18. Apr. 2023 · Wirtschaft

Wohnungswirtschaft beschwert sich über „politische Drangsalierung“

In der sozial orientierten Wohnungswirtschaft ist man auf die Ampel-Regierung in Berlin derzeit nicht gut zu sprechen. Vor allem ein Staatssekretär aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) befindet sich auf der nach unten offenen Beliebtheitsskala geradezu im freien Fall: Patrick Graichen, ehemaliger Geschäftsführer und Mitgründer der Lobby-Organisation „Agora Energiewende“, bringt mit seinen ambitionierten Vorgaben für den Bausektor die Wohnungsunternehmen vor Wut zum Schäumen.

GdW-Präsident Axel Gedaschko ärgert sich in Bad Zwischenahn über die Berliner Politik. | Foto: Link
GdW-Präsident Axel Gedaschko ärgert sich in Bad Zwischenahn über die Berliner Politik. | Foto: Link

„Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. In Berlin tritt stattdessen aber immer häufiger das Träumen mit verschlossenen Augen an diese Stelle“, ärgert sich Susanne Schmitt, Direktorin des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen/Bremen (vdw), und meint damit nicht zuletzt den zuständigen Staatssekretär für Energie- und Klimafragen. Anstatt der von astronomischen Baupreissteigerungen betroffenen Wohnungswirtschaft in der Wohnungsbaukrise irgendwo entgegenzukommen, würden Graichen und seine Kollegen immer wieder neue Standards und Vorgaben oben draufsetzen.

„Wir haben derzeit den Eindruck, dass vor allem wir, die Vermieter, für die Energiewende bezahlen sollen.“

Susanne Schmitt

„Die Wohnungswirtschaft soll ihre Gebäude so schnell wie möglich umbauen, die Mieten sollen aber aus wohnungspolitischen Gründen gleich bleiben. Wir haben derzeit den Eindruck, dass vor allem wir, die Vermieter, für die Energiewende bezahlen sollen“, sagt Schmitt und sieht eine „beispiellose Benachteiligung der Branche“. Mit dieser Einschätzung ist die vdw-Chefin beim „40. Zwischenahner Gespräch“ nicht allein. Beim Branchentreffen der sozial orientierten Wohnungswirtschaft in der gleichnamigen Kurstadt im Landkreis Ammerland herrschte vergangene Woche Einigkeit darüber, dass die Sanierungsziele der Bundesregierung unter den herrschenden Bedingungen nicht zu erfüllen sind.

Vorwurf: Politik überfordert Wohnungswirtschaft und Mieter gleichermaßen

„Die politische Drangsalierung führt uns an Grenzen und über Grenzen hinaus“, betont Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). Die „Gleichzeitigkeit und die Intensität“ der Herausforderungen würden sowohl die Wohnungswirtschaft als auch die Mieter überfordern. „Man muss den Menschen die Sorge vor dem Klimaschutz nehmen, ansonsten werden wir das nicht hinbekommen“, sagt er. Doch die Schere zwischen der Realität auf dem Wohnungsmarkt und dem, was die Politik fordert, gehe immer weiter auseinander. In Anspielung auf eine bekannte deutsche Punk-Band spricht er von „abstürzenden Neubauzahlen“ und sieht in Hinblick auf das weiterhin „hohe Preisplateau“ keine Besserung in Sicht.



„Bei Baupreisen von 4000 Euro pro Quadratmeter aufwärts brauchen wir Kostenmieten von 16 bis 17 Euro. Wer will das seinen Mietern zumuten?“, rechnet Schmitt vor und verweist auf die aktuelle vdw-Durchschnittsmiete in Niedersachen von 6,01 Euro pro Quadratmeter. Dieses Problem haben übrigens nicht nur die sozial orientierten Immobilienunternehmen. „Neubau, der zu leistbaren Mieten führt, ist aktuell nicht möglich“, bestätigte kürzlich auch Vonovia-Konzernchef Rolf Buch. Das größte deutsche Wohnungsunternehmen hatte zum Jahresbeginn alle neuen Bauprojekte auf Eis gelegt, obwohl der Aktienkonzern grundsätzlich Potenzial für 60.000 neue Wohnungen sieht – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Laut eigenen Angaben erhebt Vonovia für seine rund 550.000 Bestandswohnungen derzeit eine Durchschnittsmiete von 7,40 Euro pro Quadratmeter. 

