Wenn Bürgermeister Opfer werden: Was soll man gegen wachsende Gewaltbereitschaft tun?
Es war nur mal so eine Anfrage, wie es sie täglich zigfach gibt. Stefan Wittkop, Beigeordneter des
Städtetages, hakte vergangene Woche routinemäßig bei den Bürgermeistern seines Verbandes nach, wie es
denn bei ihnen vor Ort um Wutausbrüche und Gewaltaktionen gegen Kommunalpolitiker steht. Die
Reaktion war überwältigend. „Auf meinem Computer häuften sich die Mails“, berichtet er, „das war
erschreckend und alarmierend“. Fast aus jeder Stadt Niedersachsens kamen aktuelle Hinweise über
Ausschreitungen und Beleidigungen. Da war ein Bürgermeister, dessen Autoscheibe regelmäßig
eingeworfen wird. Ein anderer fand unlängst ein totes Kaninchen vor seiner Haustür. Drohanrufe und -mails
gehörten fast schon zum Alltag. Besonders Mitarbeiter von Jobcentern, Ausländerbehörden, Sozial-,
Jugend-, Ordnungs- und Veterinärämtern würden oft beschimpft, belästigt oder angespuckt, berichtet
Wittkop, oft auch deren Familienangehörige.
Müssen wir cool bleiben, um nicht angegriffen zu werden?
Die CDU-Landtagsfraktion hat dazu gestern Experten angehört. Was soll man tun gegen die wachsende
Gewalt gegen Amtsträger, vor allem Kommunalpolitiker und -beamte? Wie sollen die Betroffenen
reagieren? „Müssen wir cool bleiben, weil wir sonst als angreifbar wirken?“, fragt Fraktionsvize Uwe
Schünemann. Uwe Kolmey, Präsident des Landeskriminalamtes, rät unmissverständlich: „Jede Belästigung
sollte man anzeigen.“
Empfehlungen schon vor Jahren ausgearbeitet
Aber sind Polizei und Justiz nicht so getrimmt, dass sie dem gar nicht weiter
nachgehen und meinen, Personen in der Öffentlichkeit müssten eben mehr aushalten als andere? Kolmey
widerspricht und erläutert, dass das LKA schon vor Jahren Empfehlungen zum Umgang mit solchen
Problemen ausgearbeitet hat. „Ich bekenne, dass ich davon bis eben nichts wusste – viele andere sicher
auch nicht“, antwortet darauf der CDU-Innenexperte Sebastian Lechner. Und Jens Lehmann, Staatsanwalt
bei der Generalstaatsanwaltschaft in Celle, schildert einen Mentalitätswandel bei den Sicherheitsbehörden:
„Es ist nicht mehr so, dass Polizei und Justiz versuchen würden, solche Ereignisse kleinzureden.“ Die
Situation, sagt er, sei inzwischen viel zu angespannt.
Erschossen, wegen Ärger um Gartenzaun
Aus den vielen Fällen, die täglich geschehen, ragt einer heraus, der noch Jahre später viele
Landtagspolitiker und Teilnehmer der CDU-Diskussionsrunde persönlich berührt. Im April 2013 wurde der
Hamelner Landrat und vormalige LKA-Direktor Rüdiger Butte in seinem Büro von einem aufgebrachten
Bürger erschossen, der sich über eine Auflage zu seinem Gartenzaun geärgert hatte. Schünemann und
Kolmey standen Butte durchaus nah, Kolmey und er waren Kollegen. Der SPD-Innenpolitiker Ulrich
Watermann, der auch bei der CDU-Veranstaltung dabei ist, war mit Butte befreundet. Er hatte mit ihm ein
paar Wochen vor der Ermordung ein längeres Gespräch über die Gefahren, die Kommunalpolitikern
begegnen können. Und Watermann kannte auch den Mörder, der sich nach der Tat erschossen hatte.
Einige Jahre vor Buttes Tod war der Mann in der SPD-Geschäftsstelle aufgetreten und hatte wütende
Verbalattacken ausgesprochen – auch damals ging es schon um den Zaun.
Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen
Immer noch sei er „tief betroffen“, sagt Watermann und rät zu mehr Aufmerksamkeit und mehr Respekt: Wer von Bedrohungen, Stalking oder tätlichen Angriffen betroffen sei, brauche professionelle Hilfe. Man dürfe nicht allein gelassen bleiben. Außerdem solle man auf den Umgangston aufpassen, sowohl in sozialen Netzwerken, aber auch in
den Medien. Die Art, wie Politiker in Satireshows verulkt und vorgeführt werden, finde er „schon lange
nicht mehr lustig“, sagt der SPD-Abgeordnete. Das hinterlasse Spuren und senke Hemmschwellen ab.
Darf Bürgermeister „Verbrecher“ genannt werden?
Was soll man nun tun, wenn man plötzlich Zielscheibe von Angriffen wird? Watermann selbst hat erlebt,
dass Kritik an seiner Politik auch bei seinen Töchtern in der Schule ankam. Der CDU-Innenpolitiker Thomas
Adasch berichtet von seiner Frau, die in ihrer Arztpraxis wegen der Politik ihres Mannes beschimpft worden
sei. Und Hubert Meyer (Landkreistag) findet es ebenso wie Marco Trips (Städte- und Gemeindebund)
merkwürdig, dass der Göttinger Oberbürgermeister wegen einer Abschiebung sogar als „Verbrecher“
bezeichnet werden durfte, ohne dass die Justiz eingeschritten wäre. Hier bremst Oberstaatsanwalt
Lehmann: „Verbrecher“ sei ein durch die Meinungsfreiheit geschützter Begriff, man dürfe ihn verwenden.
Fehlende Konsequenzen können ermuntern
Nach Ansicht der Kriminologin Prof. Ute Haas, die den Landespräventionsrat leitet, geht es auch weniger
um die Einzelfälle und mehr um einen Trend. Vor allem plage sie ein zunehmendes Missverhältnis, das
vielen Menschen Unbehagen bereite: Einerseits würden immer mehr Menschen wagen, üble
Beschimpfungen im Netz auch unter ihrem echten Namen zu veröffentlichen – und sie spürten dann, dass
dies gar keine Konsequenzen für sie hat. Dies könne die Täter noch mehr ermuntern und bedrohten
Amtsträger umso mehr einschüchtern, und dies dürfe nicht geduldet werden. „Das ist ein dramatischer
Zustand“, meint Haas. Besser wäre es ihrer Meinung nach, in solchen Fällen „einen Aufstand der
Anständigen“ in Gang zu setzen – also etwa Sympathiebekundungen mit jemandem, der im Netz
angegriffen wird.
Sollen Strafen härter werden?
Haas empfiehlt zudem einen „Opferbeauftragten“, der Menschen zur Seite steht, die zur Zielscheibe wüster Angriffe werden. „Das sollte auch jemand sein, der Kommunalpolitikern auf Wunsch
auch Hilfestellungen bietet“, schlägt CDU-Mann Lechner vor. Auch über schärfere Gesetze wurde gestern in der CDU-Anhörung gesprochen. Das Strafgesetzbuch sieht
bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte besonders harte Strafen vor. Könnte man das nicht auch auf
alle Kommunalbeamten und auch ehrenamtliche Kommunalpolitiker ausweiten? Oberstaatsanwalt
Lehmann rät von einer Änderung ab, in den allgemeinen Bestimmungen aber könne der Begriff
„Vollstreckungsbeamte“ weiter ausgelegt werden. (kw)