Wie ein früherer OB auf die Kommunalpolitik blickt
Diese Karriere war schon etwas besonderes – und sie verlief dann nach dem Wahlsieg holprig, begleitet von zahlreichen Auseinandersetzungen und Konflikten. Gerd Schwandner, ein promovierter Mediziner und früherer Grünen-Politiker, wurde 2006 zum Oberbürgermeister von Oldenburg gewählt, der drittgrößten Stadt Niedersachsens. Nach achtjähriger Amtszeit schied er 2014 aus dem Amt, das ist jetzt mehr als sechs Jahre her. Vor einiger Zeit schon hat der heute 69 Jahre alte Wissenschaftler gemeinsam mit Rainer Lisowski, seinem damaligen Wirtschaftsreferenten, der jetzt als Professor über die Betriebswirtschaft der öffentlichen Verwaltung lehrt, ein Buch geschrieben. Es heißt „Die Übermorgenstadt“ und arbeitet nicht nur die damalige OB-Amtszeit Schwandners kritisch auf.
Zugleich werden dort einige Thesen zu der Frage verbreitet, wie Kommunalpolitik in einer größeren Stadt – Oldenburg hat rund 164.000 Einwohner – effektiver und moderner werden kann. Vor einigen Wochen nun legten Schwandner und Lisowski ein zweites Buch vor, es handelt von den Wirtschaftsbeziehungen zu China. Die beiden haben 30 Oberbürgermeister in Deutschland interviewt – und in einem Fazit kommt Schwandner zu dem ernüchternden Resultat, dass die Corona-Krise verdeutlichte, wie wenig die deutschen Politiker der chinesischen Problemlösungskompetenz trauten. Obwohl die Asiaten doch in vielen Technologien heute schon viel weiter seien als wir Europäer.
Ein Einkaufszentrum wurde zum politischen Fiasko
Die Person Schwandner macht die beiden Bücher interessant. Der im baden-württembergischen Göppingen geborene Chirurg hat einen nicht alltäglichen Lebenslauf vorzuweisen. Nach dem Studium hat er als Mediziner in der Heidelberger Uni-Klinik und in einem Pforzheimer Krankenhaus gearbeitet, wechselte aber 1984 in die Politik. Gehörte er noch als junger Mann der FDP an, so schloss er sich Anfang der achtziger den neugegründeten Grünen an, wurde 1984 für diese Partei Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg und 1988 noch einmal wiedergewählt.
Bis zu Vize-Fraktionschef brachte er es. Dann ging er nach Bremen, wurde Staatsrat (vergleichbar einem Staatssekretär) bei der Senatorin für Kultur und Ausländerintegration. Danach wechselte er wieder in den Süden, als Marketing-Professor nach Karlsruhe, wurde Gastdozent und verließ die Grünen wieder. So war Schwandner parteilos, als er – für die CDU – 2006 als Oldenburger OB-Kandidat antrat. Ein Paradiesvogel also, und einer, der gegen den hemdsärmeligen Amtsinhaber Dietmar Schütz von der SPD als Außenseiter galt. Im ersten Wahlgang holte Schütz 43,3 Prozent, Schwandner nur 26,8. Doch in der Stichwahl entschied er das Rennen für sich – für manche damals ein schwarz-grünes Signal, zudem eines, das sich gegen den Bau eines Einkaufszentrums in der Innenstadt richtete.
Die Sache mit dem Einkaufszentrum wurde zum politischen Fiasko. Auf der Welle der Gegnerschaft war Schwandner ins Amt gelangt, dann stellte er fest, dass die gewünschte Ikea-Ansiedlung ohne ein – zumindest verkleinertes – Einkaufszentrum nicht zu haben war. Er ging einen Kompromiss ein, den die Grünen als Verrat ansahen. Schwarz-Grün im Rat zerbrach, damit war die Unterstützung des Stadtparlamentes für die Verwaltungsführung verloren. Sie kam auch nicht wieder. Das „Küchenkabinett“ von engen Vertrauten, das den OB umgab, wurde ihm nach und nach vom Rat wieder genommen – indem die Mehrheit im Rat beim Stellenplan andere Schwerpunkte setzte. Schwandner erfuhr auch direkte Anfeindungen, wie er schildert.
