Früher war Deutschland einmal führend in der Solarindustrie. Heutzutage findet aber nur noch ein verschwindend geringer Bruchteil der Photovoltaik-Wertschöpfung in der Europäischen Union statt. Energieminister Christian Meyer (Grüne) und Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) würden das gerne ändern und wollen die Branche zur Rückkehr nach Niedersachsen bewegen. Aber lohnt sich eine Produktionswiederansiedlung in Norddeutschland für die Industrie überhaupt noch? Photovoltaik-Stratege Stefan Bordihn vom Institut für Solarenergieforschung in Hameln (ISFH) sagt: „Ja“.

Als Mitarbeiter der Firma Q-Cells, die seit ihrer Insolvenz zum südkoreanischen Hanwha-Konzern gehört, hat Bordihn selbst den Niedergang der heimischen PV-Industrie hautnah miterlebt. Heute berät er Unternehmen und Politik bei der Wiederansiedlung dieses Wirtschaftszweigs. Der ISFH-Experte sieht viele gute Gründe, die für eine Solar-Renaissance in Niedersachsen sprechen. Er warnt aber auch vor den Schwierigkeiten, die insbesondere mit der „schmutzigen“ Silizium-Verarbeitung und dem internationalen Subventions-Wettrennen zusammenhängen.
„Die PV-Industrie kann von der bestehenden Industrie und dem Forschungsnetzwerk hier in Niedersachsen enorm profitieren“, sagte Bordihn kürzlich beim niedersächsischen Forum Solarenergie. Insbesondere den schnellen Fortschritt sieht er als Chance für heimische Firmen, die mit dem deutschen Forschungs-Knowhow die nächste Generation von Solarmodulen herstellen wollen. Der Wirkungsgrad einer marktüblichen Einfachsolarzelle aus Silizium liegt derzeit bei 20 bis 22 Prozent, obwohl technisch bis zu 26 Prozent möglich sind.
Laut Bordihn steigt der realisierbare Wirkungsgrad pro Jahr um weitere 0,6 Prozent, was etwa 5 bis 10 Watt entspricht. „Mit der Technologie, die derzeit den Markt beherrscht, sind aber nur höchstens 29 Prozent möglich“, erläutert Bordihn und kündigt einen baldigen „Effizienzsprung“ an. Hoffnungsträger sind die sogenannten Tandemsolarzellen, bei denen zwei oder mehr Solarzellen miteinander kombiniert werden.
Mithilfe dieser Mehrfachzellen hatten Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB) erst vor wenigen Monaten einen neuen Weltrekord aufgestellt und einen Wirkungsgrad von 32,5 Prozent erreicht. Auch das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) und das niedersächsische ISFH forschen an der neuen Technologie. Die Solarexperten aus Hameln arbeiten außerdem daran, den Materialverlust von bis zu 40 Prozent beim Sägen der Silizium-Scheiben zu minimieren.

Der große Standortvorteil Niedersachsens ist die Nordseeküste. Dank Windkraft sind hier die Stromerzeugungskosten besonders niedrig und über die Nordseehäfen können die Vorprodukte für die Solarzellenherstellung importiert werden, die in der Regel aus Übersee stammen. 96 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für Silizium-Wafer, die Basis der Solarzellen, sind in China ansässig und an diesem Kräfteverhältnis wird sich auch so schnell nichts ändern. Die einzigen nennenswerten europäischen Wafer-Hersteller sitzen in Norwegen.

Das skandinavische Königreich ist neben Island auch die letzte große Bastion bei der Produktion von metallurgischem Silizium in Europa. Dass beide Länder nicht der EU angehören, ist bezeichnend, denn die Silizium-Veredelung ist nicht nur extrem stromlastig – um eine Tonne Rohsilizium herzustellen, sind über 10.000 Kilowattstunden Strom erforderlich. „Die Herstellung von Wafern ist auch ein sehr chemischer Prozess. Wir brauchen dazu Unmengen an hochchemischen Stoffen, die auch entsorgt werden müssen“, erklärt Bodihn.
Forscher des Ifo-Instituts verweisen außerdem auf die Emissionen von Stickoxiden und Feinstaub sowie auf den hohen Wasserverbrauch bei der Produktion und Weiterverarbeitung von Silizium. So habe zum Beispiel der Chiphersteller Intel einen dreimal so großen Wasserverbrauch wie der Autohersteller Ford und verursache doppelt so viel Sondermüll.
„Gerade der erste und zweite Teil der Wertschöpfungskette sind unglaublich chemieintensiv“, bestätigt Senta Glasewald aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium und verweist auf die hohen Anforderungen, die ein Chemiepark in Niedersachsen hat. Dazu gehören etwa die Nähe zu einem Krankenhaus, das Vorhandensein eines Hubschrauberlandeplatzes und das Vorhalten einer Feuerwehr. Obendrein sind diese Silizium-Verarbeitungsanlagen auch noch teuer (90 bis 125 Millionen Euro pro Gigawatt) und haben eine reine Bauzeit von zwei bis fünf Jahren, wie Bordihn vorrechnet. Fabriken für Solarzellen und PV-Module lassen sich dagegen innerhalb von ein bis zwei Jahren bauen und kosten nur 65 bis 90 Millionen Euro für jedes Gigawatt an Fertigungskapazität.

