Wirbel um Bürgermeisterwahl in Uslar
Wann dürfen in der Corona-Krise mit ihren Kontakt- und Versammlungsverboten Wahlen von Bürgermeistern und Landräten noch stattfinden – und wann nicht? Die Wirklichkeit in Niedersachsen ist derzeit verwirrend. Mehrere Wahlen sind in den vergangenen Wochen schon geschehen, doch eine aktuelle Entscheidung des Landkreises Northeim zur Bürgermeisterwahl in Uslar sorgt nun für helle Aufregung in Hannover: Die Landrätin Astrid Klinkert-Kittel (SPD) untersagte die Wahl per Allgemeinverfügung und sicherte dem Amtsinhaber, Bürgermeister Torsten Bauer (CDU), eine vorläufige weitere Amtszeit zu – bis zunächst Anfang September.
Doch die Rechtsgrundlage, auf der sie handelte, kann möglicherweise nicht ausreichend sein. Der FDP-Kreistagsabgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion, Christian Grascha, hat massive Bedenken gegen das Vorgehen der Landrätin und wandte sich bereits mit einem längeren Schreiben an Innenminister Boris Pistorius (SPD).
Dass per Allgemeinverfügung des Kreises die Amtszeit eines Bürgermeisters einfach verlängert werden kann und die rechtliche Basis dafür das Bundesinfektionsschutzgesetz ist, hält Grascha für juristisch angreifbar: „Es ist nicht erkennbar, warum eine längere Tätigkeit eines Bürgermeisters ein Beitrag zur Vermeidung von Ansteckungen sein soll – es könnte doch auch sein allgemeiner Vertreter aktiv werden“, sagt Grascha.
Unterschiedlicher Umgang mit Wahlen in Niedersachsen
Der Fall Uslar wirft nun ein Licht auf die bisher alles andere als eindeutigen Regeln für Bürgermeister- und Landratswahlen in der Corona-Krise. Die Landratswahl in Hameln-Pyrmont am 8. März, als die Krise gerade zu eskalieren begann, hatte noch regulär stattgefunden. Die diesbezügliche Stichwahl wurde erst verschoben, dann auf eine reine Briefwahl umgestellt – mit dem Resultat, dass die Wahlbeteiligung nicht etwa abgerutscht wäre, sie lag sogar um fünf Prozentpunkte höher als im ersten Durchgang. In der Samtgemeinde Grasleben und im Flecken Ottersberg gab es am vergangenen Wochenende Bürgermeisterwahlen als reine Briefwahlen: jeweils war die Beteiligung ordentlich.
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Dass eine Wahl wegen der Corona-Krise nun ganz verschoben wird, geschieht mit Uslar zum ersten Mal. Die Allgemeinverfügung von Klinkert-Kittel sieht vor, dass frühestens am 1. September über einen neuen Wahltermin befunden werden könne. Schon wird im Landkreis diskutiert, ob auch die geplante Bürgermeisterwahl in Einbeck, die im September sein sollte, gefährdet ist. Uslar hätte regulär eigentlich am 7. Juni wählen sollen. Amtsinhaber Bauer hätte es, da die Mitbewerber schon feststehen, vermutlich mit drei Gegenkandidaten zu tun bekommen – dem Sozialdemokraten Sven Borchert und den Einzelbewerbern Volker Fuchs und Sebastian Pfeiffer.
Startvorteil oder Nachteil für den Amtsinhaber?
Die Northeimer Landrätin agiert hier mit der Verschiebung offenbar deshalb so vorsichtig, da sie die Debatte in Polen vor Augen hat: Dort sollen am 10. Mai Präsidentschaftswahlen sein, die Regierungspartei PiS hofft auf die Bestätigung ihres Kandidaten Andrzej Duda, die liberale Opposition um Donald Tusk ruft inzwischen zum Wahlboykott auf. Tusk argumentiert, die Gegenkandidaten hätten keine Chance zur Profilierung, dadurch bekomme Duda eine ungleich bessere Ausgangsposition. Ist die Verschiebung in Uslar nun also ein Schritt, einen möglichen Startvorteil von Amtsinhaber Torsten Bauer zu vermeiden?
Es gibt im Landkreis auch Stimmen, die entgegengesetzt argumentieren: Dadurch, dass Bauers Amtszeit per Verfügung auf unbestimmte Zeit verlängert worden ist, bekomme er eine Machtfülle, die ihm laut Kommunalverfassung gar nicht zustehen dürfe. So beispielsweise argumentiert auch der FDP-Politiker Grascha. Er stellt das Verfahren insgesamt in Frage: So wäre doch auch in Uslar mit rund 12.000 Wahlberechtigten auf jeden Fall eine Briefwahl möglich gewesen – aber auch die üblichen Wahlen mit Wahllokalen und Wahlvorständen müssten unproblematisch zu organisieren sein, sagt er: „Wenn die Leute im Supermarkt den nötigen Abstand einhalten können, warum dann nicht auch im Wahllokal? Man müsste doch nur ausreichend Kugelschreiber beschaffen, damit jeder einen eigenen nutzen kann.“
Im Landtag wird offenbar eine „Lex Uslar“ ausgearbeitet
Auch für die Bürgermeisterwahlen in Einbeck wäre das denkbar, dafür aber müsse das derzeit per Landesverordnung niedersachsenweit geltende Versammlungsverbot eine Ausnahmevorschrift erhalten – die Parteien müssten die Chance bekommen, in einer Aufstellungsversammlung ihre Kandidaten zu nominieren. Die SPD in Einbeck hat derzeit drei konkurrierende Bewerber.
Unterdessen gibt es Hinweise, dass der Landtag zügig ein neues Gesetz beschließen will, mit dem die Amtszeitverlängerung für Bauer abgedeckt wird – und verbindlich für alle Kommunen geregelt werden kann, wie in Zeiten einer Epidemie Direktwahlen stattfinden oder unter welchen Bedingungen sie verschoben werden können. In Landtagskreisen wird über das Vorhaben schon mit dem leicht spöttischen Begriff „Lex Uslar“ getuschelt.