Der Beifall war ordentlich, aber nicht euphorisch. Die Kritik war energisch, aber nicht wirklich leidenschaftlich. Und die Aussagen der Redner waren zugespitzt, aber in weiten Teilen nicht unbedingt originell. Zum vierten Mal erlebte der Landtag gestern eine Sitzung im Ausnahmemodus, der seit März das Land prägt. Wie üblich, leitete Ministerpräsident Stephan Weil den Tag mit einer Regierungserklärung ein. Aber die Botschaften, die der Regierungschef mitbrachte, klangen nicht unbedingt optimistisch. Nach der Sitzung kehrte er zu seinem Platz zurück und vertiefte sich ins Aktenstudium. Die Situation war angespannt und ernst, jeder merkte es.

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In dieser Sitzungswoche fordert das Corona-Virus wieder seinen Tribut. In den vergangenen Monaten hatte man das Abstandsgebot befolgt, indem zwischen zwei Abgeordneten jeweils ein Sitzplatz frei gelassen wurde – und die Staatssekretäre von der Regierungsbank verbannt wurden. Das hatte damals zur Folge, dass ein Teil der Mandatsträger auf die Zuschauertribüne ausweichen musste und von daher weniger Chancen zur direkten Intervention in eine Debatte hatte. Inzwischen nun darf wieder jeder Sitzplatz genutzt werden – aber die Landtagsverwaltung hat zwischen den Abgeordneten Glas-Trennscheiben aus Sicherheitsglas installiert, damit ein Spuck- und Atemschutz wirken kann.

Das mutete nun beim Blick auf das Plenum skurril an: Jeder Abgeordnete in den Sitzreihen und jeder Minister auf seinem Platz schien irgendwie abgeschottet und isoliert zu sein – so eingekapselt, dass der Kontakt zum Nachbarn schwer fiel und nur möglich wurde, wenn man mit dem Stuhl zurückrollte hinter die Absperrung. So sahen die Politiker aus wie Mitarbeiter in einem Call-Center, die jeder für sich ungestört telefonieren können soll – oder auch wie Übersetzer in einer Dolmetscherkabine. Ob unter diesen Umständen parlamentarische Debatten überhaupt möglich sind? Wer einen Zwischenruf machen wollte, spürte sehr schnell, dass seine eigenen Worte an der Glaswand abprallen und zurückhallen. Da konnte man erschrecken. Mit starkem Beifall war es nicht anders.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns darauf einrichten, dass das zweite Halbjahr sehr schwierig werden wird und wir uns auf eine ganze Reihe von schlechten Nachrichten einrichten sollten.

Womöglich war das ein Grund, warum die Atmosphäre im Plenarsaal gedämpft war. Ein anderer Grund mochte die angespannte Lage sein. Die Sommerpause naht, und eigentlich hatten noch im März viele geglaubt, der Corona-Zauber werde nun vorüber sein. Aber Weil hat wenig Ermutigung im Gepäck. Viele Einschränkungen, sagte er, würden „auf Sicht weiter notwendig sein“. Das gelte etwa für Abstandsregeln und die Maskenpflicht. „Und wann wir wieder auf großen Veranstaltungen unbeschwert miteinander feiern können, steht völlig dahin.“

Foto: Grüne Fraktion Nds.

Mit dem Virus, fügte der Regierungschef hinzu, werde man „auch im zweiten Halbjahr leben müssen“. Deutschland befinde sich „inmitten einer harten Wirtschaftskrise“: „Vor diesem Hintergrund müssen wir uns darauf einrichten, dass das zweite Halbjahr sehr schwierig werden wird und wir uns auf eine ganze Reihe von schlechten Nachrichten einrichten sollten.“ Der Ministerpräsident erklärte, er bitte die Bürger „in den nächsten Monaten vorsichtig, umsichtig und hilfsbereit zu bleiben“. Verbände und Institutionen sollten dabei mithelfen.

Regierungsfraktionen kritisieren die Corona-Verordnung

Von der SPD/CDU-Koalition bekam Weil für seine Rede viel Zuspruch, an einer Stelle aber meldete sich auch harsche Kritik. Sowohl SPD-Fraktionschefin Johanne Modder als auch ihr CDU-Kollege Dirk Toepffer übten unverhohlen Kritik an der jüngsten Fassung der Corona-Verordnung, die immer noch nicht dem Standard „einfach, kurz und klar“ entspricht, wie er schon vor vielen Wochen vom Sozialministerium angekündigt worden war. Modder erklärte: „Ob der neue Entwurf anwendungsfreundlicher werden wird? Da mache ich mal ein großes Fragezeichen.“

Was etwa die Vorschriften zum Glücksspiel unter Corona-Bedingungen angeht, reichen in NRW acht Zeilen, bei uns sind es 80 Zeilen, verteilt auf drei unterschiedliche Paragraphen.

