Gehälter, Urteile, Konzepte – stürmische Aussichten für die zweite Jahreshälfte
Der rot-grüne Haushaltsplan für das kommende Jahr war in einer Hinsicht überraschend: Die Ausgabensteigerung hielt sich in Grenzen, es fallen neben den üblichen Anpassungen und laufenden Erhöhungen nur zwei größere Posten auf – zum einen die Höherstufung von 35.000 Lehrern von A12 auf A13, die jährliche Mehrkosten von 176 Millionen Euro zur Folge hat, zum anderen eine Summe von 100 Millionen Euro als Basiskapital für die neue Landeswohnungsgesellschaft. Warum nun diese Bescheidenheit?
Ein Grund dafür ist, dass die Aussichten für das zweite Halbjahr und für 2024 nicht gerade rosig sind, sondern eher auf eine Sturmgefahr hindeuten. Unabhängig von der Frage, ob der russische Angriffskrieg auf die Ukraine noch länger dauert und noch schlimmer wird, werden von August an noch weitere Probleme dringlicher und ernster. Hier ein Überblick:
Urteil zur Beamtenbesoldung
Seit Jahren beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit der Frage, ob in mehreren Bundesländern die Bezüge der Beamten zu niedrig sind – weil das Abstandsgebot zur Grundsicherung mindestens 15 Prozent betragen muss. Schon seit Monaten wird damit gerechnet, dass demnächst ein Urteil zu Niedersachsen fallen wird. Der Terminplan des Zweiten Senates in Karlsruhe lässt das vermuten. Die Erwartungen sind nach anderen bereits getroffenen Richtersprüchen etwa zu NRW und Berlin, dass das Land wohl verlieren dürfte und zu Anpassungen der Vorschriften gezwungen wird.
Womöglich gibt es gar eine Nachzahlungspflicht. In welcher Höhe, in welchem Umfang und mit welchen Fristen – das ist alles bisher offen. Im schlimmsten Fall kommt eine Milliarden-Last auf Finanzminister Gerald Heere zu. Wie ein Damoklesschwert schwebt dieser angekündigte Karlsruher Spruch über der Landesregierung. Mit jedem Monat, der vergeht, rückt die Wahrscheinlichkeit eines womöglich für Niedersachsen bitteren Urteils näher.
So unklar wie der Termin ist auch die Frage, welche Konsequenzen das Land ziehen wird. Soll man über alle Dienstgradgruppen die Bezüge anheben, wie es etwa Thüringen jüngst getan hat? Das käme sehr teuer. Wenn man aber mit Zulagen und einzelnen Aufstufungen arbeitet, wäre das für das Land zwar günstiger, könnte aber den Abstand zwischen den verschiedenen Dienststufen einebnen – und das wäre aus Sicht des Beamtenbundes eine Versündigung an den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die laut Grundgesetz besonders geschützt sind.
Tarifverhandlungen
Der Bund und die Kommunen haben in ihrem Tarifabschluss im Frühjahr 2023 (durchschnittlich 11,5 Prozent mehr nach den Berechnungen von Verdi) eine hohe Latte angelegt. Das war auf dem Höhepunkt der Inflation. Die Verhandlungen für die Länder stehen nun im November bevor, und sie könnten hart werden. Denn die Länder stehen auf dem Standpunkt, dass sie finanziell derzeit schon stark gebeutelt sind.
Da der Personaletat ein Drittel des Gesamtaufkommens ausmacht, wirkt sich auch jede Erhöhung drastisch aus – zumal immer noch der Grundsatz gilt, die Tarifabschlüsse für Angestellte des Landes vollständig auf die Landesbeamten zu übertragen. Aber wenn Gewerkschaften und Beamtenbund sich nicht nachsagen lassen wollen, sie hätten mit den Länder-Finanzministern schlechter verhandelt als mit den Kommunal- und Bundesvertretern, dann sind erhebliche Konflikte programmiert. Ob der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) als Chef der „Tarifgemeinschaft deutscher Länder“ (TdL) die Härte und Deutlichkeit seiner Vorgänger mitbringt, darf auch bezweifelt werden.
Nord/LB
Manches deutet darauf hin, dass Niedersachsen mit einer finanziellen Kraftanstrengung die derzeitige Selbstblockade der Nord/LB-Eigentümer auflösen kann. Die Fides-Gemeinschaften, die die Anteile sämtlicher Landesbanken (ohne Nord/LB) und sämtlicher Sparkassen (ohne die niedersächsischen) tragen, halten bisher eine 24-Prozent-Sperrminorität an der Nord/LB.
Ministerpräsident Stephan Weil selbst war es, der Anfang Juni offen darüber sprach, dass man diese Kooperation mit der Familie aller Landesbanken und aller Sparkassen „einvernehmlich beenden“ könne. Das klingt so, als wolle Niedersachsen den Fides-Gesellschaften ihre Anteile abkaufen. Irgendwann drängt die Zeit, denn derzeit verhindern die Fides-Gesellschaften mit ihrem Vetorecht die Anschaffung einer nötigen neuen IT für die Nord/LB.
