7. Aug. 2023 · 
Wirtschaft

Wie ein Hamburger Multimillionär in Stade die Energiewende mitgestalten will

So ändern sich die Zeiten: Zehn Jahre vor dem russischen Überfall auf die Ukraine gehörte Hafen-Unternehmer Johann Killinger noch zum exklusiven Teilnehmerkreis der Gazprom-Regatta „Nord Stream Race“ unter der Schirmherrschaft von Gerhard Schröder. Doch um für sein jüngstes Großprojekt zu werben, hat der Chef der Hamburger Buss-Gruppe seine 60-Fuß-Yacht gegen eine öffentliche Passagierfähre getauscht. Bei einer Rundfahrt durch den Stader Hafen sitzt dem Multimillionär aus der Hansestadt auch nicht der ehemalige Bundeskanzler gegenüber, sondern der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil. Der hat zwar genauso wie sein SPD-Parteigenosse ein Faible für Energiethemen, aber gegenwärtig eine ganz andere Haltung zum russischen Pipeline-Gas.

Hat große Pläne für den Stader Hafen: Johann Killinger, Inhaber der Hamburger Buss-Gruppe. | Foto: Link

Als Geschäftsführer des „Hanseatic Energy Hub“ (HEH) treibt nun auch Killinger die deutsche Unabhängigkeit von russischen Energieimporten voran. Noch bis Jahresende will sein Unternehmen in Stade ein schwimmendes LNG-Terminal in Betrieb nehmen, das später durch eine landseitige Regasifizierungsanlage abgelöst werden soll. Umweltschützer sehen das Vorhaben jedoch kritisch. Die Deutsche Umwelthilfe bezeichnete den 650 Meter langen Anleger in Stade-Bützfleth als „überdimensioniert“.

Der Umweltverband BUND zweifelt angesichts gut gefüllter Gasspeicher an der Notwendigkeit eines weiteren LNG-Terminals und wehrt sich gegen weitere Störfallbetriebe im Stader Industriegebiet. Killinger macht gegenüber Weil aber deutlich: Für den Wirtschaftsstandort ist das LNG-Terminal ein wahrer Glücksfall. „Das war eine gute Entscheidung vom Bund, weil Stade dadurch noch mehr auf die Landkarte der deutschen Gasversorgung kommt“, freut sich der Unternehmer.

Die Bauarbeiten für das LNG-Terminal in Stade sind im Januar gestartet und bereits weit fortgeschritten. | Foto: Link

Landbasiertes LNG-Terminal kostet eine Milliarde Euro

Für die Bundesregierung ist Stade zwar derzeit nur einer von sechs LNG-Standorten. Killinger und seine Geschäftspartner haben für den neuen „Energiehafen“ an der Elbe jedoch große Pläne: Im LNG-Terminal neben dem Dow-Chemiewerk sollen schon ab Anfang 2027 bis zu 13 Milliarden Kubikmeter Gas wiederverflüssigt werden. Das ist zwar nicht einmal ein Viertel der Menge, die 2021 über Nord Stream I nach Westen geflossen ist (60 Milliarden Kubikmeter). Stade allein könnte damit aber bis zu 15 Prozent des künftigen deutschen Gasbedarfs decken, heißt es.

Die Behauptung, dass es für so viel Flüssiggas keinen Bedarf gibt, weist Killinger klar zurück. „Wir haben 80 Prozent der Lagerkapazitäten bereits über 20 Jahre verkauft“, berichtet der HEH-Chef. Sechs Milliarden Kubikmeter hat sich das Energieunternehmen EnBW gesichert, vier Milliarden gehen an den Erdgashändler „Securing Energy for Europe“ (SEFE) – ehemals Gazprom Germany. Die „zukunftsflexible“ Vereinbarung sieht vor, dass neben Flüssigerdgas auch grüne Energieträger wie Bio-LNG und synthetisches Erdgas (SNG) importiert werden, denn schließlich will EnBW bis 2035 klimaneutral werden. Außerdem wird die gesamte Infrastruktur vom Terminal bis zum Pipeline-Anschluss so ausgelegt, dass problemlos auf Ammoniak – und damit auf Wasserstoff – umgestellt werden kann.

Für den Bau des Flüssiggas-Terminals wird auch in der Elbe gebaggert. | Foto: Link

„Das Projekt steht, das kommt“, versichert Killinger. Die finale Investitionsentscheidung über rund eine Milliarde Euro stehe zwar noch aus. 15 Banken hätten sich aber auf HEH-Anfrage hin schon gemeldet und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit gezeigt. „Das liegt sicher auch daran, dass wir den grünen Aspekt betonen“, meint der Unternehmer. Außerdem habe man mit der spanischen Firma „Técnicas Reunidas“ bereits einen auf derartige Projekte spezialisierten Generalunternehmer gefunden.

