Warum sich Landkreise bewusst gegen die Software „Sormas“ entscheiden
Das System „Sormas“ ist in aller Munde. Die Software, mit der unter anderem die Kontaktnachverfolgung der Kommunen in der Corona-Krise einfacher werden soll, hat es sogar in das Beschlusspapier der Bund-Länder-Runde geschafft. Es sei „insbesondere der flächendeckende Einsatz von ‚Sormas‘ zum besseren Management der Kontaktpersonen und Kontaktketten erforderlich“, heißt es in dem Dokument. „Die Länder werden durch entsprechende Vorgaben sicherstellen, dass künftig alle Gesundheitsämter ‚Sormas‘ und ‚Demis‘ nutzen“, heißt es, wobei es sich bei Demis um das gekoppelte Meldesystem handelt. Die Software hat offenbar große Fans im Berliner Kanzleramt. Auch in Niedersachsen wird keine Gelegenheit ausgelassen, um auf das vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig entwickelte Produkt hinzuweisen. „Schon seit Monaten“ trete er nachdrücklich dafür ein, das System einzuführen, sagte kürzlich wieder Wirtschaftsminister Bernd Althusmann und nannte die Einführung „überfällig“.
Trotz des politischen Drucks aus Bund und Land geht es mit der Verbreitung von „Sormas“ allerdings nicht so schnell voran, wie manche sich das wünschen. Denn nutzen müssen das System am Ende die Behörden in den Landkreisen und dort sieht man die Einführung von „Sormas“ nicht überall als das Nonplusultra – erst recht nicht zum jetzigen Zeitpunkt, in der Hochphase einer Pandemie. Bundesweit hätten erst 239 der 375 Gesundheitsämter die Software eingerichtet, schrieb am Wochenende die „Welt am Sonntag“. Und erst 84 hätten sie auch tatsächlich in Betrieb, 130 Ämter hätten noch nicht einmal die nötigen Verträge unterzeichnet. In Niedersachsen ist die Lage nicht anders. Auch hier seien die Gesundheitsämter noch zurückhaltend, obwohl die Landesregierung das System finanziell mit unterstütze, sagte Professor Gérard Krause, Abteilungsleiter Epidemiologie am HZI in Braunschweig, am Dienstag in der Corona-Anhörung von Grünen und FDP im Landtag. Laut Sozialministerium haben in Niedersachsen 20 Gesundheitsbehörden das System installiert, 14 nutzen es aktuell.
Prof. Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages in Niedersachsen, ärgert sich über die Schwarz-Weiß-Debatte, die mit der Einführung des Systems einhergeht. Oftmals werde der Eindruck erweckt, man habe „Sormas“, oder man arbeite mit Trommeln und Rauchzeichen, sagt Meyer dem Politikjournal Rundblick. „Das genaue Gegenteil ist richtig: Es gibt eine ganze Reihe von Landkreisen, die das System nicht einführen, weil sie zum Teil etwas für sie aktuell Besseres haben“, so Meyer. Hinzu komme auch, dass Behörden teilweise nicht mitten in der Pandemie die Technik wechseln wollten. Meyer berichtet, dass im Landkreis Osnabrück bisher 40.000 Menschen in Quarantäne geschickt werden mussten. Die Bescheide dazu würden mit dem bisherigen System automatisch erstellt. Das soll „Sormas“ gerade erst seit diesem Jahr können, heißt es. Man wolle nicht gerade jetzt in einem „funktionierenden Laden den Stecker ziehen“, so Meyer. Auch anderen Landkreisen ist der Zeitpunkt für den Systemwechsel zu heikel und es fehlt auch an Personal, um ihn gerade jetzt sauber über die Bühne zu bringen.
Noch mal so eine Umstellung möchte ich keinem Gesundheitsamt zumuten. |
Bewusst gegen „Sormas“ entschieden hat sich die Behörde im Kreis Hameln-Pyrmont, dabei hatte man das System Mitte März vergangenen Jahres schon installiert und monatelang damit gearbeitet. „Wir wollten damals die Nachverfolgung von Kontakten möglichst effizient gestalten und sind dadurch auf ‚Sormas‘ gestoßen“, berichtet Jacqueline Eigl, Koordinatorin der Gesundheitsregion, im Rundblick-Gespräch. Damals sei das Programm noch recht rudimentär gewesen, schließlich sei es ursprünglich für die Ebola-Epidemie im Westen Afrikas entwickelt worden. Zu Beginn habe sich das Programm schnell weiterentwickelt, aber je mehr Behörden „Sormas“ nutzten und ihre Ideen einbrachten, desto langsamer wurden nötige Änderungen umgesetzt. Eigl berichtet, dass gerade zu Beginn immer noch parallel Handakten geführt werden mussten. Zudem konnten Anordnungen nicht aus dem Programm heraus geschrieben werden, und Mitarbeiter taten sich auch mit dem Aufbau des Programms schwer. „Man hatte nicht die Kerninformation auf einer Seite, sondern musste sich immer durchklicken“, so Eigl. Im November entschied man sich in Hameln-Pyrmont dafür, auf das rheinland-pfälzische System Mikado umzusteigen, zumal dieses Programm im Landkreis teilweise schon genutzt wurde und den Mitarbeitern bekannt war. Die Umstellung war kräftezehrend, umso mehr kann Eigl verstehen, wenn Behörden derzeit die Software lieber nicht ändern wollen. „Noch mal so eine Umstellung möchte ich keinem Gesundheitsamt zumuten“, sagt sie rückblickend. Anstatt den Fokus nur auf ein einziges Programm zu richten, fänden es sowohl Eigl als auch Hubert Meyer sinnvoller, technische Schnittstellen zu entwickeln, damit auch Ämter mit unterschiedlicher Software besser zusammenarbeiten. Es gebe eben nicht nur ein System, mit dem man arbeiten könne, so Meyer.
Ein weiterer Haken an der „Sormas“-Nutzung war in den vergangenen Monaten noch das Thema Datenschutz, hier gibt es inzwischen aber grünes Licht. Laut dem Bundesbeauftragten für Datenschutz werden zwar immer noch einige Aspekte geprüft, zum Beispiel der Einsatz von Dienstleistern rund um das System, und es gebe auch noch offene Fragen zum Datenschutzkonzept und zur Dokumentation des geplanten weiteren Vorgehens. Er sehe aber „gemeinsam mit den Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder die dringende Erforderlichkeit für den Betrieb der Software in den Gesundheitsämtern“, schrieb der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber vor wenigen Tagen an den Bundesgesundheitsminister. „Aufgrund der positiven Entwicklung zur Dokumentation und zur Sicherstellung der qualitativen Überarbeitung der Dokumentation bis zum gewünschten Reifegrad können wir einem Betrieb unter Vorbehalt zustimmen“, so Kelber. Die Vorbehalte in vielen Landkreisen führen aber dazu, dass nicht wenige dort weiterhin auf andere Systeme setzen werden.