Da ein Abkauf der Fides-Anteile über die HannBG laufen dürfte, ist die Belastung für den Landeshaushalt überschaubar und klein. Viel Aufregung dürfte die Aktion dennoch in die Landespolitik bringen – und Aufregung ist für Banken in schwierigen Zeiten generell eher schädlich. Es darf nicht der Eindruck entstehen, hier werde in einer Notaktion eine Bank gerettet – was objektiv auch nicht so ist.
Investitionen für die Wirtschaft
Eines der wichtigsten Versprechen von SPD und Grünen im Landtagswahlkampf war, einen Innovations-Fonds und eine Landeswohnungsgesellschaft zu gründen. In beiden Fällen geht es darum, Teile aus dem Landesvermögen auszugliedern, zu verselbstständigen und den im nächsten Schritt zu schaffenden neuen landeseigenen Gesellschaften das Recht zu geben, trotz der Schuldenbremse neue Kredite aufzunehmen.
Das ist ein rechtlich schwieriger Weg, da der Verdacht aufkommt, es handele sich um Umgehungstatbestände mit dem Ziel, die Schuldenbremse auszuhebeln. Die Debatten über die Vorschläge, die im zweiten Halbjahr spruchreif werden, dürften anstrengend verlaufen. Das gilt auch für die Frage, wie die N-Bank als Förderbank mit zusätzlichem Eigenkapital verstärkt werden kann – beispielsweise mit dem Wohnraumförder-Vermögen.
Dass die Absicht besteht, die N-Bank zu stärken, dort mehr Förderprogramme anzusiedeln und sie „weiterzuentwickeln“, hat die Landesregierung kürzlich noch einmal auf eine Landtagsanfrage von Reinhold Hilbers (CDU) erklärt. Bei der Gelegenheit wurde erwähnt, die N-Bank solle einen Beitrag zur „Transformation der Wirtschaft hin zu nachhaltigen und klimaneutralen Produkten, Geschäftsmodellen und Produktionsweisen unterstützen“. Das klingt sehr anspruchsvoll.
Streit mit der Bundesregierung
Es gibt zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause mehrere Konfliktfelder zwischen der rot-grünen Landesregierung und der Bundesregierung, in der ebenfalls SPD und Grüne den Ton angeben – wenn auch unter Beteiligung der FDP. Was die Subventionen für die Wirtschaft anbelangt, um einen günstigen „Industriestrompreis“ zu sichern, dürften sich Sozialdemokraten und Grüne in der Bundesregierung einig sein.
Allerdings hat Bundesfinanzminister Christian Lindner erklärt, man könne dann ja für alle Bürger die Stromsteuer senken. Das heißt, eine gerade von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) und Umweltminister Christian Meyer (Grüne) erhoffte schnelle Lösung, für die in Hannover schon ein Konzept vorgelegt wurde, kommt wegen Meinungsverschiedenheiten in Berlin bisher nicht zustande. Beim geplanten „Gebäudeenergiegesetz“, über das in den vergangenen Wochen lange und intensiv gestritten wurde, herrschte gerade bei der niedersächsischen SPD Unmut über die Vorarbeiten der Fachleute von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Auch beim Thema Wolf, das wegen der wachsenden Population in Niedersachsen und vielen Protesten von Weidetierhaltern wegen der Wolfsrisse immer emotionaler diskutiert wird, fällt jetzt ein Gegensatz zwischen Bund und Land auf. Die Landesregierung will eine pragmatische Lösung, reibt sich aber an der sehr strikten und unbeweglichen Haltung von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Man könnte die Liste fortsetzen: Planungsbeschleunigung, Digitalisierung der Verwaltung, Unterstützung des Bundes für die Flüchtlingsunterbringung – in allen Fällen sind die Erwartungen und Hoffnungen der Landesregierung in Richtung Berlin groß, aber die Entscheidungswege dort scheinen sehr, sehr langsam zu verlaufen.
Energieversorgung
Gleich in dreifacher Hinsicht ist Niedersachsen darauf angewiesen, dass Planungen schnell laufen und Investitionen sicher sind. Erstens geht es um den Ausbau von Windkraft und Photovoltaik-Flächen. Hier liegt ein Konzept vor, das Land will auch den Landkreisen bei der Umsetzung unter die Arme greifen.
Was den Netzausbau für verschiedene Trassen angeht, sind die Einflussmöglichkeiten des Landes eher begrenzt. Dann sollen noch zentrale große Anlagen entstehen, etwa die Elektrolyse-Stationen an der Nordseeküste oder die Großinvestitionen für die Produktion von CO2-freiem Stahl in Salzgitter. Das alles kann wohl nur funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen – und die Bedingungen für die Investitionen freundlich sind. Jeder Anflug von Rezession und jede Eintrübung der Stimmung in der Wirtschaft sind Gift für solche ehrgeizigen Zukunftsprojekte.
Dieser Artikel erschien am 14.07.2023 in der Ausgabe #130.
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