
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Gaspreise für Privathaushalte in Deutschland verdoppelt. Von ehemals 7 Cent pro Kilowattstunde ist der Durchschnittspreis bereits auf 14 Cent geklettert – Tendenz weiter steigend. Und nun steht ein weiterer Preisanstieg von 2,4 Cent pro Kilowattstunde durch die von der Bundesregierung eingeführte Gasbeschaffungsumlage ins Haus. Mit der neuen Abgabe hat auch die Debatte um Energiepreise und Entlastungen für Bürger und Unternehmen an Fahrt aufgenommen. „Wir lassen niemanden allein mit den höheren Kosten“, versprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag auf Twitter und kündigte ein weiteres Entlastungspaket an – ohne konkreter zu werden. Wirtschaftsvertreter und Politiker aus Niedersachsen haben dagegen schon klare Vorstellungen, welche Schritte nun nötig sind.
Lies und Althusmann kritisieren Gasumlage
Aus Niedersachsen gibt es deutliche Kritik an der neuen Gasbeschaffungsumlage der Ampelkoalition. Nicht nur CDU-Landeschef Bernd Althusmann bemängelt die Umlage als „unausgereift“ und fordert andere Maßnahmen, um die Verbraucher zu entlasten. Auch Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD) ärgert sich darüber, dass die Bundesregierung „in den falschen Instrumentenkasten“ greift. „Erst wird den Menschen mehr Geld abverlangt, um sie dann später über das Wohngeld oder sonstige staatliche Leistungen wieder zu entlasten. Das ist der falsche Weg, finde ich. Eine Übernahme durch den Bund hätte vielen Menschen und Unternehmen geholfen. Die Mehrbelastung über den Bundeshaushalt abzudecken wäre das bessere Signal an die Menschen gewesen. Jetzt trägt sie nur der Gaskunde“, sagt Lies.
"Die Mehrbelastung über den Bundeshaushalt abzudecken wäre das bessere Signal an die Menschen gewesen. Jetzt trägt sie nur der Gaskunde."
Olaf Lies
Einig sind sich die beiden Minister auch darüber, dass eine Deckelung der Gaspreisumlage nötig wäre, die laut der Rechtsverordnung der Bundesregierung vom 1. Oktober 2022 bis zum 1. April 2024 gilt und alle drei Monate angepasst werden kann. „Bei der Gaspreisumlage muss es eine verlässliche Obergrenze und eine zeitliche Streckung geben, um privaten Haushalten und Unternehmen eine Planungsgrundlage zu geben“, sagt Althusmann. Lies betont auch seine Forderung, die Umlage inklusive Mehrwertsteuer auf 2 Cent pro Kilowattstunde zu begrenzen. Diesen Vorschlag hatte er bereits vergangene Woche zusammen mit dem niedersächsischen DGB-Chef Mehrdad Payandeh geäußert.
Hamburg und Weil fordern Übergewinnsteuer
„Die Einführung einer Übergewinnsteuer ist überfällig, um mit diesem Geld Entlastung für die Bürger zu finanzieren“, sagt die niedersächsische Grünen-Spitzenkandidatin Julia Hamburg und will mit den Zusatzeinnahmen die strukturelle Erhöhung von Sozialleistungen bezahlen. Außerdem bekräftigt Hamburg die Forderung ihrer Partei, ein Sondervermögen von 5 Milliarden Euro zur Sicherung von sozialen Einrichtungen, besonders betroffener Unternehmen und zum gezielten Vorantreiben der Wärmewende einzurichten. Die Gasumlage betrachtet Hamburg genauso wie Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als notwendiges Übel, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Und auch der Regierungschef will die Krisengewinnler zur Kasse bitten. „Im Übrigen halte ich auch die Einführung einer Übergewinnsteuer für angezeigt“, sagt Weil und ergänzt: „Wenn Italien und einige andere EU Länder längst eine Übergewinnsteuer haben und damit gute Erfahrungen machen, dann fragt man sich doch, warum das in Deutschland nicht auch funktionieren soll.“
Mehrwertsteuer auf Energie senken?
Aufgrund der gestiegenen Beschaffungs- und Vertriebskosten für Erdgas zahlen die Verbraucher pro Kilowattstunde nun rund doppelt so viel Mehrwertsteuer als noch vor einem Jahr. Das Vergleichsportal Verivox hat ausgerechnet, dass die Steuereinnahmen aus dem Gasverbrauch von Privatkunden voraussichtlich von 3,3 auf fast 7 Milliarden Euro zulegen werden. Sollte die Bundesregierung außerdem mit ihrem Vorhaben scheitern, die neue Gasumlage von der Mehrwertsteuer zu befreien, würden laut Verivox weitere 1,4 Milliarden Euro Mehreinnahmen hinzukommen. Damit würde sich das Einnahmeplus auf rund 5 Milliarden Euro summieren. „Die Regierung könnte Gas zum lebensnotwendigen Gut erklären und den Mehrwertsteuersatz darauf von 19 auf 7 Prozent absenken. Dadurch würden die Haushalte im Jahr 2022 um 4,4 Milliarden Euro entlastet“, sagt Verivox-Energieexperte Thorsten Storck.

