„Wir haben es satt“: Tierschützer wollen Obergrenzen in Ställen
Ein breites Bündnis von landwirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Akteuren fordert vom neuen Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) einen raschen und radikalen Systemwechsel in der Landwirtschaft. Am kommenden Sonnabend werden Mitglieder des Protestbündnisses „Wir haben es satt“ vor dem Agrarministerium in Berlin mit ihren Traktoren vorfahren sowie mit einer Aktion vorm Deutschen Bundestag auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Ein Demonstrationszug wurde allerdings aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Am Dienstag stellten die Aktivisten gegenüber Pressevertretern ihre Forderungen vor und machten dabei deutlich, dass sie auch bei einem Agrarminister der Grünen so kritisch hinschauen werden wie zuvor. Mit der bisherigen Agrarpolitik unter der Führung von CDU und CSU gingen sie derweil hart ins Gericht. „Der aktuelle Zustand der Agrarpolitik in Deutschland ist schlecht“, konstatierte Martin Hofstetter von Greenpeace. Reformstau und eine weitgehende Orientierungslosigkeit prägten die Agrarpolitik der letzten Jahre, sagte er. Wichtige Entscheidungen seien von Gerichten, nicht von der Politik vorangetrieben worden – etwa mit dem EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen der unzureichenden Umsetzung der Nitrat-Richtlinie, mit dem Magdeburger Urteil zum Kastenstand bei Schweinen oder zuletzt mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz.
Landwirte weinen Julia Klöckner keine Träne nach
Als „orientierungslos“ würde der Landwirt Ottmar Ilchmann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Niedersachsen-Bremen (AbL) die Agrarpolitik der Vorgängerregierungen nicht bezeichnen. Sie hätten sich nur eben konsequent am vor- und nachgelagerten Bereich orientiert und nicht an den Bauern, sagte er vor Journalisten. „Die Politik des ‚immer billiger und immer mehr‘ hat unter den Bauern Verlierer erzeugt, während der Handel und die Verarbeiter sich die Taschen vollgemacht haben“, meint Ilchmann. Das Problem seien Erzeugerpreise, die nicht kostendeckend seien. Dafür macht der AbL-Chef zwei Gründe aus: zum einen das Überangebot an Lebensmitteln, zum anderen das starke Machtgefälle entlang der Wertschöpfungskette.
Der früheren Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) stellt er dabei ein schlechtes Zeugnis aus. „Das ist kein Politikversagen, sondern klare Politikverweigerung. Die Probleme waren schließlich bekannt, Lösungen liegen auf dem Tisch.“ Damit verweist er auf die Vorschläge wissenschaftlicher Expertenräte sowie der Zukunftskommission Landwirtschaft und der sogenannten Borchert-Kommission, die allesamt Konzepte für einen Umbau des Agrarsektors vorgelegt haben. Einen politischen Beschluss hat die Große Koalition aber vertagt. Auch Rüdiger Jürgensen von dem Tierschutzverein „Vier Pfoten“ mahnte an, dass die Maßnahmen für mehr Tierwohl dringend angegangen werden müssten. Er forderte eine Obergrenze für Tiere, die sich an der Größe des Stalls bemisst. Zudem sollten endlich die Konzepte zum tierwohlgerechten Umbau der Nutztierhaltung umgesetzt werden – durch finanzielle Förderung, klare Zielvorgaben und Erleichterungen in der Bauordnung.
Aktivisten fordern: Sozialpolitik nicht auf Kosten der Bauernfamilien betreiben
Marita Wiggerthalevon Oxfam sieht das Hauptproblem in der Übermacht der Supermarktketten. 80 Prozent des Marktes seien aufgeteilt unter den Marktführern der Edeka-, Rewe-, Aldi- und Schwarz-Gruppe. „Es geht sehr ungerecht zu, die Profite werden ungleich verteilt“, kritisiert Wiggerthale. Es werde ein „heftiger Preiskampf“ auf der Einkaufsseite ausgefochten, die Landwirte und die Plantagenbesitzer erhielten dann, was am Ende übrigbleibt – aber zu wenig, um ihre Produktionskosten decken zu können. Konkret fordert die Oxfam-Aktivistin deshalb, dass es noch in diesem Jahr ein Verbot geben soll dafür, dass der Einkaufspreis unterhalb der Produktionskosten liegen kann. Das Lieferkettengesetz liefere dafür die Grundlage. Diese Maßnahme solle allerdings sozialpolitisch flankiert werden, beteuerte sie. Die Aktivisten sind sich einig, dass Sozialpolitik nicht auf Kosten der Bauernfamilien betrieben werden dürfe und beide Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften. Zuletzt hatte Özdemir eine Debatte zu Billigfleisch angestoßen und war teilweise von links kritisiert worden, weil höhere Verbraucherpreise Geringverdiener zu stark belasten würden.
Wiggerthale fordert zudem, dass noch in diesem Jahr eine unabhängige Ombudsstelle eingerichtet wird, die Preise und Produktionskosten ins Verhältnis setzen soll. Zudem solle im kommenden Jahr mit kartellrechtlichen Mitteln gegen die Dominanz der Ketten im Lebensmitteleinzelhandel vorgegangen werden. Tina Andres vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft ergänzte die Forderung noch um einen Systemwechsel bei der Lebensmittelerzeugung und -vermarktung. Dort brauche es mehr Diversität, sagte sie. Das Ziel, den Anteil des Ökolandbaus auf 30 Prozent zu steigern, lobte sie. „Wir brauchen die Transformation und sie wird viel, viel Geld kosten – nichts zu verändern, kostet zukünftige Generationen allerdings so viel mehr“, fasste sie ihr Anliegen zusammen.
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