Zukunftsforscher warnt: Es gibt kein Zurück in die alte Normalität
Was mag die Zukunft bringen? In Gifhorn konnte man sich in dieser Woche wünschen, dass sie auf jeden Fall wieder mehr physischen Kontakt bringen möge. Der Arbeitgeberverband Region Braunschweig (AGV) hatte seine Mitgliederversammlung und den anschließenden Arbeitgeberdialog zu weiten Teilen ins Internet verlegt.
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AGV-Präsident Wolfgang Niemsch und Hauptgeschäftsführer Florian Bernschneider standen in der Stadthalle Gifhorn vor 500 leeren Plätzen und sprachen in Richtung der aufgebauten Kameras, bei Abstimmungen hob niemand die Hand, auch sie wurden online durchgeführt.
In der anschließenden Online-Veranstaltung hatte sich der Verband das Thema Zukunft auf die Fahnen geschrieben, und das ausgerechnet in einer Phase, in der Corona-bedingt ziemlich unklar ist, was die nahe Zukunft wohl bringen mag. Aber gerade jetzt wird in den Unternehmen das Thema Zukunft verstärkt diskutiert, stellte der nach Gifhorn eingeladene Zukunftsforscher Florian Kondert fest.
Als die Geschäfte in den vergangenen Jahren auf Hochtouren liefen, kümmerten sich die Unternehmen vor allem um die aktuelle Produktion und den Geldfluss. Jetzt, in der Krise, taucht auf einmal die Frage auf, wie eigentlich die Zukunft aussieht – und damit sind nicht die nächsten Monate, sondern die nächsten Jahre und Jahrzehnte gemeint.
Florian Kondert ist 39 Jahre alt, und wer mit ihm spricht, könnte meinen, dass es keinen Text in einem Managementbuch oder auch keinen Artikel zum Thema Unternehmensführung gibt, den er nicht gelesen hat. Er ist Mitglied der Geschäftsführung des Zukunftsinstituts in Frankfurt und externer Experte des Arbeitskreises „Arbeit der Zukunft“ der Bundesregierung.
Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick am Rande der AGV-Veranstaltung rief Kondert dazu auf, auch die Chancen der aktuellen Krise nicht aus den Augen zu verlieren. Es liege nun eine „riesengroße grüne Wiese“ vor uns. „Vieles, was ehrlicherweise schon vor der Krise ziemlich kaputt war, aber einfach geduldet wurde, kommt jetzt noch einmal unter der Lupe. Und das wird auch nicht wiederkommen“, betonte Kondert selbstbewusst, auch wenn sich viele immer noch eine Rückkehr in die vormalige sogenannte Normalität wünschten.
Jetzt müssten die Unternehmen aber neue Möglichkeiten prüfen. „Es gibt keinen Vorsprung mehr, den man sich lange erarbeitet hat. Schließlich schwimmen gerade fast allen die Felle davon.“ Konderts Rat an die Unternehmen: „Schnell sein, mutig sein, spielerisch sein, und endlich einmal das in die Praxis umsetzen, was man schon in allen Management-Ratgebern lesen kann.“
Vieles, was ehrlicherweise schon vor der Krise ziemlich kaputt war, aber einfach geduldet wurde, kommt jetzt noch einmal unter der Lupe. Und das wird auch nicht wiederkommen.
Kondert bezeichnet sich selbst gerne als „Rumpelstilzchen“ und konfrontiert Unternehmen oft mit unbequemen Wahrheiten. So hatten die Unternehmen im Vorfeld der Veranstaltung in einer Umfrage angegeben, was sie gerade beschäftigt. Das Ergebnis zeigte keine Überraschungen, es ist zum Beispiel die Digitalisierung, aber auch die (vermutlich ebenfalls digitale) Transformation. Von den „üblichen Verdächtigen“ sprach Kondert und fragte: „Was haben Sie in den letzten Jahren gemacht?“ Das Thema der Technologie habe uns schließlich in den vergangenen 25 Jahren beschäftigt. „Es gab zahlreiche Möglichkeiten, früh aktiv zu werden. Nun gibt es die Corona-Krise und die bringt das Problem der Beschleunigung mit sich.“
Über-Begriff der Digitalisierung ist kontraktproduktiv
Immer wieder mache uns, aber eben auch den Unternehmern, die eigene Bequemlichkeit zu schaffen. Man versuche, möglichst sicher zu entscheiden und es sei auch verständlich, dass viele die alte Normalität zurückhaben wollten, obwohl alle wüssten, dass nicht alles optimal gewesen sei. „Gleichzeitig ist es aber zynisch, weil man damit auch die Aussage trifft, dass der Mensch nicht wandlungsfähig ist und nicht aus dem System heraus etwas Neues schaffen kann“, kritisierte Kondert.
Es sei nicht leicht, in einer Zeit der Erschöpfung mutige Entscheidungen zu treffen. Dennoch sei jetzt die Situation gekommen, in der eben genau diese kritischen und relevanten Entscheidungen getroffen werden müssten, wobei es auch um die großen Fragen des Klimawandels und der Globalisierung gehe. „Wenn wir zurück in die alte Normalität wollen, werden wir das alles nicht lösen. Denn unsere Vergangenheit hat uns erst in diese Situation gebracht“, sagte der Zukunftsforscher.
Den übergroßen Begriff der Digitalisierung sieht Kondert dabei allerdings skeptisch, hält ihn inzwischen sogar für kontraproduktiv, weil Unternehmen das Schlagwort gerne auch für Vermeidungsdiskussionen nutzten. Oftmals gehe es bei Herausforderungen gar nicht um die Digitalisierung, sondern um problematische Prozesse oder Geschäftsmodelle, die schlichtweg nicht funktionierten. „Gute Ideen sind noch nie an neuen Technologien gescheitert“, stellte Kondert in Gifhorn fest.
Ihn stört auch, dass man mit dem Begriff Digitalisierung eine Blase erzeugt habe. „Wenn wir auf die Straße gehen und zehn Menschen nach der Digitalisierung fragen, bekommen wir 12 unterschiedliche Antworten. Das ist problematisch, wir beginnen uns selbst zu verwirren“, sagte Kondert und hatte eine ganz klare Forderung: „Das muss aufhören.“
Stattdessen sollten sich die Unternehmen konkret mit ihren ganz klaren Herausforderungen für die Zukunft beschäftigen und auch das Rumpelstilzchen im Konferenzraum hören. Schließlich gilt nach wie vor das Sprichwort des US-Informatikers Alan Kay: „Die beste Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen ist, sie zu erfinden.“
Martin Brüning