Wie sich Niedersachsens Städteplaner gegen extremen Niederschlag schützen
Wasser bedeutet zweierlei – Leben und Gefahr. Wasser in die richtigen Bahnen zu lenken sowie klug und nachhaltig zu nutzen, ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben Niedersachsens. Moore macht es zu Klimarettern, Städte kann es in heißen Sommern kühlen. In der Natur ist es Lebensraum und Artenretter. Die Landwirtschaft braucht das Wasser so sehr wie die Industrie. Zu viel davon zerstört jedoch Ernten und im schlimmsten Fall sogar Städte. Das Politikjournal Rundblick bringt eine Artikelserie über das Wasser. Heute Teil eins: Die Folgen von Starkregen.
Der Klimawandel hat viele Gesichter. Ein besonders hässliches zeigte er im vergangenen Jahr im rheinland-pfälzischen Ahrtal. Starkregen führte zu einer derartigen Überschwemmung, dass ganze Dörfer weggerissen und zahlreichen Menschen in den Fluten getötet wurden. Drohen derartige Wetterereignisse jetzt häufiger? Darüber sind sich die Experten zwar nicht ganz einig. Starkregen und Extremwetter sind allerdings Szenarien, die auch in Niedersachsen nicht nur theoretisch diskutiert werden. Laut Deutscher Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) sind allein in Niedersachsen und Bremen zwischen 2002 und 2017 durch 1142 kurze Starkregenereignisse Schäden in Höhe von 544 Millionen Euro entstanden.
Kanalisation nicht für jeden Starkregen ausgelegt
Der physikalische Vorgang ist schnell erklärt: Steigt die allgemeine Lufttemperatur an, kann die Luft auch mehr Feuchtigkeit speichern und diese dann schlagartig wieder abgeben. In der Landwirtschaft ist man mit dieser Folge des Klimawandels schon längst vertraut: Während in der einen Gegend die Sonne scheint, kann der Niederschlag wenige Kilometer entfernt schon ganze Ernten vernichten. In Großstädten kommt nun erschwerend hinzu, dass viele Flächen versiegelt sind. Wo Häuser stehen, und asphaltierte Straßen verlaufen, kann das viele Wasser noch schlechter versickern. Ist die Kanalisation vorbereitet auf das, was da kommt? Matthias Görn, Leiter der Stadtentwässerung Hannover, weiß zu berichten, dass das mitnichten so ist. Zwölf Stufen zählt der Starkregen-Index. Die übliche Kanalisation ist allerdings nur für das Regenwasser-Aufkommen der ersten beiden Stufen ausgelegt. Bei den Stufen drei bis fünf wird es in den Kellern nass, bei sechs und sieben laufen die Keller bis oben voll, bei den noch höheren Stufen steigt das Wasser schon bis ins Erdgeschoss.
„Wir handeln, bevor die Feuerwehr anrücken muss“
Auf solche Ereignisse müssen sich die Städte nun vorbereiten. „Wir möchten nicht warten, bis uns die Katastrophe zum Handeln zwingt“, sagt Görn. „Wir wollen handeln, bevor die Feuerwehr anrücken muss.“ Neben der Stadtentwässerung Hannover haben sich deshalb mehrere weitere Unternehmen der Wasserwirtschaft aus ganz Norddeutschland zusammengeschlossen, um ein Konzept für eine wirksame Starkregenvorsorge zu erarbeiten. Dazu zählen beispielsweise auch die Göttinger Entsorgungsbetriebe, der Wolfsburger Entwässerungsbetrieb, die BS-Energy Gruppe, die Stadtentwässerung Peine oder auch Hamburg Wasser. Unterstützt wird die Initiative vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, vom Verband kommunaler Unternehmer, dem Wasserverbandstag und dem niedersächsischen Städtetag. Ihr gemeinsames Anliegen ist es auch, diese Vorsorgemaßnahmen über Gebühren finanzieren zu dürfen. Die Kosten seien überschaubar, versichert Görn. Für Hannover bedeutete das etwa, dass die Niederschlagsgebühr um etwa zwei Cent steigen müsste. Der Nutzen könnte hingegen riesig sein, denn die Zerstörungskraft eines Starkregenereignisses sei „immens“. In der niedersächsischen Landespolitik konnten sie sich bei der Novelle des Wassergesetzes zwar noch nicht durchsetzen. In einer Arbeitsgruppe mit den kommunalen Spitzenverbänden und dem Umweltministerium sollen nun aber Details geklärt werden.
