Im Fall der Büroleiterin von Ministerpräsident Stephan Weil, Aynur C., gibt es neue Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in der Staatskanzlei. Die damals 32-jährige Angestellte ist im Februar 2023 offenbar unter Missachtung der einschlägigen Vorschriften in den „höheren Dienst“, nämlich mit E15, eingruppiert worden. Dies hätte aber, wenn man ihren Ausbildungsweg intensiv geprüft hätte, nicht passieren dürfen. Wie Recherchen des Politikjournals Rundblick ergeben, ist von der Staatskanzlei bei der Überprüfung des Lebenslaufs von C. das komplizierte tarif- und beamtenrechtliche Regelwerk nicht ausreichend gewürdigt worden. Damit wächst nun der Druck auf Staatskanzlei-Chef Jörg Mielke. Wird der Spitzenbeamte wegen der Versäumnisse in diesem Fall seinen Posten räumen müssen?

Der Fall der Büroleiterin bewegt seit Monaten die landespolitische Diskussion. Bisher steht in der öffentlichen Diskussion der Vorwurf im Raum, die Angestellte sei per Kabinettsentscheidung im November 2023 auf Basis einer Sonderregel von ihrer bisherigen Bezahlung nach E15 (6301 Euro monatlich) auf die nach B2 (8187 Euro) gelangt. Das Finanzministerium hatte sich lange gegen Versuche der Staatskanzlei gewehrt, der Büroleiterin eine AT-Vergütung zu gewähren. Schließlich soll Staatskanzlei-Chef Mielke das Finanzministerium angewiesen haben, das bestehende Regelwerk zu ändern – damit die Vergütung doch möglich wird. Das geschah dann auch so. Dieser Vorgang wird gerade von einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet.
Nun liegen dem Politikjournal Rundblick konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Merkwürdigkeiten im Fall der Büroleiterin nicht erst mit dem Streit über ihre AT-Vergütung anfingen. Anfang 2023 war C., die bis dahin nach E14 als persönliche Referentin des Hamburger Finanzsenators beschäftigt war, von Hamburg nach Niedersachsen versetzt und dann in der Staatskanzlei eingestellt worden – nach E15. Die Einstufung nach E15 entspricht dem, was im vergleichbaren Beamtenrecht „höherer Dienst“ genannt wird. In dieser Laufbahn war sie zwar schon zuletzt in Hamburg, aber mit der Höhergruppierung hätten die Voraussetzungen noch einmal in Hannover geprüft werden müssen. Auf die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage diese Einstufung festgelegt wurde, teilt die Staatskanzlei auf Nachfrage des Politikjournals Rundblick mit, dass vor allem die Regeln des „Tarifvertrags der Länder“ (TVL) maßgeblich seien, der in seiner Anlage A bestimmte Tätigkeitsmerkmale festlege. Die laufbahnrechtlichen Vorschriften, etwa die „Niedersächsische Laufbahnverordnung“ (NLVO), würden „nur für Beamte gelten und sind deshalb hier nicht anwendbar“, erklärt die Staatskanzlei.
Nach Erkenntnissen des Politikjournals Rundblick ist die Aussage so nicht zutreffend. Die Grundlage, auf der C. den Sprung auf die Position E15 geschafft hatte, ist bei näherer Nachprüfung höchst fragwürdig. Zunächst sieht der TVL vor, dass Angestellte, die für E15 eingestuft werden sollen, eine „abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulausbildung“ haben müssen. Dazu ist eine Mindeststudienzeit von sechs Semestern erforderlich – wobei ein „Bachelorstudiengang diese Voraussetzungen nicht erfüllt“, wie es im Tarifvertrag heißt. Die Steuerfachangestellte C. hatte bei der privaten Fachhochschule für Oekonomie und Management (FOM) ein Bachelor-Studium „Business Administration“ absolviert und danach ein Master-Studium „Master of Laws – Taxation“ angeschlossen. Das Masterstudium hatte fünf Semester, zusammen mit dem Bachelor-Studium hat sie aber die sechs Semester Mindeststudiendauer erfüllt. Der Studiengang „Business Administration“ ist betriebswirtschaftlich ausgerichtet – er befähigt laut FOM zur „Optimierung von Controlling-Systemen“ und zur „Erstellung von Finanzplänen“, auch „erste Management- und Führungsaufgaben“ werden versprochen. Auch inhaltlich scheint damit bei C. die Voraussetzung für eine Tätigkeit in der Staatskanzlei zuzutreffen. Dies ist der Teil, der den TVL betrifft.
Die Auskunft der Staatskanzlei trifft hier also teilweise zu. Aber mit der zusätzlichen Aussage, die NLVO sei „nicht anwendbar“, liegt die Staatskanzlei wohl neben der Spur. Was die Eingruppierung von Beschäftigten angeht, müssen nach dem Text des Tarifvertrages auch eine Reihe von „Protokollerklärungen“ des TVL beachtet werden. Eine davon betrifft die Dauer der Hochschulausbildung. Die Mindestzeit wurde – wie oben erklärt – offenbar von C. eingehalten. Daneben gibt es aber eine Sonderbestimmung für die Fachhochschulen, also für jene Einrichtungen wie die FOM, an der C. studiert hatte.

