21. Aug. 2019 · 
Inneres

Wer den Namen Hindenburg verdeckt, blendet hannoversche Geschichte aus

Soll man die „Hindenburgstraße“ in Hannovers Oststadt umbenennen? Dieses Thema beschäftigt seit mehreren Jahren die Stadtpolitik in der Landeshauptstadt, und der Stadtbezirksrat Mitte, für solche Fragen zuständig, startete erst vor wenigen Wochen, Ende April, ein Umbenennungsverfahren. Im ersten Schritt werden die Einwohner aufgefordert, Namensvorschläge zu unterbreiten. Weibliche Namen sollten „vorrangig berücksichtigt werden“, heißt es in einer Mitteilung der Stadt. Kluge Zeitgenossen, die am hergebrachten Begriff festhalten wollen, haben schon einen geschickten Plan ausgeheckt: Man solle Hindenburgs Frau Gertrud als Namensgeberin vorschlagen. Sie war aus heutiger Sicht eine moderne Frau, trat selbstbewusst und temperamentvoll auf, außerdem hatte sie viele politische Kontakte zu demokratischen Politikern und steht keinesfalls im Ruf, die anti-republikanische und pro-monarchische Haltung ihres Mannes geteilt zu haben. Schon 1921, mit 60 Jahren, starb sie an Krebs – lange Zeit, bevor ihr Mann eine unselige Rolle als zweiter Reichspräsident in der Weimarer Republik übernahm.
Mit der Ehrung für Hindenburg hatte die Stadt schon zu dessen Lebzeiten seine Probleme.
Tatsächlich hat es etwas für sich, wenn Gertrud von Hindenburg anstelle von Paul von Hindenburg künftig die Namensgeberin der Straße ist – dann könnte man sich nämlich die Umwidmung auf den Straßenschildern, den Adressbucheinträgen, den Visitenkarten und Kopfbögen der in der Straße ansässigen Firmen und Institutionen sparen. Und es sind viele Anlieger dort. Aus der „Hindenburgstraße“ würde die „Hindenburgstraße“. Diejenigen in der Landeshauptstadt, die das Ziel verfolgen, belastete Personen der Zeitgeschichte von den Straßen- und Platz-Namen zu streichen, hätten einen Erfolg verbucht, genauso wie jene, die genau diese Aktion als „Bildersturm“ ablehnen und am bewährten Namen festhalten wollen. Aber wäre das wirklich eine kluge Lösung? Sie wäre es wohl nicht, denn damit wäre die Umbenennung tatsächlich vorgenommen worden, auch wenn sie sich äußerlich nicht abbilden würde. Gute Argumente sprechen aber gerade dafür, an diesem Namen unbedingt festzuhalten. Nun gibt es oder gab es in vielen mittleren und auch größeren  Städten in Deutschland an Hindenburg erinnernde Straßen oder Plätze. Viele Namen bestehen seit vielen Jahrzehnten, es sind gewohnte und überlieferte Betitelungen. In so manchen Gemeinden in der früheren DDR verläuft noch eine „Karl-Liebknecht-Straße“, nicht zu schweigen von den vielen Routen über die „Karl-Marx-Straße“, das ist auch im Westen so. Doch hier gibt es einen Unterschied. Abgesehen etwa von Leipzig, Berlin, Trier oder Kreuznach, wo Liebknecht und Marx gelebt und gewirkt haben, sind die Benennungen oft zu ihrer Zeit eine politische Aussage der jeweils Mächtigen gewesen, keine wirkliche Erinnerung an konkrete geschichtliche Ereignisse. Das ist in Hannover mit Hindenburg anders, und leider wird dieser Zusammenhang von den Befürwortern der Umbenennung immer vergessen oder absichtlich gering geschätzt.

