Wie Jürgen Todenhöfer eine neue Partei etablieren will
Der Termin, wird die Hauptperson später einräumen, war denkbar schlecht geplant. Das Thermometer zeigt 36 Grad im Schatten an, eine brütende Hitze liegt über der Stadt. Da bewegt sich kaum jemand. Und dann ist für den Nachmittag noch ein Fußballspiel angesagt, bei dem sich die Deutschen beweisen sollen.
Passt unter diesen Bedingungen eine Wahlkampfveranstaltung – noch dazu in einer Zeit, in der der Wahlkampf von der heißen Phase meilenweit entfernt ist? Der große Lastwagen mit der Aufschrift „Team Todenhöfer“ hält vor der Nord/LB in Hannover, Flyer werden verteilt, etwa 80 Interessierte haben sich eingefunden. Nicht viele, aber angesichts dieser Bedingungen wohl mehr als man befürchtete. Dann kommt er, Jürgen Todenhöfer, stellt sich unter einen großen, schattenspendenden Ahorn-Baum und hat ein Mikrophon dabei. Die vorbereitete Rede am Pult im großen Lastwagen fällt aus, stattdessen lädt er die Besucher zum Dialog unterm Ahorn-Baum ein.
Jürgen Todenhöfer, das ist ein Mann mit Vergangenheit, ein Mann mit bekannten Namen. Ein Mann der Vergangenheit? Der 80-Jährige gehörte zwischen 1972 und 1990 dem Bundestag an, in der CDU wurde er damals dem rechten Flügel zugeordnet, schärfte früh sein Profil in der Außen- und Verteidigungspolitik, war ein exzellenter Redner. Aber er galt immer als Einzelkämpfer, als Moralist, als jemand, der gern provozierte und aneckte.
Legendär ist ein Ausspruch des SPD-Urgesteins Herbert Wehner, der sich einmal so sehr über ihn aufregte, dass er über ihn als „Hodentöter“ schimpfte. Das ist mehr als 40 Jahre her. Nach der Bundestagszeit wurde er Medien-Manager, schrieb viele Bücher und sammelte Erfahrungen auch als Kriegsbeobachter und Kriegsberichterstatter.
Wir wollen auch zur Landtagswahl in Niedersachsen 2022 antreten.
Lange blieb er CDU-Mitglied, trat dann aber vor einem guten halben Jahr zu seinem 80. Geburtstag aus der Partei aus – und gründete eine neue, das „Team Todenhöfer“. Derzeit sind er und seine Mitstreiter, darunter auch sein Sohn, eifrig dabei, Landesverbände zu gründen, Landeslisten aufzustellen und Unterstützer-Unterschriften zu sammeln. Das Ziel ist, in allen 16 Bundesländern mit eigenen Landeslisten zur Bundestagswahl anzutreten. Und danach? „Wir wollen auch zur Landtagswahl in Niedersachsen 2022 antreten“, sagt Todenhöfer dem Politikjournal Rundblick.
Was ist das nun für eine Partei? Steht sie rechts oder links am Rand? Ist sie systemfeindlich wie manche Gruppierungen, die rund um die Querdenker-Szene entstanden sind? Ist sie eine „AfD light“ mit weniger völkischem Nationalismus, aber ähnlich ausgeprägter Verachtung der Eliten?
„Wir sind die Anti-AfD“, sagt Todenhöfer, und der Blick in die Runde der erschienenen Teilnehmer scheint das zu belegen. Während in AfD-Kreisen eine große Skepsis, ja eine strikte Ablehnung des Islams und der Zuwanderung aus islamischen Ländern herrscht, sagt Todenhöfer: „Alle Religionen, besonders die Muslime, sind so viel wert wie wir selbst.“
Viele Besucher, die gekommen sind, wirken jünger als 30, viele Frauen sind darunter, mehrere tragen ein Kopftuch. Bei den Muslimen scheint die Anhängerschaft besonders groß zu sein. Das mag nun noch mit dem Profil von Todenhöfer zusammenhängen, der in seinem Programm zwar einen großen Bogen zieht, aber doch im Grunde ein Hauptthema hat – die Ablehnung des Krieges und die radikale Abkehr von der US-Außenpolitik.