Es heißt in der Protokollerklärung dazu, dass bei der Beschäftigung nach E15 eine wichtige zusätzliche Bedingung erfüllt werden muss. Es müsse „der Zugang zur Laufbahn des höheren Dienstes… eröffnet“ werden. Ausdrücklich wird erwähnt, dass der Masterstudiengang ein Akkreditierungsverfahren erfolgreich durchlaufen müsse – und es wird auf das „jeweils geltende Landesbeamtenrecht für den Zugang zur Laufbahn des höheren Dienstes“ verwiesen. Mit anderen Worten: Im TVL, der nach Auskunft der Staatskanzlei maßgeblich für die Eingruppierung von C. war, wird ausdrücklich auf das Landesbeamtenrecht hingewiesen. Das heißt also, dass die NLVO, die entscheidend für das Laufbahnrecht in Niedersachsen ist, eben doch die Basis für die Entscheidung über die Eingruppierung der Büroleiterin sein musste – trotz der anderslautenden Antwort der Staatskanzlei auf die Rundblick-Anfrage.
Damit wird die Frage aufgeworfen, ob C. nach dem Laufbahnrecht in Niedersachsen überhaupt nach E15 hätte eingestuft werden dürfen. An dieser Entscheidung gibt es große Zweifel. So legt die NLVO fest, welche Studiengänge den Einstieg in den „höheren Dienst“ rechtfertigen, dies dürfte im Fall der Büroleiterin des Ministerpräsidenten ein Studiengang „mit überwiegend verwaltungswissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen, politikwissenschaftlichen oder wirtschaftswissenschaftlichen Inhalten“ sein. Ist das hier der Fall?
Laut FOM ist ihr Bachelor-Studium mit dem Titel „Business Administration“ überwiegend betriebswirtschaftlich ausgerichtet – das könnte zu dem Profil also passen, auch wenn „wirtschaftswissenschaftlich“ die reine Betriebswirtschaft übersteigt. Der Bachelor-Studiengang erfüllt also offenbar die Bedingungen. Allerdings sind die Voraussetzungen der NLVO wohl nicht zutreffend für den Master-Studiengang von C., denn „Master of Laws – Taxation“ ist eindeutig auf das Steuerrecht ausgerichtet – und passt damit nicht zu den Anforderungen, die das Laufbahnrecht für diesen Fall vorschreibt. Zudem ist für den Einstieg in den „höheren Dienst“ dazu noch eine Berufserfahrung erforderlich, die laut NLVO „nach ihrer Art und Bedeutung der Tätigkeit im jeweiligen Einstiegsamt der Laufbahn entsprechen“ muss.
Die heutige Büroleiterin des Ministerpräsidenten war nach eigenen Angaben in sozialen Netzwerken ein Jahr und drei Monate lang persönliche Referentin des Hamburger Finanzsenators, sie hat zuvor ein knappes Jahr bei der Stadt Hamburg für den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss gearbeitet. Davor war sie zwar knapp vier Jahre bei der KPMG beschäftigt und war zuvor auch noch in einem Steuerbüro tätig. Die KPMG-Zeit und die Phase davor kann hier vermutlich kaum mitzählen, da sie vor dem Studienabschluss liegt und teilweise parallel zum Studium ablief. Laut NLVO muss die berufliche Tätigkeit aber mindestens drei Jahre gedauert haben und „fachlich an das Hochschulstudium anknüpfen“, damit eine Einstufung in den „höheren Dienst“ möglich werden kann. Das ist im Fall C. jedoch nicht der Fall, wenn man die KPMG-Zeit ausklammert – was nahe liegt.

Die Entscheidung der Staatskanzlei, C. im Frühjahr 2023 in den „höheren Dienst“ einzustufen, erscheint in diesem Licht fragwürdig, wenn nicht gar falsch. Die Verantwortung dafür lastet auf den Schultern von Staatskanzleichef Jörg Mielke, der laut internen Mails mehrfach in dieser Affäre erklärt hatte, dass er persönlich die Verantwortung für die Personalie übernehme und um fachliche Ratschläge seiner Mitarbeiter im Haus „bewusst nicht gebeten“ habe. Mit den neuen Hinweisen auf gravierende Versäumnisse bei der Einstufung von C. dürfte es für Mielke jetzt schwer werden. Es kursieren in der Landespolitik schon länger Vermutungen, Mielke könnte über die Büroleiter-Affäre stürzen. Die neuen Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der Einstellung von C. geben dem nun neue Nahrung.
