12. Sept. 2023 · 
Landwirtschaft

Wie sich die Spielregeln in der Wolfspolitik jetzt verändern können

Auf eines kann man sich in der Wolfspolitik stets verlassen: Sie ist kompliziert. Nachdem in der vergangenen Woche zuerst die Bundesminister für Umwelt und Landwirtschaft zaghafte Signale des Entgegenkommens ausgesandt haben, anschließend dann die EU-Kommission einen Kurswechsel angekündigt hat und schlussendlich die Chefs der deutschen Länder ihre „Brüsseler-Erklärung“ beschlossen haben, zeigte sich, dass da zwar etwas in Bewegung geraten ist.

Neue Regeln für den Wolf? Die niedersächsische Landesregierung ändert ihre Strategie im Umgang mit dem Tier – und löst damit neue Debatten aus. | Foto: GettyImages

Die unterschiedlichen Fließrichtungen dieser Bewegungen lassen allerdings noch nicht erkennen, wo das Ganze konkret hinführen wird. Wer nun als nächstes am Zug ist, scheint jedenfalls reichlich unklar zu sein: Die EU verweist auf Bund und Länder, die Länder auf EU und Bund und der Bund auf die Länder und die EU. Verschiedene Handlungsansätze lassen sich allerdings erkennen:

Populationswachstum neu bewerten

Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, den Wolf sowie zahlreiche andere gefährdete Tier- und Pflanzenarten zu schützen. Wie streng die Regeln dafür ausfallen, hängt dabei vom „günstigen Erhaltungszustand“ ab – also einer Bewertung der Perspektive, wie es der Art jetzt und in Zukunft wohl geht. Bewertet wird, ob die Population wächst und künftig wachsen wird, ob der Lebensraum geeignet bleibt und die Population dem verfügbaren Raum entsprechend verbreitet ist.

Alle fünf Jahre bewertet die EU diesen Zustand erneut, zuletzt war das 2019 der Fall. Damals fiel das Urteil schlecht aus: Die in Deutschland lebenden Wölfe zählen zur mittel- beziehungsweise zentraleuropäischen Flachlandpopulation und ihr Erhaltungszustand wurde als „ungünstig-schlecht“ klassifiziert. Das gilt sowohl für die Wölfe in der atlantischen und der kontinentalen Region, sowie erst recht in der alpinen Region.

Vorgesehen wäre die nächste naturschutzrechtliche Erhebung dieser Art nun bis Ende 2024, damit 2025 dann der Erhaltungszustand neu ausgewiesen werden kann. Die Ankündigung der EU-Kommission aus der vergangenen Woche deutet nun darauf hin, dass man in Brüssel eine Abweichung dieses Verfahrens für möglich hält. Die Brüsseler Behörde ruft dazu auf, weitere Daten zur Ausbreitung der Wolfspopulation zu melden, damit auf der Grundlage der erhobenen Daten die Kommission über einen Vorschlag entscheiden kann, „gegebenenfalls den Status des Wolfsschutzes in der EU zu ändern und den Rechtsrahmen zu aktualisieren.“

Umweltminister Christian Meyer und Agrarministerin Miriam Staudte (beide Grüne) haben am Dienstag in der zweiten Runde des „Dialogforums Weidetierhaltung und Wolf“ die Ergebnisse der vier Arbeitsgruppen diskutiert. | Foto: Kleinwächter

Damit scheint man dem Anliegen zahlreicher Schaf- und anderer Nutztierhalter nachzukommen, zeitnah mit aktualisierten Zahlen zum Wolfsbestand zu operieren. Angesichts des raschen Anstiegs der Wolfszahlen wirken die Informationen aus 2018 doch arg veraltet. Niedersachsen sticht dabei vorbildhaft heraus: Durch das hiesige Wolfsmonitoring der Landesjägerschaft verfüge man praktisch über tagesaktuelle Zahlen, lobt Umweltminister Christian Meyer (Grüne). Allerdings glaubt er nicht daran, dass eine Neubewertung des Erhaltungszustandes und eine Überprüfung des Schutzstatus rasch geschehen kann.

Individualprinzip auf den Prüfstand stellen

Schon jetzt ist der Abschuss einzelner Wölfe möglich und wurde in der vergangenen Legislaturperiode auch in Niedersachsen recht rege exekutiert. Das EU-Recht benennt für diese Fälle Bedingungen, die zwar streng sind, aber laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von den Mitgliedstaaten genutzt werden sollten. Die FHH-Richtlinie gewährt den Staaten Abweichungen vom strengen Schutz immer dann, wenn es keine zufriedenstellende Alternative gibt, keine negativen Auswirkungen auf den günstigen Erhaltungszustand zu befürchten sind und wenn zusätzlich mindestens einer von fünf in der Richtlinie definierten Gründe vorliegt, etwa zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen, zur Abwendung von Schäden in der Tierhaltung, an Kulturen und anderen Schutzgütern, im Sinne der öffentlichen Sicherheit oder zu Forschungszwecken.