Die Basis der Starkregenvorsorge bildet ein dreidimensionales Modell der jeweiligen Stadt. Dieses kann beispielsweise durch die Kombination verschiedener bekannter Daten und Karten erstellt werden, oder durch die Erhebung neuer geografischer Informationen. Dieses dreidimensionale Modell zeigt dann die Höhen und Tiefen einer Stadt auf, es zeigt genau, wo der Boden versiegelt ist und wo Flüsse verlaufen, wo Häuser stehen und wo sich die Gullideckel befinden, die zur Kanalisation führen. Auf diese Stadt-Modelle werden dann die Regenprognose gelegt. Dadurch wird ersichtlich, in welche Senken das Wasser fließen würde, wenn es erst einmal in Massen vom Himmel regnet. Das Ergebnis dieser Datenkombination wäre dann also eine Karte, die für jeden Straßenzug exakt anzeigt, wie gefährlich die Lage bei einem echten Starkregenereignis wäre.
Am Beispiel der hannöverschen Innenstadt zeigt sich, dass ein nicht unerheblicher Teil der Straßen auf dieser Starkregengefahrenkarte rot markiert ist: der Ernst-August-Platz vorm Hauptbahnhof, die Unterführungen, die unter den Bahngleisen entlang reichen. Auch in den Wohngebieten sind manche Straßen grün, manche gelb und andere rot. Überall dort, wo die Abflüsse zur Kanalisation überfordert wären, ist ein großer roter Punkt zu sehen – es sind nicht wenige. Entlang der Leine, direkt am niedersächsischen Landtag, weist die Karte einen dicken roten Balken aus.
Bedeutend sind diese Informationen nun für die Stadt, die Stadtentwässerung aber auch für jeden Anlieger. Die Stadtentwässerung sieht hier ein neues Aufgabenfeld für sich. Mithilfe der Karten und Modellrechnungen wollen sie die Grundstücksbesitzer über die Gefahrenlagen informieren. Görn vergleicht diese Aufgabe mit der Präventionsarbeit der Polizei, wenn es beispielsweise um die Vorsorge gegen Wohnungseinbruch geht. Was muss man tun, worauf muss man achten, wie muss man sich schützen? „Von dem Wissen können alle profitieren“, sagt er bezüglich der Zielgruppe dieser Maßnahmen. „Das Gros der Schäden erwarten wir aber in den urbanen, verdichteten Räumen.“
Darüber hinaus sieht Görn einen erheblichen Investitionsbedarf bei der Infrastruktur. Dabei geht es zum einen um die Kanalisation als solche, die derzeit gar nicht das erforderliche Fassungsvermögen hätte. Görn schätzt, dass allein in Hannover in den kommenden Jahrzehnten bis zu zwei Milliarden Euro ins unterirdische Kanalnetz investiert werden müssten. Es geht aber auch darum, öffentliche Plätze so umzugestalten, dass Rückstaubecken entstehen und Areale errichtet werden, in die das Wasser bei Bedarf umgeleitet werden könnte, ohne dort allzu viel Schaden anzurichten. Städtebauliche Maßnahmen stehen also auch auf der Liste möglicher Schritte zur Gefahrenabwehr. So kann das dreidimensionale Modell auch Hinweise darauf geben, wo möglicherweise Abläufe neu angelegt oder versiegelte Flächen wieder aufgebrochen werden müssten, um den Druck an anderer Stelle wieder zu lockern. Diese Herausforderungen können nur gesamtstädtisch und interdisziplinär gemeistert werden, sagt Görn. Er sieht die Stadtentwässerungen dabei aber als Treiber, die die Vorsorge nun voranbringen.
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