19. Jan. 2021 · 
Soziales

Wohnbedarfsscheine bald von der Kommune? Die Wohnungsunternehmen sind skeptisch

Die Landesregierung will die Wohnraumförderung auf eine neue gesetzliche Grundlage stellen – und stößt damit auf ein geteiltes Echo. Allgemein begrüßt wird der Ansatz, die öffentliche Förderung künftig auch auf „Wohnquartiere“ auszudehnen, also die Gestaltung eines Ensembles in einer Stadt mit dem Ziel einer höheren Attraktivität. Kritik löst jedoch der Plan aus, die Belegungsrechte für Sozialwohnungen den Kommunen zu übertragen. Bisher nutzt diese Rechte das Land. „Wir halten nichts davon, viel besser wäre es, die Belegungsrechte allein dem Vermieter zu überlassen“, erklärte die Verbandsdirektorin des Verbandes der Wohnungswirtschaft (VdW), Susanne Schmitt. Der Geschäftsführer des Landesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, David Huber, sieht es ähnlich: „Diese krasse Abkehr von der bisherigen Regelung könnte zu einem Flickenteppich führen – je nachdem, wie intensiv eine Kommune die Möglichkeit nutzt, über Belegungsrechte in die Wohnungspolitik einzugreifen.“

Im Umwelt- und Bauausschuss des Landtags haben am Montag die Verbände die Chance erhalten, sich zu den geplanten Änderungen zu äußern. Das Ziel der Landesregierung und der SPD/CDU-Koalition ist es, das Angebot an günstigen Wohnungen zu erhöhen und die Fördermöglichkeiten zu erweitern. Dirk-Ulrich Mende vom Niedersächsischen Städtetag sagte, der Plan sei lobenswert, besonders die Chance zur Landesförderung für das Wohnumfeld komme den Kommunen sehr entgegen. Das jetzt die Städte und Gemeinden für Wohnberechtigungsscheine zuständig sein sollen, führe bei den Kommunen zu einem höheren Verwaltungsaufwand, damit stelle sich die Frage nach der notwendigen Erstattung. Die geforderte Ermittlung des Vermögens der Antragsteller, die einen Berechtigungsschein haben wollen, sei nicht einfach zu leisten. In der Verwaltung der Region Hannover wird beklagt, dass die Ausnahmevorschriften nicht klar genug definiert seien. Ein Fehler sei es auch, dass der Verstoß gegen die Auflagen für den Bezug von Berechtigungsscheinen nicht als Ordnungswidrigkeit eingestuft sei. Zwar seien die Regeln für den Bezug von Berechtigungsscheinen verschärft worden, andererseits gebe es aber mehr Ausnahmen von diesem Schein, wenn eine Sozialwohnung zugewiesen werden soll. Das passe nicht so recht zusammen.

Die Übertragung der Belegungsrechte auf die Kommunen wird sowohl von VdW-Verbandsdirektorin Schmitt als auch von Reinold von Thadden (Mieterbund) kritisch eingeschätzt. Schmitt sagte, gerade kleine Wohnungsgenossenschaften bestünden aus vielen Mitgliedern, von denen viele wenig Einkommen haben und für eine kleine günstige Wohnung sparten. Ihre Pläne könnten durchkreuzt werden, wenn die Gemeinde einschreite und kleine Wohnungen für Menschen mit Berechtigungsscheinen reservieren wolle. Ein solcher Zustand könne zu einer Dämpfung des Wohnungsbaus führen, wenn die Genossenschaft nicht mehr Herr des Verfahrens sei. Es könne auch sein, dass ein Unternehmen die staatliche Förderung umgehe und lieber günstige Kredite am Markt beanspruche, um die Sozialbindung zu umgehen, betonte Schmitt. Von Thadden meinte, der von Schmitt beschriebene Effekt sei ein ernstes Problem. Die VdW-Verbandsdirektorin sagte zudem, 2 Millionen Euro jährlich für die Quartiersförderung seien zu wenig, die Sorge bestehe, dass der 400-Millionen-Etat für soziale Wohnraumförderung angetastet werde. „Das soll aber nicht passieren, deshalb muss der Landtag den Etat für die Quartiersförderung aufstocken“, betonte Schmitt. Die „Landesarbeitsgemeinschaft soziale Brennpunkte“ teilte mit, die Corona-Krise habe die Bedeutung von Nachbarschaftshilfe enorm gesteigert – daher müsse für diesen Bereich mehr Geld fließen. „Vier Millionen Euro, jeweils auf drei Jahre verteilt, reichen dafür nicht mehr aus.“ Die Arbeitsgemeinschaft der Studentenwerke zeigte sich zufrieden, dass Studenten auch ohne Berechtigungsschein Zugang zu einem der landesweit 15.900 Wohnheimplätze bekommen können. Die Fluktuation betrage hier 50 Prozent, wegen des häufigen Mieterwechsels sei auch die vorgeschlagene Pauschalisierung der Nebenkosten sinnvoll.

Dieser Artikel erschien am 19.1.2021 in Ausgabe #010.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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