Wirbel um 30.000 VW-Stellen: Was bezweckt Konzernchef Diess wirklich?
Der Aufsichtsrat des Volkswagen tagt grundsätzlich hinter verschlossenen Türen und ist zur Geheimhaltung verpflichtet. Doch über einen Artikel im „Handelsblatt“ sind kürzlich trotzdem vertrauliche Interna öffentlich geworden. Demnach soll Konzernchef Herbert Diess den Abbau von 30.000 Stellen ins Spiel gebracht haben – womit jede vierte Stelle der Kernmarke VW in Deutschland in Gefahr wäre. Doch will der 62-jährige Österreicher tatsächlich einen Streit um die Jobsicherheit bei Volkswagen neu vom Zaun brechen?
Dass die Ereignisse der Aufsichtsratssitzung am 24. September ausgerechnet jetzt bekannt werden, hat wohl terminliche Gründe. Am Mittwoch hat im idyllischen Alpbach bei Innsbruck ein Treffen zwischen den internationalen Unternehmensvorständen und dem sogenannten Topmanagementkreis begonnen. Laut „Business-Insider“ will Diess dabei insbesondere Zusammenarbeit und Synergien im Konzern thematisieren. Der VW-Chef ärgert sich laut dem Bericht über die Performance der Gruppe „Volumen“, zu der die Kernmarke Volkswagen-Personenwagen, Seat, Skoda-Auto und Volkswagen-Nutzfahrzeuge gehören. Offenbar will Diess den Volumen-Sprecher und Volkswagen-Personenwagen-CEO Ralf Brandstätter beim Topmanager-Treffen in Tirol zu mehr Effizienz motivieren. Derzeit sei man „auf Kurs, das für die nächsten zwei Jahre festgelegte Fixkostensenkungsprogramm von 5 Prozent zu erfüllen“, meldete der VW-Konzern zwar im Juli. Intern soll sich Diess aber über „kostspielige Doppelarbeit“ ärgern.
VW-Betriebsrat fordert einen
schnelleren Weg in die E-Mobilität
Zudem läuft bei Volkswagen derzeit die Planungsrunde für 2021, in der die Verteilung der Zukunftsinvestitionen in Höhe von insgesamt 150 Milliarden Euro aktualisiert wird. 2020 erhöhte VW dabei den Anteil für Elektromobilität, Hybridisierung und Digitalisierung von 40 auf 50 Prozent (ungefähr 73 Milliarden Euro). Die Umverteilung der Ressourcen geht jedoch weiter. „Die schwierige Lage im Werk Wolfsburg bildet einen klaren Schwerpunkt der laufenden Beratungen für die diesjährige Planungsrunde“, sagte die Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo vor einigen Tagen. Der Betriebsrat fordert deswegen einen schnelleren Weg in die E-Mobilität. Das Projekt „Trinity“ werde zur Auslastung nicht ausreichen, heißt es.
Mit „Trinity“ will VW dem Branchenvorbild Tesla nacheifern. „Wir werden unsere Art Autos zu bauen, komplett neu denken und revolutionäre Ansätze einführen. Digitalisierung, Automatisierung und Leichtbau spielen hier eine wichtige Rolle“, sagte Brandstätter zur Projektvorstellung von „Trinity“ im März. Im Gegensatz zu bisherigen Modellen wie etwa dem VW Golf soll die neue elektrisch angetriebene Limousine, die ab 2026 in Wolfsburg hergestellt wird, mit weitgehend vereinheitlichter Hardware vom Band laufen. Erklärtes Ziel ist es, die Komplexität in der Fertigung deutlich herunterzufahren. VW-Kunden sollen ihr Auto nicht mehr über die Hardware, sondern über die Software individualisieren.