„Die Streichung der Mehrwertsteuer ausschließlich auf die Gasumlage wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Kerstin Andreae
Der Bundesverband Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert sowohl für den Gas- als auch für den Strompreis einen ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent. Die Senkung soll ab dem 1. Januar 2023 geschehen und mindestens für zwei Jahre gelten. „Die Streichung der Mehrwertsteuer ausschließlich auf die Gasumlage wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt BDEW-Chefin Kerstin Andreae. Sie hält die Steuersenkung auch für sozial gerecht, „da bei Menschen mit niedrigerem Einkommen ein proportional hoher Anteil ihres Einkommens in indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer fließt“.
Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr
Der Vorstoß aus der Energiewirtschaft findet auch Zuspruch in anderen Branchen. „Die Gasumlage ist für die Betriebe in Deutschland ein gewaltiger finanzieller Schlag. Schon heute steht das Wasser unzähligen klein- und mittelständischen Betrieben bis zum Hals. Sie leiden unter Inflation, Preisexplosionen, Lieferkettenengpässen, den Nachwirkungen der Corona-Krise. Die Ampel muss jetzt sofort an anderer Stelle gegensteuern und entlasten. Sonst drohen Schließungen“, sagt Wolfgang Paus, Geschäftsführer der Hermann-Paus-Maschinenfabrik GmbH und Kreisvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) in Lingen. Der Unternehmervertreter fordert eine sofortige Senkung aller Energiesteuern, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu erhalten.

„Alleine diese drei Branchen tragen mehr als die Hälfte der Mehrkosten.“
Thilo Schaefer
„In anderen Mitgliedsstaaten werden Entlastungspakete für die Wirtschaft geschnürt. Hier werden Abermillionen Betriebe und ihre Mitarbeiter geschröpft und dann vergessen“, ärgert sich Paus und gibt an, dass die Belastungen durch die Stromsteuer für Unternehmen in Deutschland 40-mal so hoch seien, wie diese laut EU-Vorgabe sein müssten. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert die erwarteten Mehrkosten durch die Gasumlage für die Industrie auf 5,7 Milliarden Euro pro Jahr. Laut IW-Energieexperte Thilo Schaefer wird die Umlage vor allem bei der Chemie- und Metallindustrie sowie bei den Herstellern und Verarbeitern von Glas, Keramik, Steinen und Erden zu spüren sein. „Alleine diese drei Branchen tragen mehr als die Hälfte der Mehrkosten“, betont Schaefer.
Gaskrise kostet Jobs und Wirtschaftskraft
Bereits vor einigen Tagen hatten die Wirtschaftsforscher aus Köln vor den Auswirkungen einer andauernden Gaskrise gewarnt. „Verdoppelt sich der Gaspreis – was bei den derzeitigen Preissteigerungen realistisch erscheint – wächst die Inflation um einen Prozentpunkt im Jahresschnitt 2022 und um fast vier Prozentpunkte im nächsten Jahr“, rechnete IW-Ökonom Thomas Obst vor.

Gemäß dieser Simulation würden bis Ende 2023 rund 337.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren und das Bruttoinlandsprodukt um 2,2 Prozent sinken. „Das entspricht 70 Milliarden Euro Verlust“, erläutert der IW-Experte und sieht sowohl in Deutschland als auch im gesamten EU-Raum eine steigende Rezessionsgefahr. Obst: „Die meisten Ökonomen rechnen noch mit einem Aufschwung in 2023. Es kann aber sein, dass daraus nichts wird. Entscheidend wird sein, wie wir mit der Drosselung der Gaslieferungen aus Russland zurechtkommen.“