5. Feb. 2024 · 
Wirtschaft

Wo bleibt ein Ansiedlungserfolg?

Brandenburg hat Tesla, Sachsen-Anhalt wird bald Intel haben, Schleswig-Holstein hat Northvolt – nur Niedersachsen als „Energieland Nr. 1“ kann bisher noch kein derartiges Megaprojekt vorweisen. „Der letzte relevante Ansiedlungserfolg ist Siemens in Cuxhaven gewesen“, beklagte Volker Müller beim „Energiepolitischen Jahresauftakt“ der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) und des Oldenburger Energieunternehmens EWE in Hannover. Sieben Jahre lang hatte sich die Stadt an der Nordseeküste um die Offshore-Sparte des Weltkonzerns bemüht, bis es 2015 endlich die Zusage für das 200-Millionen-Windturbinen-Werk mit mehr als 1000 neuen Arbeitsplätzen gab. Inzwischen gilt in Niedersachsen zwar flächendeckend der Leitspruch „Industrie folgt Energie“, doch steht er bislang eher für eine vage Hoffnung denn für einen nachweisbaren Trend.

Moderatorin Jasmin Wiegand (von links) spricht mit Johann Wimberg, Stefan Dohler und Volker Müller über Energiewende und Standortpolitik | Foto: Link

„Wir als Land müssen jetzt richtig loslegen“, forderte UVN-Hauptgeschäftsführer Müller. Bei den anwesenden Landtagsvizepräsidenten Meta Janssen-Kucz (Grüne), Sabine Tippelt (SPD) und Jens Nacke (CDU) warb er um volle Rückendeckung für die neue Wirtschaftsallianz „Powerhouse Nord“, die sich am 12. Februar in Oldenburg gründen wird. „Wir als Region haben ganz viel zu bieten. Warum treten wir nicht als Marke auf und sagen: Wenn du herkommst, kriegst du grüne Energie zum günstigen Preis?“, sagte der EWE-Vorstandsvorsitzende Stefan Dohler und erläuterte die Idee hinter der Initiative. Neben billigem Ökostrom will der Chef des fünftgrößten deutschen Energiekonzerns auch mit schlanken Verwaltungsstrukturen und einer überzeugenden Infrastruktur für Investitionen in Norddeutschland werben. Dohler verwies auf Windparks, LNG-Terminals, Kavernenspeicher, grüne Wasserstoff-Projekte und Forschungseinrichtungen. „Es ist mehr als sinnvoll, dass Unternehmen, Energiewirtschaft und Kommunalpolitik in regionalen Allianzen an einem Strang ziehen und mit dem Blick des Praktikers konkret sagen, was als Nächstes getan werden muss“, meinte der EWE-Chef und betonte: „Es geht bei den Standortentscheidungen längst nicht mehr um Norden oder Süden. Es geht um die Frage: Deutschland oder weg aus Deutschland.“

Cloppenburgs Landrat Johann Wimberg plädierte bei großen Industrieansiedlungen ebenfalls für die interkommunale Zusammenarbeit. „Das kann eine Kommune nicht alleine schaffen. Eine Stadt oder eine unabhängige Gemeinde sind da klar überfordert – selbst ein Landkreis hat es schwer“, sagte der CDU-Politiker. Gemeinsame Gewerbeparks in Autobahnnähe seien nicht nur ressourcenschonend, sondern ließen sich auch besser finanzieren. „Mit der Einrichtung von Gewerbegebieten gehen Kommunen in Vorleistungen. Das kostet viel Geld, rechnet sich aber auf lange Sicht – auch wenn es nach Steuerabschreibungen eine Weile dauert, bis sich das in der kommunalen Kasse widerspiegelt“, sagte Wimberg. Bei einem Joint Venture sei die finanzielle Last auf mehreren Schultern verteilt.

Wirtschaft wünscht sich Strom-Rabatte

„Warum haben wir eigentlich Rezession in Deutschland? Weil die Energiepreise sich so verändert haben, wie sie sich verändert haben“, sagte UVN-Hauptgeschäftsführer Müller. EWE-Vorstandschef Dohler berichtete, dass sich die Großhandelspreise für Strom wieder auf unter 80 Euro pro Megawattstunde eingependelt hätten. Das liege zwar deutlich über dem Niveau vor dem Ukraine-Krieg (2020: 30,47 Euro pro Megawattstunde). „Das ist aber nicht der Anstieg, wo man sagen muss: Daran stirbt die deutsche Volkswirtschaft. Die Frage ist eher: Was kommt denn da noch?“, sagte Dohler. Müller bestätigte, dass es vor allem die Angst vor weiteren Erhöhungen sei, die die Unternehmen belaste. Laut dem EWE-Chef gebe es viele kluge Wege, die Strompreise zu dämpfen – etwa durch eine Reduzierung der Redispatch-Kosten, die 2022 auf einen Rekordwert von 4,2 Milliarden Euro gestiegen waren. Um die Netzstabilität zu erhalten, war in Niedersachsen so viel Windenergie wie noch nie abgeregelt und im Gegenzug fossile Energie aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder dem Ausland dazugeschaltet worden.

Jens Nacke (von links) wehrt sich gegen Pauschalkritik an der Politik bei der Energiewende, Marco Trips und Meta Janssen-Kucz hören zu. | Foto: UVN/Marcus Prell


Bisher verpufft der abgeregelte Windstrom wirkungslos, was aber nicht so sein müsse. Müller forderte, dass Unternehmen dieser überflüssige Strom mit erheblichen Preisabschlägen angeboten werde. Dohler sprach sich ebenfalls dafür aus, diejenigen zu belohnen, die bei der Dämpfung der Redispatch-Kosten mithelfen. Das reformierte Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) gibt den Übertragungsnetzbetreibern ab 1. Oktober 2024 grundsätzlich auch die Möglichkeit dazu. Bärbel Heidebroek, Vorsitzende des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE), kritisierte die Regelung jedoch als zu ungenau. Die Stromabnehmer müssen nämlich die „Zusätzlichkeit des Stromverbrauchs“ nachweisen, die von der Bundesnetzagentur bisher nicht klar umrissen wurde. „Das kann man von ‚alles ist zusätzlich‘ bis hin zu ‚nichts ist zusätzlich‘ definieren“, sagte Heidebroek. Die LEE-Vorsitzende forderte von der Bundesnetzagentur eine „bürokratiearme Lösung“.

Dieser Artikel erschien am 6.2.2024 in Ausgabe #22.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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