GdW-Präsident fordert mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt

Für den GdW-Präsidenten stellt sich aus Unternehmenssicht vor allem eine Frage: „Wie erreichen wir die Klimaziele, ohne dass wir in die Insolvenz gehen?“ Kaum ein Wohnungsunternehmen könne derzeit abschätzen, welche Kosten bei der Dekarbonisierung des Bestands anfallen werden und wie sich diese Investitionen finanzieren lassen. Laut Gedaschko benötigen die Unternehmen in erster Linie mehr Eigenmittel, die angesichts der bisherigen Durchschnittsmieten und der mageren Rendite jedoch kaum anzuhäufen sind. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften könnten zwar auf Zuschüsse von den Kommunen hoffen, doch auch hier seien die Möglichkeiten schon weitgehend erschöpft. Gedaschko fordert deswegen mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt.

„Wir brauchen ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro bis 2025 für den sozialen Wohnungsbau.“

Axel Gedaschko

„Wir brauchen ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro bis 2025 für den sozialen Wohnungsbau“, sagt der GdW-Präsident. Die derzeitige Strategie, die den Neubau von Sozialwohnungen vorsieht, hält er für falsch. „Wir bauen für 16 bis 17 Euro pro Quadratmeter und subventionieren runter auf 6,50 bis 7,50 Euro. Das ist Wahnsinn“, meint der frühere Hamburger Wirtschaftssenator. Stattdessen schlägt er vor, dass die Politik die Belegungsrechte für bestehende Wohnungen kauft und den Wohnungsneubau nur so weit bezuschusst, dass Mietpreise zwischen 10 und 11 Euro pro Quadratmeter realisierbar sind. 

Miete darf selbst nach energetischer Komplettsanierung nur um 3 Euro steigen

Die steigenden Baukosten in Verbindung mit den hohen Standards und Auflagen machen laut Gedaschko auch die Modernisierung des Wohnungsbestands finanziell immer unattraktiver. Als ein echtes Handicap erweise sich derzeit vor allem der BGB-Paragraf 559, der die Miethöhe nach Modernisierungsmaßnahmen beschränkt. Laut Gesetz darf die Kaltmiete selbst bei einer energetischen Komplettsanierung nur um maximal 3 Euro pro Quadratmeter steigen, bei Sozialwohnungen (bis 7 Euro Miete pro Quadratmeter) nur um höchstens 2 Euro. Wie viel Geld die Mieter gleichzeitig bei den Energieausgaben einsparen, spielt dabei keine Rolle. „Der 2-Euro-Deckel schränkt uns zu sehr ein. Bei dem, was wir jetzt angehen müssen, wird das nicht funktionieren“, sagt Gedaschko.

Susanne Schmitt spricht beim 40. Zwischenahner Gespräch über den Zustand der niedersächsischen Wohnungswirtschaft. | Foto: Link
Susanne Schmitt spricht beim 40. Zwischenahner Gespräch über den Zustand der niedersächsischen Wohnungswirtschaft. | Foto: Link

Er rechnet vor, dass die Regelung aus dem Jahr 2019 längst veraltet ist: Eine Mietpreissteigerung von 2 Euro habe heute nur noch einen Baugegenwert von 1,24 Euro. Um Baupreissteigerung und Inflation auszugleichen, müssten die Grenzwerte laut dem GdW-Präsidenten von 2 auf 3,21 Euro und von 3 auf 4,82 Euro erhöht werden. Dass die Politik jedoch untätig bleibt, habe schon erste Auswirkungen: Nach einer GdW-Umfrage haben die Mitgliedsunternehmen 21 Prozent der bereits geplanten energetischen Sanierungsmaßnahmen gestrichen. Rund 43.000 Wohnungen könnten allein wegen der schlechten Rahmenbedingungen nicht in einen klimagerechten Zustand gebracht werden. 