Hinweise auf Mängel und Defizite im politischen System
Das Buch „Übermorgenstadt“ ist zwar keine Abrechnung mit der Oldenburger Lokalpolitik, in Ansätzen allerdings schon eine kritische Aufarbeitung. Schwandner und Lisowski räumen auch mit einigen Vorurteilen auf, etwa dem, dass möglichst viel Bürgerbeteiligung automatisch zu einer besseren Kommunalpolitik führe. Hier sind die Autoren pessimistisch, schreiben – auch der jungen Generation – eher die Eigenschaft zu, in der Mitwirkung verbesserte eigene Interessen, nicht aber ein verbessertes Gemeinwohl erreichen zu wollen. Sie schreiben von der Notwendigkeit, internationale Beziehungen aufzubauen, zu pflegen und konkret mit Inhalten zu füllen.
Dagegen stehe eine ehrenamtliche Kommunalpolitik, die damit oft nicht viel anfangen könne. In dem China-Buch wird das noch einmal untermauert. Enge Kontakte zur Kulturszene seien nötig, schreiben die beiden Autoren, und der Mut der Stadtführung, nach Größerem und Höherem zu streben. Im holländischen Groningen etwa wirke die Welt urbaner und lebendiger als in Oldenburg – und nach Schwandners Meinung liegt das daran, dass dort das „Geheimrezept“ des Groninger Bürgermeisters Jacques Wallage gelte: „Wir tun und planen immer so, als wären wir eine Stadt mit 500.000 Einwohnern.“ Ein ganz wichtiges Anliegen der beiden Autoren ist es, auf die wichtige Vernetzung der örtlichen Universität mit der Kommunalpolitik zu pochen. Von einer echten Partnerschaft könnten eben beide Seiten profitieren. Der „fehlende Wille der politisch Handelnden“ habe den Erfolg dieses Ansatzes in Oldenburg verhindert, heißt es in dem Buch „Übermorgenstadt“ – und diese Passage ist fett gedruckt, damit sie sich dem Leser besonders einprägt.
„Blender“ oder Politiker mit Weitsicht?
So häufen sich bei Schwandner und Lisowski mehrere Hinweise auf Mängel und Defizite im politischen System: Dass der Zwang zum Ausgleich der politischen Interessen im Dezernentenkollegium zu einer Harmonisierung führe, die jede Debatte um eine vorwärtsgerichtete Strategie abwürge. Dass die Räte zu groß seien und dort nicht immer Leute säßen, die in der Stadtgesellschaft wirklich gut vernetzt sind. Dass die Emotionen in politischen Debatten viel zu schnell hochkochen und die Sachargumente in den Hintergrund treten. Dass Kommunalpolitik sowieso viel zu sehr auf das Lösen aktueller Konflikte ausgerichtet sei und zu wenig auf langfristige Entwicklungen und Weichenstellungen. Und dass jeder Streit viel zu schnell persönlich und verletzend werde – statt sich, wie es richtig wäre, auf die objektiven Möglichkeiten des Handelns zu beziehen.
War die Regierungszeit von OB Schwandner die eines „Blenders“, wie böswillige Kritiker meinten? Oder wollte der Oberbürgermeister mehr, als seine Kommunalpolitiker ihm zu geben bereit waren? An vielen Stellen bieten die beiden Bücher dazu interessante Einblicke. Schwandner übrigens sammelt derzeit neue Eindrücke. Er ist nach Afrika gezogen – seine Frau Annette leitet künftig das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Nairobi. (kw)
Rainer Lisowski, Gerd Schwandner: Übermorgenstadt. Transformationspotenziale von Kommunen. Stadt- und Regionalforschung, Band 13. Das Buch hat 212 Seiten und ist im Berliner Lit-Verlag erschienen. Es kostet 29,90 Euro. ISBN: 978-3-643-13865-1
Rainer Lisowski, Gerd Schwandner: Nach China! Beziehungen deutscher Städte in die Volksrepublik, 178 Seiten, Lit-Verlag, ISBN: 978-3-643-I4689-2