Auch über ein „Hindenburg-Stadion“ wurde diskutiert

Vor wenigen Wochen wurde in Hannover ein umfangreiches Buch des Historikers Gerhard Schneider vorgestellt. Es trägt den Titel „Hindenburg in Hannover“ und beschreibt die Zeit zwischen 1919 und 1925, in der der spätere Reichspräsident (und bis 1921 seine Frau Gertrud) in Hannover lebten. Eigentlich war der Generalfeldmarschall, der damals nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit 72 Jahren einen Ruhesitz suchte, nach Hannover zurückgekehrt – denn er war hier schon früher stationiert gewesen, war in Hannover als junger Offizier 1868 vom damaligen König Wilhelm erstmals direkt angesprochen worden, dem späteren deutschen Kaiser Wilhelm I. 1913 dann, als das hannoversche Rathaus eingeweiht worden war, lud dessen Enkel Kaiser Wilhelm II. Hindenburg hier zu einem Frühstück ein, schreibt Schneider. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wohnte Hindenburg dann auch in Hannover. In dieser Stadt habe Hindenburg, schreibt der Historiker, nach der Niederlage von 1918 immer noch als der „Held von Tannenberg“ gegolten, als Sieger jener Schlacht in der Anfangszeit des Krieges, die sich in die Erinnerung der Menschen eingegraben hatte. Hindenburgs spätere Versäumnisse und Fehler in der Kriegsführung, die Verlängerung der Kampfhandlungen und seine Verantwortung als Militärdiktator, waren nicht bekannt oder wurden ausgeblendet. Dass er als Erfinder der Dolchstoßlegende einen entscheidenden Anteil an der antidemokratischen Gesinnung in der Weimarer Republik hatte, war damals, 1919, noch nicht sichtbar. So wurde ihm am 4. Juli 1919, vor gut 100 Jahren, ein triumphaler Empfang am Hauptbahnhof bereitet – er sei, so sagt Schneider, trotz der deutschen Niederlage wie ein erfolgreicher Feldherr gefeiert worden. Vielleicht, weil es das Bedürfnis der Menschen gab, den großen alten grauhaarigen Mann wie einen Monarchen zu würdigen? Als eine Art überparteiliche, großväterliche und Segen spendende Instanz, möglicherweise ein „Ersatzkaiser“? Mit der Ehrung für Hindenburg hatte die Stadt schon zu dessen Lebzeiten seine Probleme, Vorbehalte herrschten seinerzeit bereits bei den Sozialdemokraten, die nie ein entspanntes Verhältnis zum früheren Feldmarschall hatten – er hatte sie auch gemieden, und Hindenburg stand zudem bei seinen zahlreichen Auftritten vor Soldaten-Kameradschaften stets im Verdacht, im Grunde die anti-republikanische Stimmung zu verstärken. Trotzdem wurde nach seinem Tod über ein Hindenburg-Museum diskutiert (dessen Aufbau dann die Nazis verhinderten), über ein Hindenburg-Stadion mit Hindenburg-Kampfbahn (heute Eilenriede-Stadion) und über die Hindenburg-Schleuse am Mittellandkanal (heute Schleuse Anderten). Das alles zeigt, wie besonders doch die Beziehung der Hannoveraner zu ihrem damals berühmtesten Einwohner war – und dass niemand behaupten kann, der umstrittene Politiker habe damals für die heutige niedersächsische Landeshauptstadt keine Bedeutung gehabt. Einen Ort, wo dies dargestellt, abgebildet oder gar aufbereitet wird, gibt es bisher jedoch nicht. Stattdessen dreht sich die Debatte darum, ob man mit dem Namen auch die letzten Fetzen der Erinnerung tilgen sollte. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #143.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail
Alle aktuellen MeldungenAktuelle Beiträge
Olaf Lies wird Ministerpräsident. Der Wechsel an der Spitze wird auch mit Veränderungen im Kabinett einhergehen. | Foto: Link
Lies will den IT-Planungsrat entmachten
15. Mai 2025 · Klaus Wallbaum1min
Sebastian Lechner (CDU) spricht im Landtag. | Foto: Plenar-TV/Screenshot: Link
Lechner zeigt Lies die kalte Schulter: Kein Vortrag des Kandidaten vor der CDU-Fraktion
14. Mai 2025 · Klaus Wallbaum3min
Arbeitgeberforum 2025 im Schloss Herrenhausen
Künstliche Intelligenz als neuer Kollege: Warum jeder Mitarbeiter jetzt führen lernen muss
15. Mai 2025 · Christian Wilhelm Link4min