Dass es am Ende an einer behördlichen Erlaubnis scheitern könnte, kann sich Killinger angesichts des neuen LNG-Beschleunigungsgesetzes nicht vorstellen. Darin wird klar geregelt, dass landgebundene LNG-Terminals genehmigungsfähig sind, sofern sie für die spätere Umstellung auf Wasserstoff geeignet sind. Das sei beim HEH-Projekt allein schon aus „ureigenstem kaufmännischen Interesse“ der Fall. „Gas endet 2043. Wir wollen die Energiewende mitgestalten“, sagt der Unternehmer aus Hamburg. Auf dem zukünftigen Baugelände habe man sogar schon Flächen für Ammoniaktanks reserviert. Killinger: „Dadurch können wir parallel mit dem Markthochlauf von Wasserstoff beginnen.“



Ministerpräsident Weil hört sich die ambitionierten Pläne für den Stader Energiehafen sehr interessiert an, ein klares Bekenntnis zum landbasierten LNG-Terminal gibt er allerdings nicht ab. Dafür lobt er den Bau der beiden schwimmenden Anleger, der offenbar gut vorankommt. Im ansonsten eher ruhigen Hafenbereich, der nur gelegentlich von Container-Schiffen befahren wird, herrscht auf der Anleger-Baustelle sowohl auf dem Wasser wie auch an Land emsige Geschäftigkeit. „Wir sind im Zeitplan“, sagt Killinger, woraufhin der Regierungschef gut gelaunt hinzufügt: „Schnell sein können wir in Niedersachsen.“

Diese Geschwindigkeit ist aber auch nicht ganz billig. Die landeseigene Hafengesellschaft N-Ports rechnet für das schwimmende Terminal mit Investitionskosten von bis zu 300 Millionen Euro. Bund und Nord/LB haben jeweils eine feste Summe von 100 Millionen Euro zugesichert, den Rest bezahlt das Land Niedersachsen. Eine weitaus größere Ausgabe werden aber die Kosten rund um das LNG-Terminal-Schiff „Transgas Force“ der Firma sein, das einmal pro Woche von einem LNG-Tanker bis zur Größe „Qatar-Max“ (345 Meter Länge) angesteuert wird. „Das Modell ist so aufgesetzt, dass alle fünf Tiden ein Schiff kommen kann“, erläutert Projektleiter Jörg Schmitz vom benachbarten Chemieunternehmen Dow, das neben der Buss-Gruppe und der Partners Group Holding zu den Gesellschaftern des Hanseatic Energy Hub gehört.

Stephan Weil und Jörg Schmitz schauen sich die Bauarbeiten bei einer Rundfahrt auf der Elbe an. | Foto: Link

Dow ist aber nicht nur als Geldgeber für das Projekt wichtig. Die Prozesswärme der Chemiefabrik wird zukünftig auch dafür verwendet, um das flüssige Gas aufzuwärmen, das mit minus 160 Grad Celsius in Stade ankommt. „Außerdem haben wir kompletten Zugriff auf die Dow-Infrastruktur – bis hin zur Werkfeuerwehr“, sagt HEH-Chef Killinger und verweist auch auf die Nähe zum bestehenden Gastransportnetz. Auf dem Dow-Gelände müssen nur drei Kilometer Pipeline neu gebaut werden, die Anbindungsleitung für Wilhelmshaven ist 26 Kilometer lang.

LNG ist klimaschädlicher als gedacht

Die Freude über den schnellen Bau der LNG-Terminals wird jedoch von einer neuen Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Heidelberg überschattet. „Allein die Verflüssigung des Gases zu LNG verschlingt schon große Mengen Energie und verursacht so erhebliche Emissionen“, sagt Studienleiter und Physiker Daniel Münter. Bei Förderung, Aufbereitung und Transport würden nochmal bis zu 50 Prozent der Emissionen anfallen, die unweigerlich bei der Verbrennung des Gases freigesetzt werden. „Außerdem entweicht überall entlang der Prozesskette extrem klimaschädliches Methan, das bis zu einem Drittel der Vorkettenbelastung ausmachen kann“, bemängelt Münter. Grund dafür seien vor allem defekte Anlagen. Teilweise werde das Methan aber auch absichtlich abgelassen, wenn Pipelines oder Bohrlöcher gewartet werden.

Am schlechtesten hatten in der Studie die potenziellen LNG-Lieferanten USA und Algerien abgeschnitten, wo pro Energieeinheit (Megajoule Heizwert des Erdgases) rund 23 bis 27 Gramm CO2-äquivalente Vorkettenemissionen anfallen. Zum Vergleich: Die Vorkette für Pipelinegas aus Norwegen trägt nur etwa 3 Gramm bei. Der IFEU-Wissenschaftler empfiehlt: „Deutschland und die EU sollten dringend eine saubere und emissionsarme Erdgasförderung in Ländern wie Algerien, Katar, Nigeria und den USA einfordern.“ So könnten die europäischen Staaten zum Beispiel konkrete Vorgaben zu den Förderbedingungen erarbeiten und regelmäßige Kontrollen an Anlagen zur Vertragsbedingung machen.

Dieser Artikel erschien am 8.8.2023 in Ausgabe #131.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail
Alle aktuellen MeldungenAktuelle Beiträge
Mit Forschung an die Spitze | Foto: sorbetto via Getty Images
Blauer Brief für die TU Braunschweig
23. Mai 2025 · Klaus Wallbaum1min
Am Donnerstag, 29. Mai, beginnen in Emden die diesjährigen Matjestage. Die Traditionsveranstaltung erinnert an die frühere Bedeutung der Heringsfischerei für die Region. | Foto: Link
Die Woche in Niedersachsen (KW 22)
25. Mai 2025 · Christian Wilhelm Link3min
Marco Trips | Foto: Wallbaum
Streit um Ganztagsbetrieb: Kommunen sehen sich vom Land stark vernachlässigt
22. Mai 2025 · Klaus Wallbaum3min