschlossenheit und die Hierarchie in den eigenen Reihen achten. Alle Abgeordneten, die mit der Lust auf Veränderung in die Politik gegangen sind, können angesichts der starren und jeden neuen Impuls tötenden Rituale recht schnell verzweifeln oder resignieren. Es gibt dafür etliche Beispiele. Der Landtag sollte es vielmehr als eine Aufgabe erkennen, die Abgeordneten zu phantasievollen Diskussionen und lebhaften Debatten zu ermuntern, gern auch quer zu den Schubladen der Parteien.
5. Die Legislative stärken:
Das Übergewicht der Exekutive bleibt ein Grundproblem des deutschen Parlamentarismus. Die Aufgabe der Kontrolle ist de facto bei den Oppositionsfraktionen angesiedelt, da die Regierungsparteien zumeist ihren Auftrag darin erkennen, die Regierung gegen öffentliche Kritik abzuschirmen und sie damit öffentlich zu stabilisieren. Noch dazu wird die Gesetzgebung zu stark von den Ministerien selbst bestimmt, die Gesetzentwürfe ausarbeiten, diese im Landtag vortragen und darauf achten, dass ihre Papiere möglichst unverändert zur Abstimmung gelangen.
Glücklicherweise gibt es den „Gesetzgebungs- und Beratungsdienst“ des Landtags, der eine eigene sehr effektive juristische Kontrolle leistet. Überlegenswert wäre überdies, ob die Befugnis zur Formulierung von Gesetzentwürfen allein den Fraktionen übertragen wird – und den Ministerien das Recht dazu entzogen wird. Dann bliebe es zwar so, dass der gesammelte Sachverstand der Ministerialbürokratie immer noch Einfluss nehmen könnte auf die Erstellung der Gesetzesinitiativen in den Fraktionen. Aber die Ministerien müssten dies immerhin über Umwege tun, ihr Einfluss wäre also abgemildert.
Dieser Artikel erschien am 13.05.2022 in der Ausgabe #090.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
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