Wer hat schon Lust, sich um den Müll des Atom-Zeitalters zu kümmern?
In wenigen Wochen wird in den Kirchen landauf, landab wieder die frohe Botschaft verkündet. Zu Weihnachten wird aus der Bibel vorgelesen, was die himmlischen Heerscharen den verängstigten Hirten in dunkler Nacht zuriefen: „Fürchtet Euch nicht!“ Dabei war das, was da vor mehr als 2000 Jahren passiert sein soll, ganz ungeheuerlich, gewaltig und kaum zu fassen. Kaum zu fassen für den menschlichen Verstand ist auch das, was nun am vergangenen Freitag in der Göttinger Paulinerkirche verhandelt wurde: die sichere Einlagerung von hochradioaktivem Atommüll für nicht weniger als die nächste eine Million Jahre.
Um sich diese Zeitspanne zu vergegenwärtigen, hilft vielleicht nur der Blick zurück. Vor etwa einer Million Jahre fing die Ur-Menschheit so ganz langsam an, Europa überhaupt erst zu besiedeln. Geht man noch eine halbe Million Jahre weiter in die Vergangenheit, war da nur Wasser, wo heute unser Kontinent ist. Wer weiß schon, wie das heutige Deutschland eine Million Jahre in der Zukunft aussehen wird?
Wahrlich biblische Dimensionen also, über die nun gesprochen wird. In der Paulinerkirche wird es an Weihnachten derweil keinen Gottesdienst mehr geben, denn sie ist schon längst säkularisiert und Teil der Universitätsbibliothek geworden. Doch die Botschaft, die von der Veranstaltungsreihe des Umweltministeriums, die vergangene Woche in der Universitätsstadt Station machte, ausgehen soll, lautet ebenfalls: Fürchtet euch nicht, wir haben das im Griff. Die Gewissheit darüber soll aber keineswegs der christliche Glaube geben – sondern die Wissenschaft. In jedem Fall also ist die frühere Kirche, die heute Wissensschätze beherbergt, ein geeigneter Ort, um die Frage zu diskutieren, wie es gelingen soll, den Atommüll von gestern und heute auch im Morgen noch sicher verschließen zu können.
„Eigentlich müsste man meinen, dass wir mit den Fachleuten von heute das Problem lösen können.“
Doch obwohl die Einlagerungsdauer schier unendlich scheint, drängt jetzt die Zeit. Es bleiben nicht mehr ganz zehn Jahre, bis der Bundestag eine folgenschwere und lang vorbereitete Entscheidung treffen muss: Wo soll das Endlager für den deutschen Atommüll stehen? Dieser Tage gehen wieder ein paar Meiler vom Netz. Das Atomzeitalter neigt sich zumindest in Deutschland dem Ende zu. Aber der Müll wird bleiben und weiter strahlen. Deshalb muss er sicher verstaut werden. Eine überirdische Lagerstätte kommt dafür nicht infrage. Das Lager muss untertage sein, und es muss neu angelegt werden. Ein altes Bergwerk wird man nicht noch einmal zweckentfremden, die Erfahrungen damit waren keine guten. Bis dieses Lager dann aber endlich errichtet ist und befüllt werden kann, wird es dann noch einmal eine ganze Zeit dauern.
Die Frage, die sich nun immer mehr Fachleute und Politiker stellen, lautet: Werden wir in den kommenden Jahrzehnten, vielleicht für das nächste Jahrhundert überhaupt noch genug Atom-Experten haben, die sich mit der Materie auskennen und den Prozess der Fertigstellung und Einlagerung der atomaren Abfälle begleiten können? „Eigentlich müsste man meinen, dass wir mit den Fachleuten von heute das Problem lösen können“, sagte Umweltminister Lies. Doch der Weg sei noch lang. „Es wird nahezu bis zum Ende des Jahrhunderts notwendig sein, den Einlagerungsprozess fortsetzen. Und danach geht es noch weiter. Wie gelingt uns das, obwohl die Kernenergie doch abgeschlossen ist?“
Marcus Frenzel (Foto links) ist einer von denen, die zumindest in den kommenden Jahrzehnten bei diesem Thema den Hut aufhaben könnten. Der junge Mann studiert in Clausthal-Zellerfeld „Management und Endlagerung radioaktiver Abfälle“, schreibt dazu gerade seine Masterarbeit und war bei der Runde in der Paulinerkirche virtuell zugeschaltet. Bei der Diskussionsrunde mit Lies, dem Göttinger Uni-Präsidentin Prof. Metin Tolan, Steffen Kanitz von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) und Prof. Klaus Röhlig, dem Vorsitzenden der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Endlagerforschung (DAEF), berichtete Frenzel allerdings davon, dass sein Studiengang an der Technischen Universität schon recht ausgedünnt sei.
