Das Wort klingt technisch, hat es aber in sich. Das „Abstandsgebot“ ist ein wichtiges Merkmal immer dann, wenn es um die Besoldung der Beamten geht. Niedersachsen hat rund 225.000 Beschäftigte beim Land, 130.000 bei den Kommunen. Was die Landesbeamten angeht, es sind rund 135.000, arbeiten zwei Drittel in Vollzeit und ein Drittel in Teilzeit. Nun steht für die Landesbeamten in den kommenden Wochen und Monaten neben den Tarifverhandlungen (die zweite Runde endet am 3. November) eine weitere wichtige Entscheidung an, und diese fällt in Karlsruhe, am Sitz des Bundesverfassungsgerichts.

Es geht um die Frage, ob die Beamtenbesoldung in Niedersachsen verfassungsgemäß ist oder – wie klagende Beamte behaupten – verfassungswidrig. Bei der Beurteilung der Frage ist das „Abstandsgebot“ ausschlaggebend. Denn das „Alimentationsprinzip“ besagt, dass der Staat seine Beamten besonders besolden muss. Das Niveau ihrer Bezüge muss mindestens 15 Prozent oberhalb der sozialen Grundsicherung liegen, also des Betrages, den erwerbslose Menschen vom Staat erhalten.
Folgen der Weihnachtsgeld-Kürzung: Seit bald 20 Jahren sparen die Länder beim Weihnachtsgeld für die Beamten, und Niedersachsen zählte in den Jahren nach 2004 zu den Ländern, die das besonders früh und konsequent umgesetzt hatten. Gerade bei niedrig besoldeten Beamten schlägt dieser Einschnitt zu Buche. In den vergangenen Jahren wurde zwar die Abkehr eingeleitet, es wird wieder Weihnachtsgeld gezahlt, für untere Einkommensgruppen sogar mehr als für höhere. Aber trotzdem gibt es Hinweise, dass bestimmte Beamtengruppen (vor allem niedrig besoldete Beamte mit mehreren Kindern) unterhalb des Grundsicherungsniveaus landen – vor allem in Städten mit hohem Lebensstandard. Tatsächlich wird sich das Karlsruher Urteil wohl auf mehrere Jahre beziehen, so 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016. Der Beamtenbund argumentiert, dass die Benachteiligung von niedrig besoldeten Beamten bis in die Gegenwart reicht und das „Abstandsgebot“ immer noch nicht eingehalten werde. Dabei hatte noch die Große Koalition kurz vor der Landtagswahl 2022 das Weihnachtsgeld für Beamte bis A8 auf 1200 Euro angehoben. Selbst wenn das für die Gegenwart ausreichend sein sollte, was umstritten ist, heilt das wohl noch nicht die Verletzung des „Abstandsgebots“ in den vergangenen Jahren.

Unseliger „Familienergänzungszuschlag“: Im September 2022 hatte die SPD/CDU-Koalition nicht nur das Weihnachtsgeld neu geregelt, sondern auch einen sogenannten „Familienergänzungsvorschlag“ eingeführt. Der sieht vor, dass Beamte mit niedrigen Einkommen und mindestens zwei Kindern einen Zuschlag erhalten, der umso geringer ist, je höher das Einkommen des Beamten wird. Der Effekt wäre, dass für die kleinen Gehaltsgruppen über den Kinder-Zuschlag eine Anhebung der Einkünfte erreicht wird, damit also der Abstand zum Grundsicherungsniveau vergrößert wird. Die erkennbare Absicht dieser Regel ist also, die Verfassungswidrigkeit der kleinen Einkommen zu beseitigen. Die unabhängigen Landtagsjuristen hatten in der Beratung im Haushaltsausschuss allerdings erklärt, es gebe bei dieser Regel „verfassungsrechtliche Probleme“. Denn ein Beamter mit A5 und zwei Kindern bekäme dann unter Umständen mehr als ein Beamter mit A7 und zwei Kindern. Zwar sei also der Abstand zum Grundsicherungsniveau gewährleistet, der zwischen den verschiedenen Gehaltsgruppen aber werde aufgehoben. Der Landtag beschloss die Regelung trotzdem. Wenn sie nun beklagt würde, hätten die Kläger womöglich gar keine schlechten Karten.
