Nach einer Schießerei mit Todesfolge nahe der hannoverschen Innenstadt fordert die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine Überprüfung der Polizeistrategie: „Wir müssen uns fragen, ob nach der Kriminalitätsentwicklung der jüngsten Zeit nicht eine Verstärkung der Interventionskräfte in der Landeshauptstadt überfällig ist“, erklärte Kevin Komolka, Landesvorsitzender der GdP, gegenüber dem Politikjournal Rundblick.

Dies müsse aber zusätzliche Kräfte bedeuten und dürfe nicht zu Lasten anderer Direktionen gehen. Komolka sieht das als wichtige Aufgabe für den künftigen hannoverschen Polizeipräsidenten, der den Amtsinhaber Volker Kluwe beerben soll. Kluwe wird Ende März in den Ruhestand verabschiedet. Wer ihm folgen soll, ist immer noch nicht entschieden – und das führt in Polizeikreisen zu größerer Ungeduld. Eine geordnete Übergabe der Amtsgeschäfte werde dadurch erschwert, heißt es. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Patrick Seegers, fordert im Rundblick-Gespräch: „Wir brauchen mehr Polizisten in den Streifenwagen. Jeder Beamte, der in Stäben, Arbeitsgruppen oder Wasserköpfen gebunden ist, fehlt im Einsatz.“
„Wir brauchen mehr Polizisten in den Streifenwagen.“
Die tödlichen Schüsse, die ein vermeintlich jugendlicher Täter am Dienstagabend in Hannover-Döhren an einer Straßenbahnhaltestelle auf einen 34-Jährigen abgegeben hat, reihen sich ein in eine längere Kette von Gewaltdelikten im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt. Erst zu Weihnachten hatte eine Schießerei vor einem Club im Steintorviertel Aufsehen erregt. Dabei wurden zwei Männer Anfang 20 an den Beinen verletzt. In der regionalen Presse kam damals die Frage auf, ob die erst kurz zuvor eingerichteten Waffenverbotszonen in bestimmten Bereichen in der hannöverschen Innenstadt überhaupt Wirkung zeigten – und ob es reicht, sie von wenigen Präventionskräften zu begutachten, während für eine effektive Kontrolle robuste Interventionskräfte geeigneter wären. Zwei weitere Vorfälle besonderen Ausmaßes ereigneten sich in den Sommermonaten 2022: Im August soll eine Schlägerei am Kröpcke eskaliert sein, wobei ein 18-Jähriger von einer fünfköpfigen Gruppe niedergestochen worden sein soll. Im September gerieten zudem offenbar zwei Gruppen von Männern im Altstadtbereich aneinander und verletzten sich gegenseitig.
Blickt man jedoch weiter zurück, erkennt man, dass die Innenstadt längst nicht der einzige problematische Ort bleibt. Bereits im September 2022 sprach die Polizeidirektion Hannover von einem „signifikanten Anstieg“ bei Messerattacken. Bei einer genaueren Betrachtung der Vorkommnisse fällt auf, dass es entlang der Nord-Süd-Achse an der Vahrenwalder Straße und der Hildesheimer Straße zu einer Häufung kommt, sowie in Richtung Ricklingen: Im März wurde einem 16-Jährigen im Vahrenwalder Park mit einem Messer in den Bauch gestochen, tatverdächtig waren drei Frauen im Alter zwischen 17 und 19 Jahren. Ein wenig weiter die Vahrenwalder Straße entlang in Richtung Innenstadt wurde im April auf einen 19-Jährigen eingestochen. Verdächtigt hat man einen 32- und einen 39-Jährigen. Im Mai kam es zu einem Vorfall in Hannover-Döhren. Dort wurde ein 22-Jähriger vor einem Rewe-Markt offenbar von einem 28-Jährigen niedergestochen. In Hannover-Döhren, wo nun die tödlichen Schüsse gefallen sind, soll im Juni 2022 ein 16-Jähriger einen 25-Jährigen niedergestochen haben. Im Juli eskalierte ein Streit zwischen vier Männern vor einem Mehrfamilienhaus in Oberricklingen, wobei ein 19-, ein 21- und ein 49-jähriger Mann von einem 23-Jährigen verletzt worden sein sollen.

Im September kam ein 22-Jähriger mit Stichverletzungen ins Siloah-Krankenhaus, nachdem er in einen Streit verwickelt gewesen sein muss. In der polizeilichen Kriminalitätsstatistik der Polizeidirektion Hannover wurden für das Jahr 2021 insgesamt 589 Messerangriffe aufgeführt. Im Vergleich zum Vorjahr habe es schon damals einen Anstieg um 5,75 Prozent gegeben. Opfer wie Täter sind mehrheitlich männlich, etwas mehr als die Hälfte hatte die deutsche Staatsangehörigkeit. Insgesamt ist die Zahl der (versuchten) Tötungsdelikte im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Hannover zuletzt aber rückläufig gewesen. Für die meisten Bürger dürften allerdings jene Fälle, die sich im öffentlichen Raum ereigneten, von besonderer Bedeutung sein, denn bei diesen besteht potenziell die Gefahr, dass auch gänzlich unbeteiligte Passanten in Mitleidenschaft gezogen werden können.
Zwei Namen sind für die Kluwe-Nachfolge im Gespräch
Seit langem wird spekuliert, die Göttinger Polizeipräsidentin Gwendolin von der Osten könne neue hannoversche Polizeipräsidentin werden. Da die Stelle des Vizepräsidenten in Göttingen vakant ist, müssten für Göttingen zwei Nachfolger gefunden werden. Im Gespräch als mögliche Nachfolgerin für Volker Kluwe ist auch Tanja Wulff-Bruhn, derzeit Leiterin des Referats „Einsatz und Verkehr“ im Landespolizeipräsidium. Da auch die Präsidentenstelle für die Zentrale Polizeidirektion (ZPD) in Hannover (bisher Christiana Berg) frei werden dürfte, könnte Wulff-Bruhn auch dort die Amtsgeschäfte übernehmen. Schwierig und dringlich sind diese Fragen auch, weil auch die Stellvertretung von Kluwe ungeklärt ist, seit gegen den Amtsinhaber Jörg Müller eine interne Untersuchung läuft, die noch andauert.

