Nicht alle Jubiläen weisen auf eine brisante Entwicklung hin. Beim Konkordat von 1965, das zwischen der damaligen SPD/FDP-Landesregierung und Vertretern des Vatikans in Rom geschlossen wurde, ist das allerdings anders. Dieser Vertrag, der die Rechte der katholischen Kirche vor allem in der Bildungspolitik garantieren sollte, kam erst mit mehreren Jahren Verzögerung zustande – und geriet dann in die aufgewühlte Zeit der späten sechziger Jahre, in denen sich die Revolte der Studenten gegen die alten Strukturen schon zeigte. Das führte am Ende zu politischen Folgen, die aus heutiger Sicht unrealistisch erscheinen: Am Streit über diesen Vertrag zerbrach am 13. Mai 1965 die Landesregierung, die erste Große Koalition in Niedersachsen wurde wenige Tage später gebildet. Kurioserweise findet nun fast auf den Tag genau 60 Jahre später, am 20. Mai 2025, die Neubildung einer Landesregierung statt - wegen des Ministerpräsidentenwechsels. Der gebürtige Katholik Stephan Weil (SPD) übergibt an den Protestanten Olaf Lies (SPD). Und in Berlin, nicht in Hannover, ist gerade eine neue Koalition aus Union und SPD gebildet worden, so wie 1965 in Niedersachsen. Außerdem blickt die Welt nach Rom, da just zum Jahrestag des Konkordats ein neuer Papst sein Amt antritt.
Wie kam es zu den Ereignissen von 1965 im Landtag und in der Landesregierung? Zunächst muss auf die Vorgeschichte hingewiesen werden, die bestimmt ist durch die Dominanz der evangelischen Kirche in Niedersachsen, vor allem in Hannover. Der frühere Landesbischof Hanns Lilje und der damalige Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf schlossen zehn Jahre früher, am 19. März 1955, den sogenannten „Loccumer Vertrag“, der zum Vorbild für Abkommen zwischen dem Staat und der Kirche in der damals noch jungen Bundesrepublik werden sollte. Der Loccumer Vertrag war wohl auch ein eher stilles Einverständnis der evangelischen Kirche mit der Regel, dass Grundschulen vor allem „christliche Gemeinschaftsschulen“ sein sollen – also sowohl den evangelischen wie den katholischen Religionsunterricht anbieten. Nur daneben sollte es als Ausnahme noch eigene Bekenntnisschulen geben – also rein katholische Schulen, wie sie im oldenburgischen Münsterland vorherrschend waren.

Nun war der Loccumer Vertrag ein Ausdruck einer engen Kooperation von Staat und evangelischer Kirche, etwa bei der Ernennung von Bischöfen oder umgekehrt bei der garantierten Freiheit der Kirchen, sich politisch äußern zu dürfen. Eine „politische Wächterrolle“ wurde den Kirchen zugesprochen. Der Zeitzeuge Helmut Rieger erinnert sich in seinem Buch „Alles hat seine Zeit“, dass die katholische Kirche sich durch diese Vereinbarung zwischen Kopf und Lilje in ihren Rechten verletzt gesehen habe. Schon 1954 kam es vor dem Kultusministerium zu einer Demonstration von katholischen Gruppen. Rieger schreibt über „lange und zähe Gesprächsrunden“, die dann erst nach 1960 folgten, als der Vatikan einen Unterhändler für den Abschluss eines Niedersachsen-Konkordates benannt hatte. 1963 sei die Einigung „kurz vor dem Ziel“ gewesen, aber nicht gekommen. Nach der Landtagswahl im selben Jahr schied der BHE aus der Regierung aus, SPD und FDP regierten allein weiter. Im Kabinett wurde der Entwurf des Konkordats dann einstimmig gebilligt, doch der Koalitionspartner FDP rückte zunehmend davon ab – während Ministerpräsident Georg Diederichs (SPD) auf der Vertragstreue beharrte. Die GEW witterte zu viel Einfluss der katholischen Kirche auf die Bildungspolitik, auf eine drohende „geistliche Schulaufsicht“ wurde geschimpft. Bei der Abstimmung über das Konkordat im Landtag war die SPD/FDP-Fraktion bereits zerbrochen, nun regierte die CDU an der Seite der SPD. Die Sozialdemokraten hatten die Abstimmung freigegeben – mehrere ihrer Abgeordneten votierten wie die FDP gegen die Vereinbarung.