Die leicht abweichende Auslegung der EU-Vorgaben erklärt vielleicht am besten die Unterschiede in der Wolfspolitik von Olaf Lies (SPD) und Christian Meyer (Grüne). Grundsätzlich richtet sich eine solche Ausnahmeregelung, die in Deutschland über das Bundesnaturschutzgesetz geregelt wird, stets gegen ein auffällig gewordenes Einzeltier, das wiederholt Herdenschutzmaßnahmen zum Trotz Nutztiere gerissen hat.

Im Paragraphen 45a wird allerdings bereits jetzt eine Abweichung von diesem Individualprinzip zugelassen: Immer dann, wenn keinem einzelnen Tier die Verantwortung für einen Nutztierriss zugeordnet werden kann, darf so lange ein Wolf nach dem anderen aus dem Rudel geschossen werden, bis die Nutztierrisse nachlassen. Ein räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zum Rissereignis wird dabei vorausgesetzt.

Das niedersächsische Umweltministerium betont jedoch, dass diese Option nicht bedeute, dass die Ausnahmegenehmigung von vornherein für ein ganzes Rudel gilt, sondern ein sukzessives Vorgehen damit beschrieben wird. Da in Niedersachsen die Identifizierung der Problemwölfe bislang immer möglich gewesen sei, habe man von diesem Verfahren aber noch keinen Gebrauch gemacht, heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums.



Kritiker dieses Vorgehens bemängeln derweil zweierlei: Zum einen jage der Wolf tendenziell im Rudel, weshalb eine DNS-basierte Zuordnung einzelner Tiere unsinnig sei. Zum anderen sei eine Identifizierung des genetisch ermittelten Täters in der Natur so gut wie gar nicht möglich, weshalb immer erst nach Abschuss die genetische Übereinstimmung ermittelt werden könne. Einfacher würde ein Abschuss wohl erst dann, wenn sich Bund und EU darauf verständigen, den Ländern die Möglichkeit zu geben, das Individualprinzip generell aufzugeben.

Bestandsmanagement in Konfliktregionen erlauben

Niedersachsens Landesregierung setzt sich derweil beim Bund für eine andere Variante ein, die allerdings auch ein Abweichen vom Individualprinzip zur Grundlage hätte. Minister Meyer pocht auf eine Umsetzung des im Koalitionsvertrag angekündigten „europarechtskonformen regional-differenzierten Bestandsmanagements“. Ihm schwebt dabei vor, dass sich das Wolfsmanagement an bestimmten regionalen Parametern orientieren sollte.

Kommt es in einer Region mit vielen Wölfen trotz der vorgeschriebenen, beziehungsweise der möglichen Herdenschutzmaßnahmen dennoch zu Nutztierrissen, soll gegen die dort aktiven Wölfe „zeitlich befristet und räumlich eingegrenzt“ vorgegangen werden. Eine generelle Bejagung inklusive einer Abschussquote sei damit zwar nicht gemeint. Die Individualisierungspflicht würde aber ausgesetzt.

Minister Meyer erläutert an einem aktuellen Beispiel, was das erleichtern würde: Nachdem im Landkreis Stade kürzlich mehr als 50 Schafe gerissen und andere Tiere verletzt wurden, konnte nur ein Wolf einwandfrei identifiziert werden. Da dieser aber noch nicht mehrfach in Niedersachsen auffällig geworden ist, bliebe nach jetziger Rechtslage keine Handlungsoption.

Davon will Meyer nun mit Unterstützung seiner Kollegen aus den Ländern und der Bundesregierung nachbessern – notfalls auch mit einer Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes abrücken. Die EU, sagt Meyer, scheint diesen Spielraum zu lassen – sollte dies aber ruhig noch einmal klarstellen. Dem Frieden, den die Kommissionspräsidentin gerade vorgibt, traut der Landesminister erst, wenn die EU-Behörde auch die laufenden Pilotverfahren wegen der Wolfspolitik einstellt.

Kopfpauschale statt Zaunbauprämie

Beim gestrigen „Dialogforum Weidetierhaltung und Wolf“ haben sich die rund 50 Teilnehmer aus 25 Verbänden einmütig für eine neue Idee zur Förderung des Herdenschutzes ausgesprochen. Wie Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) ausführte, könnten Nutztierhalter bereits ab 2025 statt finanzieller Hilfen für den Zaunbau künftig eine Kopfpauschale pro Schaf, Ziege oder Gatterwild erhalten. Das Geld müsse zwar für Präventivmaßnahmen eingesetzt werden, der Nutztierhalter soll aber frei entscheiden können, ob er einen Zaun, Esel, Herdenschutzhund oder auch einen zusätzlichen Mitarbeiter finanzieren möchte.

Meyer und Staudte erhoffen sich dadurch weniger Bürokratie, zielgenauere Schutzmaßnahmen und mehr Eigenverantwortung der Betroffenen. Zugleich spekulieren sie auch darauf, dass dadurch mit den Fördergeldern gewissenhafter umgegangen wird. Weil das Land derzeit alles zahlt, gibt es beim Zaunbau keinen Anreiz, Kosten zu sparen. Denn das ist beiden klar: Das Geld für Herdenschutz und Entschädigungen ist endlich.

Dieser Artikel erschien am 13.9.2023 in Ausgabe #157.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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