Die Transformation der Autoindustrie läuft auf vollen Touren: Volkswagen will bis 2050 bilanziell CO2-neutral sein, Daimler strebt dieses Ziel schon für 2039 an. „Der Wendepunkt rückt näher, und wir werden bereit sein, wenn die Märkte bis zum Ende des Jahrzehnts vollständig auf Elektroautos umstellen“, sagt Vorstandschef Ola Källenius. Der drittgrößte Autobauer des Landes, BMW, behauptet gar von sich selbst: „Für das Jahr 2030 setzen wir uns branchenweit die höchsten Ziele.“ Denn das Unternehmen will nicht nur auf den CO2-Verbrauch auf der Straße achten, sondern auch Recycling und Effizienz in den Fokus rücken. Wie das funktionieren soll, hat BMW-Nachhaltigkeitschef Thomas Becker vor dem Industrieclub Hannover erläutert.

Industrie-Club Hannover | Foto: Christian Wilhelm Link

Nachfrage muss stimmen: „Heute heißt Nachhaltigkeit, dass wir ein gesamthaftes System betrachten – buchstäblich von der Rohstofferzeugung bis zur Nutzung des Fahrzeugs in Kundenhand bis zu der Frage, was für eine Art Strom in so ein Auto reingeht. Und das ist eine ganz andere Situation als wir sie vor fünf oder zehn Jahren hatten“, sagte Becker. Das Wettbewerbsumfeld habe sich ebenfalls geändert. Da gebe es inzwischen neue Akteure wie etwa die „großen Tech-Player“ wie Google, Apple oder Alibaba in China. „Diese Unternehmen wollen, dass die Zeit, die die Menschen im Auto verbringen, für ihre Produkte zur Verfügung steht.“ Weiterhin hätten sich der Wert von Nachhaltigkeit sowie die Kundenpräferenzen verändert. „Klimaschutz ist aus unserer Sicht eine Frage von Technologie, Innovation und Wettbewerb – und nicht von Vorschreiben, Verbieten und Beschränken von Möglichkeiten.“ Neben dem „Anbieten neuer Optionen“ gehe es aber auch um das richtige Timing: „Ein Markt für Elektromobilität entwickelt sich nicht durch Angebot alleine. Es muss mit den Faktoren auf der Nachfrageseite zusammenpassen.“ 

BMW plant bis 2030 den CO2-Ausstoß der gesamten Fahrzeugflotte um 50 Prozent zu reduzieren

Regionale Entscheidungen werden immer wichtiger: Der europäische Elektromobilitätsmarkt spiele sich derzeit zu zwei Dritteln in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland ab. „Da verkaufen wir 70 Prozent unserer Autos mit Stecker“, so Becker. Warum? „In Amsterdam gibt es ein Ladenetz, wo Sie als Privatbürger sich jederzeit darauf verlassen können, dass Sie einen öffentlichen Stecker finden, an dem Sie die ganze Nacht dranhängen können – selbst wenn Sie in einem Altbau an der Graft wohnen.“ Die Stadt Neapel habe dagegen nur 15 für einen BMW-Kunden öffentlich zugängliche Ladestationen. Daher sei Italien als Markt für E-Autos kaum interessiert. „Die Frage, wie schnell das hier geht, kann man in Europa zwar auf der Angebotsseite regulieren. Aber Sie können nicht das Kundenverhalten definieren, wenn zum Beispiel ein Bürgermeister beschließt: Ich mache dabei nicht mit.“ Dass ein regionaler Entscheidungsträger quer schieße, sei in China beispielsweise nicht möglich, weshalb der E-Mobilität dort weniger Steine im Weg liegen.

„Ein Markt wie Korea, der ein sehr klares politisches Commitment zum Thema Wasserstoff hat, ist für BMW wichtiger als Italien.“

Thomas Becker, BMW-Nachhaltigkeitschef

BMW betont Technologieoffenheit: „Es ist leicht zu sagen: Ich möchte bis 2039 klimaneutral werden. Die Nachfolger meiner Nachfolger können dann zeigen, ob sie das hingekriegt haben. Die andere Frage ist, ob Sie jedes Jahr so viel besser geworden sind, dass Sie sich auf einem Pfad bewegen, der dahinführt“, sagte Becker. BMW habe sich deswegen das konkrete Ziel gesetzt, bis 2030 den CO2-Ausstoß der gesamte Fahrzeugflotte um 50 Prozent zu reduzieren. „Das ist eine Weltzahl“, stellte der Unternehmensstratege klar und betonte: „Wir werden 2030 immer noch vielen Kunden in vielen Märkten effiziente, erstklassig hergestellte und so sauber wie möglich auf der Straße verhaltende Fahrzeuge mit Verbrennungsantrieb verkaufen.“

Nina Englert und Thomas Becker | Foto: Christian Wilhelm Link

Die BMW-Group mache deswegen keine Aussage zur Einstellung irgendeiner Antriebstechnologie, sondern werde im Gegenteil auch auf die Brennstoffzelle setzen. Becker: „Ein Markt wie Korea, der ein sehr klares politisches Commitment zum Thema Wasserstoff hat, ist für BMW wichtiger als Italien.“ Auch große Märkte wie Japan oder China würden sich sicher nicht nach Brüssel richten, sondern ihren eigenen Kurs bei der Antriebstechnologie beschließen. „Wir glauben nicht, dass es in China in fünf Jahren nur noch elektrische Autos geben wird. Diese Frage ist da noch politisch offen.“