Konfliktpotential zwischen VW-Konzernchef
Diess und dem Betriebsrat
Die Vorteile der Produktionsumstellung liegen auf der Hand: US-Autobauer Tesla will in seiner neuen Gigafactory in Grünheide bei Berlin künftig mit 12.000 Mitarbeitern jährlich 500.000 Elektrofahrzeuge vom „Model Y“ herstellen. Das VW-Werk in Wolfsburg hat einen Zehn-Jahres-Durchschnitt von knapp 780.000 Autos pro Jahr. Hier arbeiten etwa 20.000 der 60.500 Beschäftigten in der Produktion. Dem Vernehmen nach wünscht sich Diess, dass das Stammwerk in Wolfsburg eine Vorreiterrolle auf dem Weg zur E-Mobilität einnimmt. Bisher konnte er sich damit jedoch nicht durchsetzen. Zwickau, Brüssel, Salzgitter und Emden sind innovativer aufgestellt. Laut Insidern blockierte der einflussreiche Betriebsratschef Bernd Osterloh bislang die Pläne des Vorstandsvorsitzenden. Doch der ist inzwischen in den Vorstand von VW-Tochter und Lastwagen-Hersteller Traton gewechselt. Bei der nächsten VW-Vorstandssitzung am 12. November ist Osterloh nicht mehr mit dabei. Trotzdem könnte es für Diess ungemütlich werden. Die Jobabbau-Pläne hatten schon im Aufsichtsrat zu einem Eklat geführt. Das Durchsickern wird die Stimmung nicht verbessern. Und auch Betriebsratschefin Cavallo, die Osterlohs Nachfolge angetreten hat, muss sich auf einen stürmischen November einstellen: Sie wird bereits acht Tage vorm Aufsehertreffen zur Betriebsversammlung im Stammwerk Wolfsburg erwartet. Dort könnte die Diskussion um den Jobabbau die Gemüter erhitzt haben.
„Wir schaffen 2000 neue Digitalisierungs-Arbeitsplätze und bauen durch umfassende Qualifizierungen Digital-Kompetenzen auf.“
Alexandra Bakir, VW-Unternehmenssprecherin
Im Intranet bezeichnete Cavallo laut der Nachrichtenagentur dpa den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen gestern als „absurd“. Und auch die Konzernspitze trat den Spekulationen am Mittwochnachmittag deutlich entgegen. „Ein Abbau von 30.000 Stellen ist kein Thema“, hieß es aus dem Umfeld von Vorstandschef Diess. „Bis 2030 gibt es bei VW eine Beschäftigungsgarantie. Das wird häufig vergessen“, betont Unternehmenssprecherin Alexandra Bakir gegenüber dem Politikjournal Rundblick. Davon nicht betroffen sind allerdings 4000 Stellen, die durch die Optimierung von Prozessen und die Digitalisierung der Verwaltung der VW AG Personenkraftwagen inklusive der Komponente und der VW Sachsen GmbH entfallen. „Zugleich schaffen wir 2000 neue Digitalisierungs-Arbeitsplätze und bauen durch umfassende Qualifizierungen Digital-Kompetenzen auf“, sagt Bakir.
Statt auf betriebsbedingte Kündigungen setze der Konzern bei der digitalen Transformation auf Qualifizierung und Anpassung gelernter Berufsbilder. VW habe ein Budget in Höhe von 160 Millionen Euro bereitgestellt, „um die Belegschaft auf die Herausforderungen der Elektromobilität und Digitalisierung vorzubereiten“. Ansonsten lautet das Prinzip: Aufbau von Arbeitsplätzen in Zukunftsbereichen sowie Abbau von Arbeitsplätzen dort, wo Aufgaben entfallen. „Für die Jahrgänge 1962 bis 1964 gibt es sowohl im direkten als auch im indirekten Bereich Altersteilzeitangebot“, nennt die VW-Sprecherin einen weiteren Baustein. Zudem bilde Volkswagen zur Zukunftssicherung Volkswagen jährlich 1.400 Auszubildende aus. Bakir: „Hierfür wurden bereits rund 80 Prozent der Kompetenzprofile der Berufsbilder neu ausgerichtet.“
Von Christian Wilhelm Link