VDW-Direktorin warnt vor „völliger Überlastung der Stromnetze"

Wie der Gebäudesektor bis 2050 komplett klimaneutral werden soll, ist für Schmitt auch aus logistischer Sicht eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Bei den vdw-Unternehmen betrage die Leerstandsquote gerade mal 1 Prozent. „Da kann ich keine Sanierungsquote von 3 Prozent planen, ohne mir zu überlegen, was ich mit den Menschen mache, die in den betroffenen Wohnungen leben“, sagt die Verbandsdirektorin. Keine echten Lösungen liefere die Bundesregierung auch in Hinblick auf den Handwerkermangel, Materialengpässe und die Stromversorgung. Nicht nur Schmitt warnt angesichts der Umstellung von Gas- auf Stromheizungen vor einer „völligen Überlastung der Stromnetze“. Gedaschko verweist auf den Energiewendeindex der internationalen Beratungsfirma McKinsey. Demnach droht Deutschland bis 2030 eine Stromlücke von 30 Gigawatt, was etwa 30 thermischen Großkraftwerken entspricht.



Eine GdW-Stichprobe habe außerdem ergeben, dass es schon jetzt in zehn von elf Netzgebieten Probleme beim Anschluss von Wärmepumpen an das Stromnetz gebe. Und am Beispiel der 22.000-Einwohner-Stadt Westerstede (Kreis Ammerland) macht Gedaschko deutlich, was für eine Herkulesaufgabe die Energiewende für eine ganz normale Kommune mit sich bringt: Die Kreisstadt müsse das 217 Kilometer lange Mittelspannungsnetz um fast ein Viertel ausbauen, das 381 Kilometer lange Niedrigspannungsnetz um ein Sechstel. Zudem müsste Westerstede insgesamt 68 Trafostationen ersetzen oder neu bauen. Dass für diesen Netzausbau bundesweit genügend Kapazitäten vorhanden sind, zweifelt der GdW-Präsident entschieden an. Schmitt kritisiert in diesem Zusammenhang die Fokussierung auf Stromheizungen. Die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung könne auch durch Biomasse, Geothermie, industrielle Abwärme, Wasserstoff und klimafreundliches Gas erreicht werden. Dazu müsse aber endlich auch eine kommunale Wärmeplanung mit Quartiersbetrachtung her. 

Vertreter der Wohnungswirtschaft fordern 35-prozentige Bezuschussung von Wärmepumpen

„Statt vieler kleiner Maßnahmen brauchen wir einen Masterplan, der auf die nächsten 15 Jahre angelegt ist und die Kosten für die Energiewende fair verteilt“, sagt Schmitt. Die Reduzierung von Standards und mehr Möglichkeiten, einfacher zu bauen, müssten dabei berücksichtigt werden. Bayern hat zu diesem Zweck zusammen mit der bayerischen Architektenkammer bereits den „Gebäudetyp E“ entwickelt, der niedersächsische Bauminister Olaf Lies hat ein ähnliches Modell für Niedersachsen in Aussicht gestellt.

„Wir können es uns als Nation nicht mehr leisten, jeden in Deutschland gleichermaßen zu subventionieren.“

Axel Gedaschko

Die Vertreter der Wohnungswirtschaft halten außerdem eine Reform der Wohnungsbauförderung für unvermeidlich. „Fördern mit der Gießkanne wird nicht mehr funktionieren. Wir können es uns als Nation nicht mehr leisten, jeden in Deutschland gleichermaßen zu subventionieren“, sagt Gedaschko. Für unverzichtbar hält er jedoch die 35-prozentige Bezuschussung von Biomasse- und Wärmepumpenheizungen, die es bereits gibt, sowie eine Abwrackprämie für alte Heizanlagen, über die derzeit diskutiert wird. Dass die letztere Maßnahme im Bundeswirtschaftsministerium kritisch gesehen wird, kann der GdW-Präsident nicht nachvollziehen. Seinem Eindruck nach habe man in der Behörde von Robert Habeck offenbar nicht verstanden, dass derartige Heizsysteme insbesondere in Geschosswohnungen über bis zu 50 Jahre abgeschrieben werden und der vorzeitige Austausch einen Wertverlust bedeutet.

Dieser Artikel erschien am 19.4.2023 in Ausgabe #071.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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