22. Feb. 2018 · 
Inneres

Wenn Bürgermeister Opfer werden: Was soll man gegen wachsende Gewaltbereitschaft tun?

Es war nur mal so eine Anfrage, wie es sie täglich zigfach gibt. Stefan Wittkop, Beigeordneter des Städtetages, hakte vergangene Woche routinemäßig bei den Bürgermeistern seines Verbandes nach, wie es denn bei ihnen vor Ort um Wutausbrüche und Gewaltaktionen gegen Kommunalpolitiker steht. Die Reaktion war überwältigend. „Auf meinem Computer häuften sich die Mails“, berichtet er, „das war erschreckend und alarmierend“. Fast aus jeder Stadt Niedersachsens kamen aktuelle Hinweise über Ausschreitungen und Beleidigungen. Da war ein Bürgermeister, dessen Autoscheibe regelmäßig eingeworfen wird. Ein anderer fand unlängst ein totes Kaninchen vor seiner Haustür. Drohanrufe und -mails gehörten fast schon zum Alltag. Besonders Mitarbeiter von Jobcentern, Ausländerbehörden, Sozial-, Jugend-, Ordnungs- und Veterinärämtern würden oft beschimpft, belästigt oder angespuckt, berichtet Wittkop, oft auch deren Familienangehörige.

Müssen wir cool bleiben, um nicht angegriffen zu werden?

Die CDU-Landtagsfraktion hat dazu gestern Experten angehört. Was soll man tun gegen die wachsende Gewalt gegen Amtsträger, vor allem Kommunalpolitiker und -beamte? Wie sollen die Betroffenen reagieren? „Müssen wir cool bleiben, weil wir sonst als angreifbar wirken?“, fragt Fraktionsvize Uwe Schünemann. Uwe Kolmey, Präsident des Landeskriminalamtes, rät unmissverständlich: „Jede Belästigung sollte man anzeigen.“

Empfehlungen schon vor Jahren ausgearbeitet

Aber sind Polizei und Justiz nicht so getrimmt, dass sie dem gar nicht weiter nachgehen und meinen, Personen in der Öffentlichkeit müssten eben mehr aushalten als andere? Kolmey widerspricht und erläutert, dass das LKA schon vor Jahren Empfehlungen zum Umgang mit solchen Problemen ausgearbeitet hat. „Ich bekenne, dass ich davon bis eben nichts wusste – viele andere sicher auch nicht“, antwortet darauf der CDU-Innenexperte Sebastian Lechner. Und Jens Lehmann, Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle, schildert einen Mentalitätswandel bei den Sicherheitsbehörden: „Es ist nicht mehr so, dass Polizei und Justiz versuchen würden, solche Ereignisse kleinzureden.“ Die Situation, sagt er, sei inzwischen viel zu angespannt.

Erschossen, wegen Ärger um Gartenzaun

Aus den vielen Fällen, die täglich geschehen, ragt einer heraus, der noch Jahre später viele Landtagspolitiker und Teilnehmer der CDU-Diskussionsrunde persönlich berührt. Im April 2013 wurde der Hamelner Landrat und vormalige LKA-Direktor Rüdiger Butte in seinem Büro von einem aufgebrachten Bürger erschossen, der sich über eine Auflage zu seinem Gartenzaun geärgert hatte. Schünemann und Kolmey standen Butte durchaus nah, Kolmey und er waren Kollegen. Der SPD-Innenpolitiker Ulrich Watermann, der auch bei der CDU-Veranstaltung dabei ist, war mit Butte befreundet. Er hatte mit ihm ein paar Wochen vor der Ermordung ein längeres Gespräch über die Gefahren, die Kommunalpolitikern begegnen können. Und Watermann kannte auch den Mörder, der sich nach der Tat erschossen hatte. Einige Jahre vor Buttes Tod war der Mann in der SPD-Geschäftsstelle aufgetreten und hatte wütende Verbalattacken ausgesprochen – auch damals ging es schon um den Zaun.

Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen

Immer noch sei er „tief betroffen“, sagt Watermann und rät zu mehr Aufmerksamkeit und mehr Respekt: Wer von Bedrohungen, Stalking oder tätlichen Angriffen betroffen sei, brauche professionelle Hilfe. Man dürfe nicht allein gelassen bleiben. Außerdem solle man auf den Umgangston aufpassen, sowohl in sozialen Netzwerken, aber auch in den Medien. Die Art, wie Politiker in Satireshows verulkt und vorgeführt werden, finde er „schon lange nicht mehr lustig“, sagt der SPD-Abgeordnete. Das hinterlasse Spuren und senke Hemmschwellen ab.

Darf Bürgermeister "Verbrecher" genannt werden?

Was soll man nun tun, wenn man plötzlich Zielscheibe von Angriffen wird? Watermann selbst hat erlebt, dass Kritik an seiner Politik auch bei seinen Töchtern in der Schule ankam. Der CDU-Innenpolitiker Thomas Adasch berichtet von seiner Frau, die in ihrer Arztpraxis wegen der Politik ihres Mannes beschimpft worden sei. Und Hubert Meyer (Landkreistag) findet es ebenso wie Marco Trips (Städte- und Gemeindebund) merkwürdig, dass der Göttinger Oberbürgermeister wegen einer Abschiebung sogar als „Verbrecher“ bezeichnet werden durfte, ohne dass die Justiz eingeschritten wäre. Hier bremst Oberstaatsanwalt Lehmann: „Verbrecher“ sei ein durch die Meinungsfreiheit geschützter Begriff, man dürfe ihn verwenden.

Fehlende Konsequenzen können ermuntern

Nach Ansicht der Kriminologin Prof. Ute Haas, die den Landespräventionsrat leitet, geht es auch weniger um die Einzelfälle und mehr um einen Trend. Vor allem plage sie ein zunehmendes Missverhältnis, das vielen Menschen Unbehagen bereite: Einerseits würden immer mehr Menschen wagen, üble Beschimpfungen im Netz auch unter ihrem echten Namen zu veröffentlichen – und sie spürten dann, dass dies gar keine Konsequenzen für sie hat. Dies könne die Täter noch mehr ermuntern und bedrohten Amtsträger umso mehr einschüchtern, und dies dürfe nicht geduldet werden. „Das ist ein dramatischer Zustand“, meint Haas. Besser wäre es ihrer Meinung nach, in solchen Fällen „einen Aufstand der Anständigen“ in Gang zu setzen – also etwa Sympathiebekundungen mit jemandem, der im Netz angegriffen wird.

Sollen Strafen härter werden?

Haas empfiehlt zudem einen „Opferbeauftragten“, der Menschen zur Seite steht, die zur Zielscheibe wüster Angriffe werden. „Das sollte auch jemand sein, der Kommunalpolitikern auf Wunsch auch Hilfestellungen bietet“, schlägt CDU-Mann Lechner vor. Auch über schärfere Gesetze wurde gestern in der CDU-Anhörung gesprochen. Das Strafgesetzbuch sieht bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte besonders harte Strafen vor. Könnte man das nicht auch auf alle Kommunalbeamten und auch ehrenamtliche Kommunalpolitiker ausweiten? Oberstaatsanwalt Lehmann rät von einer Änderung ab, in den allgemeinen Bestimmungen aber könne der Begriff „Vollstreckungsbeamte“ weiter ausgelegt werden. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #37.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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