Außerdem können solche Anlagen in Niedersachsen viel leichter gebaut werden. „Diese Produktionsschritte finden nur in einer geschlossenen Halle statt und sind zu 90 Prozent automatisiert. Das kann man auch in ein ganz normales Gewerbegebiet setzen, das ist von der Standortsuche keine große Herausforderung“, sagt Ansiedlungs-Expertin Glasewald. Dass die Fabriken der Solarindustrie einen gewaltigen Flächenbedarf im zweistelligen Hektar-Bereich haben, spielt dem Standort Niedersachsen sogar in die Karten. „Von solchen Gewerbeflächen gibt es in Deutschland nicht mehr so viele und auch nicht solche, die logistisch gut liegen. Das ist unser Vorteil“, meint die Ministeriumsmitarbeiterin.

Um welche Dimensionen es dabei geht, zeigt eine geplante PV-Gigafabrik im französischen Hambach in der Nähe von Saarbrücken. Auf einer Fläche von 50 Hektar ist hier die größte Produktionsstätte für Solarmodule in Europa geplant, die pro Jahr zehn Millionen PV-Module (insgesamt 5 Gigawatt) herstellen soll. Das Werk soll 2025 eröffnet werden und 2027 vollständig einsatzbereit sein.
Die Nachfrage nach Solarmodulen aus heimischer Herstellung ist nach Bordihns Einschätzung ungeheuer groß. „Wir erleben, dass die Kunden geradezu danach schreien und sagen: ‚Ich würde lieber ein Modul aus Hannover kaufen als aus Taiwan‘“, berichtet er und schlägt einen Drei-Stufen-Plan für die Wiederbelebung der Solarindustrie auch in Deutschland vor. Der ISFH-Stratege empfiehlt: „Es ist am sinnvollsten, bei der Wertschöpfungskette rückwärts anzufangen.“ Zunächst sollte der Ausbau der PV-Modulproduktion gefördert werden, in einem zweiten Schritt dann die Erhöhung der Solarzellenherstellung folgen. Die Ansiedlung der Silizium- und Wafer-Produktion betrachtet der Wissenschaftler als dritten und letzten Schritt.

Als größtes Hindernis für die deutsche Solarindustrie-Renaissance betrachtet Bordihn nicht etwa die Investitionen, sondern die unfairen Wettbewerbsbedingungen. Die durchschnittlichen Produktionskosten für ein Solarmodul würden in Europa derzeit etwa bei 25 US-Cent pro Kilowattstunde liegen. Im Vergleich mit China und Indien sei man damit kaum konkurrenzfähig, denn dort würden die ohnehin niedrigen Produktionskosten durch staatliche Förderung nochmal gesenkt.
Laut einer McKinsey-Studie kostet die PV-Modul-Herstellung in China nur 18,1 US-Cent pro Kilowattstunde und 19 US-Cent in Indien. Den größten Druck im internationalen Wettbewerb bauen aber die USA auf, die Herstellungskosten von 26 US-Cent pro Kilowattstunde durch Subventionen auf 13 US-Cent halbieren wollen. „In den USA kriege ich auf Investitionen, Betrieb und Verkauf des Produkts eine Förderung. Das ist krass“, sagt Bordihn.
Dennoch zieht es nicht alle Investoren in die USA. Einige Interessenten aus dem Bereich der Solarindustrie sind beim Wirtschaftsministerium in Hannover bereits vorstellig geworden. „Es gibt Gespräche und es gibt Standorte, die ihren Hut in den Ring werfen“, sagt Glasewald. Namen will sie aber noch nicht verraten.