4. Juni 2025 · 
MeldungUmwelt

„Absoluter Tabubruch“: Umweltverbände stemmen sich gegen Windkraft im alten Wald

Der Entwurf für das neue Landesraumordnungsprogramm (LROP) löst bei Umwelt- und Naturschutzverbänden erheblichen Protest aus. „Wir sind sehr enttäuscht von dem Entwurf“, sagte der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann am Mittwoch. Er bezeichnete die Vorlage der rot-grünen Landesregierung gar als „schlimmsten Entwurf in 16 Jahren“. Auf verschiedenen Ebenen verfehle der Entwurf die Belange des Umwelt-, Klima- und Naturschutzes, beklagte die BUND-Landesvorsitzende Susanne Gerstner. Auf Nachfrage kündigten beide Verbandsspitzen an, im Extremfall eine Normenkontrollklage prüfen und über bestimmte Wege in Gang bringen zu wollen, sollten die vorherigen Interventionen bis dahin keine Änderungen bewirkt haben. Gerstner und Buschmann fordern nun „deutliche Korrekturen“. Sie vertreten die Position, dass sich der aktuelle LROP-Entwurf über EU-Regelungen wie etwa die Verordnungen zur Wiederherstellung der Natur oder zum Schutz von Wiesenvögeln hinwegsetze. Zudem werde der natürliche Klimaschutz, etwa über den Schutz von Wald- und Moorböden, nicht ausreichend berücksichtigt. Ein Zielkonflikt entsteht dabei vor allem beim Ausbau der Windkraft. „Wir brauchen einen ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien und wir unterstützen die Flächenziele“, versicherte Gerstner. „Der Ausbau muss aber auf Flächen gelenkt werden, die naturverträglich sind.“

Besondere Kritik üben die beiden Verbände an der geplanten Erleichterung für den Bau von Windkraftanlagen im historischen Wald. Gerstner sprach von einem „absoluten Tabubruch“. Mit dem LROP-Entwurf werde der Konsens aus 2020, wonach Windkraft im Wald behutsam ausgebaut werden dürfe, nun seitens der Landesregierung aufgekündigt. In sieben Landkreisen solle zusammengenommen eine Fläche von 2223 Hektar Wald für die Windkraft geöffnet werden – „ohne Not“, wie Gerstner sagt. Denn die Waldflächen werden gar nicht zu den vom Land vorgegebenen Windkraft-Potenzialflächen dazugezählt. Überhaupt dürfe erst im Wald gebaut werden, wenn die Flächenziele bereits erfüllt wurden. „Bei der Entscheidung geht es also nicht darum, die Flächenziele zu erreichen, sondern es stehen wirtschaftliche Interessen aufgrund von Pachteinnahmen im Vordergrund“, kritisierte Gerstner. Nach Informationen der beiden Naturschutzverbände stünden hinter dieser Öffnungsoption konkrete Anfragen von Waldbesitzern, die auf Kalamitätsflächen Windkraftanlagen errichten möchten. Betroffen sind die Landkreise Schaumburg, Hameln-Pyrmont, Holzminden, Northeim, Göttingen, Goslar und die Region Braunschweig – also Gebiete, in denen Wetterextreme und Schädlingsbefall die Waldbestände in den vergangenen Jahren stark angegriffen haben. Buschmann kritisierte derartige Pläne scharf, schließlich sei insbesondere in den alten Waldböden viel Kohlenstoff gespeichert und bestimmte Pilze machten diesen Boden besonders schützenswert. Gerstner forderte nun, den Bau von Windrädern im Wald komplett zu stoppen, sobald die Flächenziele erfüllt wurden.

Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) Niedersachsen-Bremen wünscht sich deutlich mehr Windkraft in brachliegenden Forstbetrieben. „Gerade in Südniedersachsen gibt es viele geschädigte Flächen, auf denen großflächige Aufforstungen notwendig sind. Hier können Einnahmen aus der Windkraft helfen, um diese Waldflächen wiederherzustellen und neu aufzuwerten“, erklärte LEE-Geschäftsführerin Silke Weyberg. Sie meint, der Begriff „alte Wälder“ erwecke einen falschen Eindruck – statt wertvoller alter Waldbestände handele es sich häufig um „degradierte, monokulturelle Forststandorte“. Matthias Eichler, Sprecher im niedersächsischen Umweltministerium, erklärte auf Nachfrage, dass im vergangenen Jahr deutschlandweit 2500 Windräder in Wäldern gestanden haben. In Niedersachsen seien es lediglich sechs gewesen.

Auch auf Moorböden wollen die Umweltverbände künftig eher keine Windkraftanlagen sehen. „Die Wiedervernässung muss Vorrang vor allen baulichen Maßnahmen haben“, erklärte Gerstner. Ihr Verband habe stichprobenartig geprüft, wo sich Pläne zum Ausbau der Windenergie mit den Moorpotenzialflächen überschneiden. Im Ammerland sowie in Osterholz, Cloppenburg, Oldenburg und Rotenburg sei man auf Flächen gestoßen, in denen mögliche Windkraft-Vorhaben entweder mit dem Moor- oder dem Wiesenvogelschutz kollidierten. Buschmann erklärte, dass Niedersachsen jährlich 20.000 Hektar an Moorböden wiedervernässen müsse, um die eigenen Klimaziele zu erreichen. Real sei man etwa bei 250 Hektar, wenn staatliche und private Vorhaben zusammengenommen würden.

Im April hat das Landeskabinett den Verordnungsentwurf für die Verbändebeteiligung freigegeben. Das neue LROP soll 2027 in Kraft treten und bestimmt dann maßgeblich, wie widerstreitende Interessen an der Raumnutzung im Land künftig geregelt werden. Laut Agrarministerium haben über 80 Verbände zu dem Entwurf Stellung genommen, die Kommunalen Spitzenverbände haben noch etwas mehr Zeit, sich zu Wort zu melden. Das Volumen der Eingaben umfasse insgesamt über 1000 Seiten, erläuterte Ministeriumssprecherin Stefanie Geisler in der Landespressekonferenz.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #104.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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