BMW-Nachhaltigkeitschef setzt den Fokus stärker auf das Thema Effizienz

Lieferketten werden CO2-intensiver: Wie aber will BMW seine ambitionierten Umweltziele erreichen? Dazu verweist Becker auf den aktuellen CO2-Fußabdruck eines durchschnittlichen BMW, was einem Fahrzeug der 3er-Reihe entspricht. Von der Herstellung bis zur Verschrottung/Recycling werden hier 52 Tonnen Kohlenstoffdioxid verursacht. „Ungefähr zehn Tonnen CO2 entstehen bei der Lieferkette. Die entstehen bei der Stahl- und Kunststoffproduktion und bei allem, was in das Auto reingeht“, erläuterte Becker und verwies darauf, dass ein durchschnittlicher deutscher Autofahrer auf der Straße im Jahr zwei Tonnen CO2 verursacht. „Das heißt, das Auto ist bereits vier bis fünf Jahre gefahren, bevor wir es zusammenbauen.“ Und beim neuesten Elektrofahrzeug, dem BMW i4 BEV, sind es sogar noch ein paar Jahre mehr. „Weil Sie einfach eine Batterie da drin haben, die alleine schon sechs bis sieben Tonnen CO2 in der Herstellung erzeugt“, erläuterte Becker. Der EU-Strom-Mix sorge allerdings dafür, dass der CO2-Fußabdruck des i4 BEV bei insgesamt 29 Tonnen liegt. „Das ist besser als heute. Und deswegen ist in Europa die Entscheidung für ein elektrisches Auto eine Entscheidung, die Klimapolitisch richtig ist“, so Becker. Doch für das Erreichen der Klimaziele von Paris sei das nicht genug. „Wir müssen eine ganze Menge machen, wenn wir verhindern wollen, dass im Jahr 2028/29 die CO2-Emmissionen unserer Lieferketten höher sind als die am Auspuff. Das ist nämlich der andere Teil von Elektrifizierung“, mahnte der BMW-Manager.

„Wir werden zukünftig daran gemessen, wie wir mit Rohmaterial umgehen.“

Thomas Becker, BMW-Nachhaltigkeitschef

Recycling wird noch wichtiger: Der BMW-Nachhaltigkeitschef hält es für unumgänglich, viel mehr Wert auf Effizienz zu legen. Nicht jedes E-Auto benötige eine große Batterie mit riesiger Reichweite. „Die gleichen, die heute sagen: ‚Ihr baut Spritfresser‘, werden dann sagen: ‚Ihr baut Stromfresser‘.“ Der Stromverbrauch pro Kilometer werde immer relevanter, so Becker. Gleichzeitig müsse die Fahrzeugproduktion selbst umweltfreundlicher werden.  „Wir werden zukünftig daran gemessen, wie wir mit Rohmaterial umgehen“, sagte er. Heute spiele das zwar noch kaum eine Rolle. „Doch viele Debatten kreisen bereits um die Frage: Wie können wir den Bedarf an Primärmaterial dadurch verringern, dass wir Stoffkreisläufe besser schließen.“ Da viele Rohstoffe auch immer teurer werden, sei die Wiederverwertung von Materialien zudem wirtschaftlich sinnvoll. „Gerade bei Aluminium sparen Sie drei Viertel des CO2, wenn sie die extrem energieintensive erste Produktionsstufe nicht mehr brauchen, sondern direkt recyclen können – vorausgesetzt, Sie kriegen eine Qualität, die fürs Auto reicht.“ 

Thomas Becker beim Industrie-Club Hannover | Foto: Christian Wilhelm Link

BMW will bis 2030 von unter 30 Prozent Sekundärmaterial im Fahrzeug auf über 50 Prozent kommen. Schon heute gebe es zwar etwa Guss-Alu-Teile, die zur Hälfte aus Recyclat bestehen. „Aber beim Kunststoff sind wir einstellig. Denn hier kommen Mixe aus der Entsorgungswirtschaft, die nicht das Qualitätsniveau erreichen, aus dem Sie dann eine Frontschürze für ein Auto machen können“, sagte Becker. Recyling und speziell auch das chemische Recycling ist für den Automobilkonzern deshalb ein ganz wichtiges Zukunftsthema, das auch politische Implikationen hat. Bisher würden 30 Prozent der europäischen Autos nicht auf dem Kontinent recycelt, was sich laut Becker vermutlich ändern wird. „Es wird ein größeres Interesse geben, sich die Werkstoffe zu sichern, die da drinstecken“, prophezeite er. Zudem setzt BMW auf grünen Strom. „Wir haben unsere Batterielieferanten, egal ob die aus China oder Europa kommen, vertraglich pflichtet, uns mit erneuerbarer Energie zu versorgen.“ Für den BMW-Nachhaltigkeitschef steht nämlich fest: „Das Beste ist Sekundärmaterial mit Grünstrom verarbeitet. Das ist das Ziel, wo wir hinmüssen.“