Toepffer verglich den jüngsten Entwurf, der derzeit von Verbänden und von den Landtagsfraktionen diskutiert wird, mit ähnlichen Bestimmungen in Nordrhein-Westfalen: „Was etwa die Vorschriften zum Glücksspiel unter Corona-Bedingungen angeht, reichen in NRW acht Zeilen, bei uns sind es 80 Zeilen, verteilt auf drei unterschiedliche Paragraphen.“ Von verschiedenen Abstandsregeln gebe es im Nachbarland nur zwei Arten, hier aber mindestens vier. Ähnlich sei es bei den Regelungen für die Menschenansammlungen im Freien.

Foto: Hillgriet Eilers

Der CDU-Fraktionschef unterstützte den Ministerpräsidenten allerdings ausdrücklich in dessen jüngst öffentlich geäußerter Kritik am Verzicht auf eine Autokaufprämie. Wer heute ignoriere, dass es noch geraume Zeit Diesel- und Verbrennungsmotoren gebe, könne auch mit einer Förderung der Elektromobilität der Autoindustrie keine entscheidende Unterstützung geben, die aber dringend sei.

Grüne attestieren der Koalition „Mutlosigkeit“

Die Opposition trat in der Debatte unterschiedlich auf. Julia Hamburg (Grüne) hielt der Koalition „Mutlosigkeit“ vor und plädierte für noch mehr staatliche Investitionen, lobenswert sei die Idee des „Niedersachsen-Fonds“, die vom DGB vorgestellt wurde. „Befreien Sie sich vom Spardiktat der CDU“, rief Hamburg der SPD zu.

FDP-Fraktionschef Stefan Birkner nahm die gegenteilige Position ein, hielt der Koalition in der Corona-Politik zunächst selbstherrliches Auftreten und mangelnde Einbindung der Opposition vor – und schimpfte auf die Kreditaufnahme in Höhe von 7,8 Milliarden Euro im geplanten zweiten Nachtragsetat. Dort werde vieles unter dem Deckmantel der Virusbekämpfung finanziert, was gar nichts damit zu tun habe.

Die angestrebte Tilgung vom Jahr 2024 an für dann 25 Jahre bezeichnete Birkner als ein leeres Versprechen: „Wollen Sie uns auf den Arm nehmen? Warum führen Sie die Leute ständig hinters Licht? Wenn man die Kredite in 25 Jahren getilgt haben will, braucht man jährlich 312 Millionen Euro. Das eine hohe Summe. Schon 100 Millionen Euro jährlich wären viel – und dann bräuchte man für die Tilgung immerhin 78 Jahre.“

AfD meint: Verbote sind unnötig gewesen

Während die FDP die Corona-Auflagen als solche nicht angriff, aber für eine zügige Perspektive ohne Grundrechtseinschränkungen plädierte, ging die AfD-Fraktionsvorsitzende Dana Guth noch einen Schritt weiter. Die Verbote seien unnötig gewesen, da das Gesundheitssystem zu keiner Zeit überlastet gewesen sei. Den Schaden für die Wirtschaft habe nicht das Virus verursacht, sondern die überzogene Politik zu dessen Eindämmung. Nun wolle die Regierung weiter in die Rechte der Bürger eingreifen – und wenn nach den Schützenfesten im Herbst die Erntedankfeste verboten würden, folgten sicher in der Adventszeit noch die Weihnachtsmärkte. „Sie installieren für die Menschen ein Leben, das niemand will“, betonte Guth.

Die Hilfen für die Wirtschaft, sagte sie voraus, würden wohl an Auflagen geknüpft wie Gender-Wortwahl und Klimaschutz. Das sei „Planwirtschaft wie bei der DDR 2.0“, betonte Guth, kassierte dafür später aber einen Ordnungsgruf. Dabei seien die Grundlagen für solches Verhalten überhaupt nicht gegeben, meinte sie. Zu der vom Virologen Christian Drosten „versprochenen zweiten Welle“ werde es „nicht kommen, denn dann hätte es eine erste Welle geben müssen“. (kw)