In Hannover erwarten viele, dass die Karlsruher Richter die bisherigen Vorschriften als „verfassungswidrig“ einstufen werden.
Lineare Anpassung oder Zuschläge? Über den umstrittenen „Familienergänzungszuschlag“ dürfte das Bundesverfassungsgericht nicht urteilen, das Thema steht dort explizit nicht auf der Tagesordnung. Die spannende Frage ist aber, ob bei einer Niederlage des Landes in Karlsruhe die „Reparatur“ der verfassungswidrigen Regeln in weiteren Sonder-Zulagen und Aufstockungen von niedrigen Besoldungsgruppen besteht. Dazu könnte dann auch der umstrittene „Familienergänzungszuschlag“ gehören. Der Beamtenbund erwartet als Folge eines erwarteten Richterspruchs in Karlsruhe aber wohl eine andere Lösung, nämlich die lineare Erhöhung sämtlicher Beamtenbezüge – von A5 im unteren Bereich bis A16 im höheren. Womöglich müsste auch die B-Besoldung für die Spitzenbeamten angehoben werden. Wie Alexander Zimbehl erklärt, der Landesvorsitzende des Niedersächsischen Beamtenbundes (NBB), wäre eine lineare Erhöhung die einzig richtige Folge aus dem Alimentationsprinzip, das man aus dem Artikel 33 des Grundgesetzes ableiten kann. Die Alimentation des Beamten, also die besondere Fürsorge des Staates für ihn, beziehe sich nämlich aus seiner Amtsausübung – und habe mit der Frage, ob er Kinder hat oder nicht, nichts zu tun.
Wer wäre der Begünstigte? In Hannover erwarten viele, dass die Karlsruher Richter die bisherigen niedersächsischen Vorschriften als „verfassungswidrig“ einstufen werden. Damit ist dann aber noch nicht sicher, wer von eventuellen Nachzahlungen profitieren wird. Sind es nur diejenigen Beamten, die gegen ihre Verdienstbescheinigungen Einspruch eingelegt und auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hingewiesen haben? Das wären zwar tausende, aber längst nicht alle Landesbeamten. Oder entscheiden die Richter in Karlsruhe, dass alle Landesbeamten rückwirkend eine hohe Nachzahlung bekommen. Im zweiten Fall wäre die finanzielle Last, die auf den Landeshaushalt von Finanzminister Gerald Heere zukommt, wesentlich größer. Wenn das Gericht diese Frage offen ließe, wäre es in der Entscheidungsfreiheit des Landtages, über den Empfängerkreis der Nachzahlungen zu befinden.
Puffer im Landeshaushalt ist gering: Bei der Vorstellung des Konzepts der rot-grünen Landesregierung für den Landeshaushalt 2024 fiel auf, wie zurückhaltend die Minister von SPD und Grünen mit den Ausgaben geblieben sind. Als zwei größere Ausgaben fallen allein die Einführung der A13-Mindestbesoldung für alle Lehrer und die 100 Millionen Euro Startkapital für die noch zu schaffende Landeswohnungsgesellschaft ins Gewicht. Ein Grund für die Zurückhaltung mag sein, dass Finanzminister Gerald Heere sehr viel Geld brauchen wird, um damit die Folgen einer möglicherweise schallenden Niederlage des Landes in Karlsruhe zu bezahlen. Auch die Rücklagen des Landes von rund einer Milliarde Euro dürften dafür benötigt werden. Bisher lautet die offizielle Botschaft von Heere, dass man dieses Geld erst 2025, 2026 und 2027 benötige. Wenn es in Karlsruhe nun aber für Niedersachsen ganz dicke kommen wird, dürfte der Finanzminister schon früher zu dieser Notreserve greifen müssen.