1979, als die Sowjetunion in Afghanistan Krieg führte, war er noch auf Seiten der Amerikaner, die den afghanischen Freiheitskampf unterstützten. Heute ist er ein radikaler Gegner der westlichen Außenpolitik. „Unter Al Quaida sind 5000 Morde im Westen geschehen. Aber der Westen hat währenddessen im mittleren Osten mehr als 1,3 Millionen Menschen getötet.“ In Deutschland seien in den vergangenen Jahren 208 Morde von Rechtsextremisten geschehen, aber 17 von muslimischen Tätern – doch die Islamisten würden als größte Gefahr hingestellt, was sie nicht seien.
Wir sind die Anti-AfD. Alle Religionen, besonders die Muslime, sind so viel wert wie wir selbst.
Die Anhängerschaft unter dem Ahorn-Baum in Hannover hört das gern, und wenn Todenhöfer sagt, er plane für die nächsten Wochen noch „provokante Aktionen“, so lässt das noch einigen Ärger vermuten. Seine Steuerzahlungen hat er, ein wohlhabender Mann, jüngst eingestellt, ein Strafverfahren gegen ihn laufe. Vielleicht spekuliert er darauf, dass das Schlagzeilen bringen könnte.
Nun überlege er, erklärt Todenhöfer, ob man im Wahlkampf eine Collage anfertige mit den Fotos von Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier – mit dem Zusatz „Wer hat 300.000 Afghanen getötet? Ihr ward beteiligt“.
Todenhöfers Ziel scheint klar: Er will auffallen, Widerspruch erzeugen, Gesprächsthema werden. Denn nur wenn das „Team Todenhöfer“ irgendwie bekannt wird, hat es am 26. September den Hauch einer Chance. Ist er ein Populist und Provokateur? Jene, die ihn nun als alten Mann abgedriftet sehen in das Lager derer, die am System zweifeln und in ihrer Wutrede vermessen werden, finden nicht allzu viel Nahrung.
Todenhöfer kritisiert die etablierten Parteien, aber er verteufelt sie nicht. Er sieht im Corona-Krisenmanagement „Dilettanten“ am Werk, aber er verdammt sie nicht. Er lehnt die Förderung der E-Autos ab und vertritt das Konzept einer Wasserstofferzeugung aus Meerwasser in der Wüste, über mehrere Wege könne man Methanol-Benzin erzeugen und nach Europa transportieren.
Das sind Thesen, wie sie auch in bürgerlichen Parteien zu finden sind. Und wenn es um die Systemveränderung geht, sind die Vorschläge des „Teams Todenhöfer“ eher maßvoll: Amtszeitbegrenzung von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern auf maximal zwei Wahlperioden, Verbot von Großspenden an Parteien, radikale Entschlackung der Bürokratie. Dann warnt er noch „vor einer Dämonisierung der Türkei und vor einer Dämonisierung Russlands“. Das dürfte in einigen europäischen Hauptstädten aufmerksam registriert werden.
Ein gutes Wahlergebnis ist nicht alles, meint Todenhöfer
Derzeit tummeln sich vor der Bundestagswahl mehrere Gruppierungen, die für eine breite Mehrheit bisher unbekannt sind und es in vielen Fällen in den kommenden Monaten wohl auch bleiben werden. Die LKR am linken Rand der AfD etwa, die in einigen Kommunen schon verankert ist, die „Basis“, die eine parlamentarische Fortsetzung der Proteste gegen die Corona-Politik werden möchte oder auch die bekennend pro-europäische Partei „Volt“, in der sich vor allem junge Leute engagieren.
In diesem Kreis von politischen Wahlangeboten unter dem Signum „Sonstige“ dürfte nun das „Team Todenhöfer“ noch die mit Abstand unbekannteste sein. Für eine Ochsentour bis zur Bundestagswahl Ende September ist es wohl schon reichlich spät. Dient die ganze Aktion am Ende also doch mehr dem Ego eines langjährigen Politikers, der mit 80 seinen letzten Kampf gegen die früheren Mitstreiter und Kritiker führt und merkt, dass seine Zeit knapp wird?
„Ein gutes Wahlergebnis“, sagt er, „ist nicht alles“. Schon im Wahlkampf könne man mit der Art, wie man bestimmte Themen setze, Wirkung erzielen – und darauf komme es ihm an. (kw)