Zu den Fragen, mit denen sich Frenzel und seine Kommilitonen beschäftigen, geht es auch um die Suche nach dem richtigen Wirtsgestein oder die geeigneten Container. Doch diese Frage wird in den kommenden Jahren ohnehin beantwortet, zumindest nach wissenschaftlicher Empfehlung politisch entschieden. Frenzel geht aber auch der Frage nach, ob und wie in Zukunft der Standort eines atomaren Endlagers gekennzeichnet sein muss. Aus heutiger Sicht wirkt diese Frage skurril. Sobald der Bundestag entscheidet, wo das Endlager stehen wird, wird sich ziemlich sicher Protest regen – noch bevor der erste Bagger angerollt kommt. Doch irgendwann wird sich die Bevölkerung wohl damit abfinden, wegziehen und – vergessen.
Frenzel berichtete am Freitag, dass er die Thesen vom Vergessen des Endlagerstandorts für sehr wahrscheinlich hält. Und er glaubt auch nicht daran, dass es sinnvoll wäre, Warnschilder aufzustellen. Er begründet dies mit einem simplen historischen Beispiel: Als die Ägypter etwa 2500 v. Chr. Die Pyramiden von Gizeh erbauten, gab es dort auch allerhand Inschriften. Es sollte stets für jedermann ersichtlich sein, worum es sich hier handelte. Doch die Inschriften verblassten ebenso wie das Wissen darum, was sie bedeuteten. Kann es also ein Kennzeichen geben, dass unseren Nachfahren deutlich macht, dass sie genau an jener Stelle, wo wir nun das Endlager errichten, keinen Brunnen bohren sollen? Die Frage muss weiterbearbeitet werden – doch von wem, jenseits von Frenzel?
„Es gibt insgesamt wenig Interesse an Kerntechnik. Und bei denen, die sich interessieren, ist es nicht sexy, die Abfälle unter die Erde zu bringen.“
Für die Teilnehmer der Diskussionsrunde in der Paulinerkirche ist klar, dass sich am Image dieses Berufsfeldes, das für die Endlagerung gebraucht wird, dringend etwas ändern muss. „Dass da eine Lebensaufgabe auf die Menschen zukommt, wird nicht so gesehen“, sagte etwa Prof. Röhlig von der DAEF. „Es gibt insgesamt wenig Interesse an Kerntechnik. Und bei denen, die sich interessieren, ist es nicht sexy, die Abfälle unter die Erde zu bringen.“
Auch Umweltminister Lies möchte die Aufgabe „sexy“ machen. Deshalb, so sagt er, müsse ihre Bedeutung herausgestellt werden. „Man muss die Ebene der Aufgabe definieren“, sagte Lies – und stellte die Aufgabe, den Atommüll endzulagern auf eine Stufe mit dem Klimaschutz oder dem Kampf gegen das Artensterben. „Man muss denen, die die Aufgabe wahrnehmen, ein Bild geben. Sie sind die Problemlöser von heute und die Zukunftsgestalter von morgen.“ Das genaue Berufsfeld, das dafür künftig gebraucht wird, gebe es derweil heute noch gar nicht. Es wird so neu sein wie das Projekt als solches. Lies wirbt dafür, diese vielfältige Aufgabenstellung durch ein interdisziplinäres Studium zu bearbeiten, an dessen Ende eine Berufsbezeichnung stehen wird, die heute noch keiner so genau kennt.
„Wer sagt uns heute, dass man mit 100 Jahren Forschung nicht mehr erreichen kann, als mit einer Million Jahren einlagern?“
Der Universitätspräsident Prof. Tolan gab zu bedenken, dass der Ausstieg aus der Atomkraft bedeutete, dass man zum ersten Mal Forschung in einem Gebiet eingestellt habe. Für ihn offensichtlich ein Fehler. „Wer sagt uns heute, dass man mit 100 Jahren Forschung nicht mehr erreichen kann, als mit einer Million Jahren einlagern?“, fragte Prof. Tolan rhetorisch und warb dafür, entschieden weiter zu forschen.
Das sieht auch Kanitz von der BGE so. Er widersprach Prof. Tolan bei der Annahme, das passiere nicht. Es gehe darum, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, sagte Kanitz. Das Gesetz geben deutlich vor, dass der Prozess zur Endlagerung vorangetrieben werden muss – dass man aber zeitgleich auch immer rechts und links schauen müsse, ob es nicht auch Alternativen gibt. Wenn das Endlager dereinst errichtet und befüllt ist, wird es deshalb auch zuerst einmal verschlossen. Für die dann folgenden 100 Jahre soll es aber möglich bleiben, das Bergwerk wieder hochzufahren und die Atommüll-Behälter wieder herauszuholen, beispielsweise um die atomaren Inhalte durch neuste Technologien ungefährlich zu machen.
Damit diese Technologien entwickelt werden können, hofft Prof. Tolan auf 50 neue Kernphysik-Professuren. Prof. Röhlig freut derweil allein schon, dass die Forschungsprojekte, die die BGE ausschreibt, stets an eine Promotion geknüpft werden. Und so endet die Diskussionsrunde recht versöhnlich mit der erhofften Botschaft: Irgendwie kriegen wir das schon hin.
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