Darum geht es: In Niedersachsen werden in den Wachstumsregionen bis zum Jahr 2035 fast 300.000 zusätzliche Wohnungen benötigt. Gleichzeitig gibt es in einigen Regionen aber auch viele Wohnungen, die nicht mehr gebraucht werden – landesweit sind es 70.000. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Drei Zahlen machen die aktuelle Problemlage auf dem Wohnungsmarkt deutlich. Die Zahl der Haushalte ist im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent gestiegen, der Wohnungsbestand dagegen nur um 0,7 Prozent. Die Haushaltskaufkraft ist derweil um 0,3 Prozent zurückgegangen. Wer in Städten wie Osnabrück, Hannover, Vechta oder Cloppenburg eine Wohnung sucht, der tut sich schwer. Es mangelt nicht nur insgesamt an Wohnungen, sondern vor allem an Wohnungen, die sich mit einem Durchschnittsgehalt überhaupt noch bezahlen lassen. Früher galt einmal die Regel, dass die Miete etwa bei einem Drittel des Nettoeinkommens liegen sollte. Das gilt schon lange nicht mehr. Wer heute eine neue Wohnung bezieht, muss 40 Prozent seines Lohns schon einmal für Miete einkalkulieren. Wohnen ist der neue Luxus.

Eine schnelle Entspannung ist nicht in Sicht. Der Zuzug in die Städte hält an, in den kommenden zehn Jahren wird Niedersachsen um rund 100.000 Haushalte wachsen. Gleichzeitig versuchen Land und betroffene Kommunen den jahrelangen Dornröschenschlaf in Baubehörden und Immobilienindustrie aufzuholen. In den 90er Jahren hatte man den Bau neuer Wohnungen weitgehend eingestellt. Durch den demographischen Wandel schrumpfe das Land ohnehin, der Trend gehe immer noch zum Häuschen auf dem Land, hieß es. Zugleich waren im Fernsehen Bilder von leer stehenden Wohnblöcken in Ostdeutschland zu sehen. Neue Wohnungen? Lieber nicht.

Heute rächt sich das – und nicht nur bei Alleinerziehenden und Senioren mit schmaler Rente. Auch Otto Normalverdiener ist immer mehr davon betroffen. Die Städte müssen aufpassen, dass sich in den kommenden Jahren das soziale Gefüge nicht gehörig ändert. Zwar werden, wenn auch nicht genügend, neue Wohnungen gebaut. Es sind aber viel zu viele Eigentumswohnungen darunter, die sich bei den aktuellen Immobilienpreisen nur wenige Besserverdienende leisten können. Die Kalkulation, damit lieber den Manager in die Stadt zu locken als den Verkäufer im Einzelhandel, dürfte langfristig nicht aufgehen. Nur durch teure Wohnungen wird Hannover nicht das neue München. Im schlechtesten Fall werden Städte ohne angemessenen Wohnraum irgendwann wieder unattraktiv. Trends halten nicht ewig – das dürfte auch für die aktuelle Landflucht gelten.

Die Wohnungsnot in den Städten sollte auch deshalb nicht auf die leichte Schulter genommen werden, weil sie mittelfristig Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung haben könnte. Unternehmen auf dem Land haben häufig Schwierigkeiten, geeignete Fachkräfte zu finden, weil geeignete Infrastruktur fehlt. Wenn die Kita weit entfernt und der Arzt nicht um die Ecke ist, finden das viele Arbeitnehmer oft nicht attraktiv. Das könnte in Zukunft aber auch für Städte gelten, die zwar Jobs, aber nicht den geeigneten Wohnraum zu bieten haben. Im Artland bietet ein Unternehmen jetzt Mitarbeiterwohnungen. Gut möglich, dass das ein neuer Trend werden könnte.

Für manche Kommunen dürften die Probleme in den Städten aber auch eine Chance für die Zukunft sein. Nur weil alle seit Jahren von Landflucht sprechen und wir das Problem von Kommunen in Südniedersachsen jeden Tag aufs Neue zu hören bekommen, bedeutet das nicht, dass sich das in einigen Jahren nicht wieder ändern kann. Mancherorts lässt die Zuwanderung in die Ballungsräume schon wieder nach. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in einer mobilen Gesellschaft, in der Arbeitsplatz und Wohnort nicht mehr zwingend an derselben Stelle sein müssen, nicht wieder eine Rückbesinnung auf das Landleben stattfindet. Plötzlich werden dann wieder Kommunen attraktiv, die man vorher schon fast abgeschrieben hatte. Waren Sie schon einmal in Goslar? Ist schön dort.

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