Wie die Landkreise Stade und Cuxhaven den Lehrermangel auf eigene Faust angehen
Wenn im Staat etwas nicht ordentlich funktioniert, interessiert es den gemeinen Bürger nicht, wer genau dafür verantwortlich ist. Er will bloß, dass das Problem bewältigt wird – völlig egal, von wem. Weil Kai Seefried (CDU) und Thorsten Krüger (SPD) genau um diese Haltung wissen, haben sie sich nun ein Thema auf ihre Schreibtische gezogen, das dort offiziell gar nicht hingehört. Vor etwas über einem Jahr mussten die beiden Landräte von Stade und Cuxhaven aber feststellen, dass die Unterrichtsversorgung ausgerechnet in ihren beiden Landkreisen besonders schlecht ausfällt. Noch bei der jüngsten Erhebung des Kultusministeriums zum Stichtag 15. August 2024 lag der schulformübergreifende Wert für Cuxhaven bei 91,9 und für Stade bei 90,9 Prozent. Zum Vergleich: Landesweit lag die Unterrichtsversorgung in den vergangenen beiden Jahren bei einem rechnerischen Durchschnittswert von 96,9 Prozent. Gründe für das schlechte Abschneiden der beiden Landkreise gibt es viele: Der allgemeine Lehrermangel trifft hier auf eine gewisse Randlage sowie die direkte räumliche Konkurrenz zur Freien und Hansestadt Hamburg, die noch bis vor kurzem besser bezahlt hat aber auch jetzt noch als ein attraktiverer Mitbewerber um Fachkräfte auftritt.

Kurzerhand wandten sich Seefried und Krüger deshalb an das niedersächsische Kultusministerium mit der Idee, die klassische Frage der Zuständigkeit beiseitezuschieben und gemeinsam etwas in die Wege zu leiten, das vor Ort konkret hilft. Im Ministerium in Hannover nahm man diese Initiative aus den Kommunen damals gern und schnell auf. Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) erkennt darin einen weiteren der von ihr ausgerufenen „tausend Schritte“ zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung im Land. Der persönliche Draht zwischen Seefried und Hamburg aus der Zeit, als der CDU-Politiker noch im Landtag saß, war dabei sicherlich nicht von Nachteil. Als am vergangenen Freitag die beiden Landräte und die Kultusministerin nun nach einem Jahr der Vorbereitung eine gemeinsame Kooperationsvereinbarung zur Stärkung der Lehrkräfteversorgung unterzeichneten, waren alle Seiten sichtlich stolz über diese in vielfacher Hinsicht grenzüberschreitende Zusammenarbeit.
Das Kultusministerium und die Landkreise verpflichten sich darin zu mehreren Maßnahmen:
- Studienseminare aufwerten: Niedersachsens Kultusministerium strebt an, die Profile der Studienseminare in Stade und Cuxhaven zu schärfen. Künftig soll dort die Digitalisierung eine größere Rolle spielen, insbesondere der Einsatz von „Künstlicher Intelligenz“ (KI) in der Lehrerausbildung soll vertieft betrachtet werden. Durch diesen Schritt erhofft man sich eine gesteigerte Attraktivität dieser ländlichen Studienseminare, wodurch sich eine Sogwirkung entwickeln könnte. Man hofft auf einen Klebeeffekt, wenn die angehenden Lehrkräfte erst einmal in die Region gekommen sind. Aktuell ist festzustellen, dass angehende Lehrer für den Vorbereitungsdienst urbane Standorte in der Nähe zu ihren Studienorten bevorzugen. Kämen sie erst einmal nach Stade oder Cuxhaven, so die Hoffnung, verliebten sie sich in die Schule, die Region – und vielleicht auch in einen anderen Menschen, der dann zur Familiengründung vor Ort führt.
- Verbessertes Standortmarketing: Die Kultusbehörde will die entsprechende Internetseite, auf der die Zulassung für den Vorbereitungsdienst verwaltet wird, um eine interaktive Karte ergänzen. Diese soll dabei unterstützen, dass sich die Studienseminare besser verkaufen können. Das Kultusministerium richtet in diesem Zusammenhang den Wunsch an die Leitungen der Studienseminare, ihre eigenen Internetseiten entsprechend zu überarbeiten. Neben den rein fachlichen Aspekten sollen auf diesen Seiten auch leicht auffindbare Informationen zu regionsspezifischen Vorteilen bereitgestellt werden. Eine weitere interaktive Karte soll künftig offene Stellen anzeigen und direkt zur jeweiligen Stellenausschreibung verlinken. So sollen sich die Schulen noch besser präsentieren können. Die Kommunen sprechen von Imagevideos, die angefertigt werden können.