Aber drohte nun tatsächlich ein katholisches Übergewicht? Die Sorgen waren wohl übertrieben. Das Konkordat verlangte als Bedingung für Bekenntnisschulen eine „angemessene Gliederung“. Die hatte es in sich. In der Schulgesetznovelle, die auf das Konkordat folgte, war die Existenz von katholischen Bekenntnisschulen an Mindestvoraussetzungen geknüpft worden – die Vierzügigkeit. Da diese in immer weniger Dörfern gewährleistet werden konnte und ohnehin der Trend zu neuen Schulzentren in zentralen Orten in Fahrt gekommen war, konnte die im Konkordat ausgedrückte Erwartung einer Sicherung katholischer Bekenntnisschulen oft nicht mehr garantiert werden. Rieger zog in seinem Buch das Fazit, dass es ein kluges Ergebnis als Folge dieser Umstände gab: Die christlichen Gemeinschaftsschulen, die der evangelischen Position entsprachen, seien gesichert worden. Umgekehrt habe man die katholische Kirche zur Mitarbeit in der Schulpolitik gewinnen können. „In der weiteren Folge konnten aus den weit über 500 evangelischen und katholischen Bekenntnisschulen im früheren Land Oldenburg fast überall vollgegliederte Schulen für Schüler aller Bekenntnisse werden“, heißt es in Riegers Bewertung. Die politische Bedeutung habe darin gelegen, dass SPD und CDU über diesen Streit erstmals in eine engere Kooperation in der Landesregierung gekommen waren, dass beide wirklich sachorientiert zusammenarbeiteten.
Diese Vorgänge klingen heute anachronistisch. Ging es damals noch darum, eigene katholische und evangelische Schulen wenigstens in der Theorie zu sichern, so ist die Entwicklung heute viel weiter – und aus Sicht beider Kirchen enttäuschender. In Zeiten einer fortschreitenden Entchristlichung geht es heute um die Sicherung des christlichen Religionsunterrichts als solchen, da es oft für eigenständige evangelische oder katholische Sparten nicht mehr genügend Schüler gibt. Außerdem rückt der „christliche Religionsunterricht“, auf den sich die Kirchen und die Landesregierung Ende 2024 verständigt hatten, die Glaubensvermittlung als solche stärker in den Fokus – es dürfte künftig stärker um die Aufklärung über die Grundelemente der verschiedenen Religionen gehen und weniger um die Vermittlung dessen, was in der Bibel steht.
Ist also der damalige Streit ums Konkordat und der Bezug zum Loccumer Vertrag aus der Zeit gefallen, bleibt nichts als Lehre für die Gegenwart übrig? Anfang des Jahres lobte der evangelische Landesbischof Hannovers, Ralf Meister, die Bedeutung des Loccumer Vertrages, der in diesem Jahr genau 70 Jahre zurückliegt. Es sei um die Institutionalisierung eines Dialoges zwischen Staat und Kirche gegangen, also auch darum, die Rolle der beiden gegeneinander abzugrenzen – und so die bessere Kooperation zu erreichen. Das lässt sich sicher auch für das zehn Jahre später geschlossene Konkordat sagen. Vor zehn Jahren, 2015, lobte Ministerpräsident Stephan Weil das Konkordat als „stabiles Fundament für die Zusammenarbeit“ von Land und katholischen Kirchen im Land. Man kann auch sagen: Der Staat erkennt darin die besondere Rolle der Kirchen an und zeigt, dass Deutschland kein „säkulares Land“ ist wie etwa Frankreich. Zwar gibt es keine Staatskirche, aber es gibt nach wie vor eine starke Nähe zwischen Staat und Kirche, wie sie sich beispielsweise auch bei der Benennung neuer Bischöfe ausdrückt.
Der Leiter des katholischen Büros in Hannover, Felix Bernard, geht noch einen Schritt weiter. Dieser verweist auf die sogenannte „Freundschaftsklausel“ im Konkordat. Es gab hier „harte“ Detailvorgaben: Etwa eine Garantie für die Eigenständigkeit der Hochschule in Vechta mit ihrer Lehrerausbildung (die gerade aktuell wieder in der Diskussion ist), die Festschreibung des katholischen Religionsunterrichts als „ordentliches Lehrfach“ oder die Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat. Die „Freundschaftsklausel“ hingegen ist eher eine „weiche“ Formulierung, in ihrer Beständigkeit daher vermutlich aber noch größer. Bernard schreibt, dass die Kündigung des Konkordats ausgeschlossen ist – stattdessen seien Land und Kirche verpflichtet, sich unverzüglich zusammenzusetzen, sobald eine Seite eine Änderung der Vorgaben begehrt. Dieser Passus sei dann Grundlage für die Gründung des „katholischen Büros“ 1964 gewesen – und bis heute stehe das für einen engen und vertrauensvollen Austausch beider Seiten.