- Willkommenskultur für Lehrer: Die Landkreise übernehmen künftig die Aufgabe, den neuen Lehrkräften den Umzug in den ländlichen Raum zu versüßen. So soll beispielsweise auf den Mehrwert der jeweiligen Region hingewiesen werden. Zudem will man den neuen Lehrern dabei helfen, geeigneten Wohnraum, einen Kindergartenplatz für den Nachwuchs und einen passenden Arbeitsplatz für den Partner zu finden. Erwägen möchte man, ein Lehrkräfte-Servicebüro nach dem Vorbild des Landkreises Dithmarschen einzurichten. Um ein Manko der ländlichen Räume auszugleichen, wollen die Landkreise bei den Fahrtkosten unterstützend eingreifen. Außerdem will man die Lehrkräfte sowie die Schulen technisch besser ausstatten. Überlegt wird noch, ob ein Stipendienprogramm für Referendare aufgesetzt werden kann, das anschließend zu einem Verbleib im jeweiligen Landkreis verpflichtet.
- Befristung statt Beamtenstatus: Bereits seit Februar dieses Jahres können neue Lehrkräfte eine Stelle auf eigenen Wunsch vorerst befristet antreten. Im Kultusministerium hofft man, den Lehrern damit die Angst davor zu nehmen, an einem weniger attraktiven Standort auf Dauer festzusitzen. Wären sie verbeamtet, verlören sie die Kontrolle darüber, wo sie eingesetzt werden. Aus den Gesprächen mit den Landkreisen Stade und Cuxhaven sei diese pragmatische Lösung im Kultusministerium entwickelt worden, wird berichtet.
- Flexiblere Einstellungen: Allein für diese Erkenntnis sei der Austausch schon gut gewesen, heißt es aus der Fachebene. Bei der Stellenausschreibung setzt man außerdem auf mehr Flexibilität. So kann in Absprache mit dem zuständigen Regionalen Landesamt für Schule und Bildung (RLSB) beispielsweise das zweite Fach offengelassen werden, es können Stellen an Grundschulen verlagert oder eine Ausschreibung an entsprechende Abordnungen einer Schule an eine weniger gut versorgte Schule geknüpft werden. Im Ministerium erwägt man noch weitere härtere Instrumente. So will man prüfen, ob Abordnungen künftig auch über einen längeren Zeitraum über die Grenzen der früheren Bezirksregierungen hinweg möglich sein können.
- Modellprojekt für unterversorgte Schulen: Voraussichtlich im August soll an ausgewählten Schulen in Stade und Cuxhaven ein zweijähriges Modellprojekt für Schulen mit einer „herausfordernden Unterrichtsversorgung“ starten. Wie Kultusministerin Hamburg erläuterte, will man herausfinden, was unterversorgte Schulen an konkreter Hilfeleistung brauchen, damit die Schul- und Unterrichtsentwicklung nicht zu kurz kommt. Konkret soll es beispielsweise darum gehen, Lehrkräfte von bürokratischen Aufgaben zu entlasten. Dazu soll sogenanntes Unterstützungspersonal eingestellt werden können. Zwei Millionen Euro stellt das Kultusressort dafür bereit. Diese, wie auch zahlreiche andere Maßnahmen dieser außergewöhnlichen Kooperation, sollen nach Aussage der Kultusministerin im Falle des Erfolges auch auf andere ähnlich gelagerte Kommunen übertragen werden.
Wie geht es jetzt konkret weiter? Die Vereinbarung markiert erst den Anfang eines längeren Prozesses. „Die Vorarbeit hat viel Zeit in Anspruch genommen“, sagte Seefried und stellte zugleich fest: „Jetzt geht die Arbeit erst richtig los.“ Zwar habe man mit den Bildungsbüros und Bildungsregionen schon eine gewisse Infrastruktur vorgehalten, doch insbesondere beim Thema Standortmarketing, Willkommenskultur und IT-Ausstattung müssten noch Investitionen folgen. Die Kreistage der beiden Landkreise sollen sich nun zeitnah mit den Vorschlägen befassen, noch steht dafür keine Zahl im Haushalt. „Wenn man ein Thema sofort kaputtmachen möchte, muss man nur fragen: Wer ist zuständig? Und wer zahlt?“ Beide Fragen hatte man bei diesem Ansatz zunächst ganz bewusst außen vor gelassen, um gemeinschaftlich an Konzepten zu arbeiten und Synergien zu entwickeln. Nun geht es an die Umsetzung.
Dieser Artikel erschien am 27.02.2025 in der Ausgabe #039.
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